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Shabab beginnt mit Racheaktionen

Somalia rechnet mit weiteren Anschlägen, obwohl die Terrormiliz geschwächt ist

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Nachdem die somalische Terrorgruppe Shabab am Wochenende Rache für ihren getöteten Führer geschworen hatte, flogen Granaten und es gab einen Selbstmordanschlag mit 20 Toten.

Sicher ist es nicht, jedoch wahrscheinlich: Der Selbstmordanschlag vom Montag mit 20 Toten wird der Shabab zugeschriebenen. Tags zuvor wurden mindestens fünf Menschen durch Geschosse verletzt, die im Hafenviertel Hamar Jajab niedergingen, einem bisher als sicher geltenden Vorort der Hauptstadt Mogadischu.

Die Terrorgruppe hält bereits seit mehreren Jahren die ostafrikanische Region in Atem. Nur Stunden vor dem Beschuss hatte sie in einer Videobotschaft angekündigt, Rache für ihren Anführer Ahmed Abdi Godane zu nehmen, der letzte Woche bei einem Luftangriff durch eine US-Sondereinsatztruppe getötet worden war.

Die Gotteskrieger verkündeten ebenfalls die Ernennung ihres neuen Anführers Ahmad Umar. Dieser galt als enger Verbündeter des getöteten Godane und als ranghoher Offizier der Islamisten – wenngleich er bis heute nie durch Drohungen oder Ankündigungen von Anschlägen auf sich aufmerksam machte. Zuletzt soll er den »Amniyat« genannten Ableger der Shabab geleitet haben – eine Art Aufsichtsorgan, das unter den Kämpfern nicht nur für Disziplin sorgt, sondern auch Spitzel und Informanten aufspürt. Laut Geheimdienstquellen soll Umar wenig zimperlich sein: Auf dem Weg an die Spitze der Terrorgruppe soll er mehrere seiner Mitstreiter umgebracht haben.

Der jüngste Anschlag kam nicht überraschend, berichtet Eloi Yao, Sprecher der Friedensmission der Afrikanischen Union in Somalia (AMISOM). »Drohungen und Racheakte sind das Fundament der Shabab. Die Behörden aller betroffenen Länder sind sich darüber bewusst.« Yao zufolge müsse man mit weiteren Anschlägen rechnen. Bereits am Freitag hatte die Regierung in Mogadischu vor blutigen Attacken gewarnt. Kalif Ahmed Ereg, der Minister für Sicherheit, sagte gegenüber Journalisten: »Unser Sicherheitsdienst hat Informationen, wonach Shabab verzweifelt Attacken auf Krankenhäuser, Schulen und andere Regierungsgebäude durchführen wird.« Somalias Sicherheitskräfte seien jedoch bereit, den Kampf gegen die Rebellen aufzunehmen.

In den letzten Jahren erlebte Shabab einen rasanten Abstieg von einer Regionalmacht zu einer instabilen Guerillagruppe. 2011 hatten Soldaten der AMISOM Shabab aus Mogadischu verdrängt. Die Hauptstadt fand zu brüchiger Stabilität zurück. Seitdem wagt sich auch die gebildete Diaspora aus Ärzten, Anwälten und Ingenieuren wieder zurück in ihre Heimat. »Hin und wieder kommt es zu Selbstmordattentaten, aber auch die halten die Diaspora nicht davon ab, in Massen zurückzukommen«, meint James Ferguson, ein Anthropologe und Somalia-Experte. Die Menschen bauten die Stadt neu auf, und sie seien entschlossen, den Terroristen zu trotzen.

Auch Eloi Yao ist zuversichtlich, dass sich der Niedergang von Shabab fortsetzt. »Der Tod von Godane hat der Gruppe einen herben Rückschlag versetzt. Ihre Fähigkeiten an der Kampffront sind auf ein Minimum geschrumpft.« Konzentriere sich das Militär vermehrt auf die Anführer der Terroristen, werde dies die Gruppe noch mehr schwächen. Derzeit steht den rund 8 000 Kämpfern der Shabab ein Heer aus über 22 000 Friedenssoldaten der Afrikanischen Union (AU) gegenüber. Vor kurzem starteten die AMISOM-Truppen die »Operation Indischer Ozean«, die Yao zufolge »bisher gut verlaufen ist«. Ziel der Großoffensive ist es, Shabab auch aus ihren letzten Bastionen im Hinterland zu vertreiben.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 9. September 2014


Skalpjäger feiern

Obama hat wieder einen Führer der somalischen Islamisten ermorden lassen

Von Knut Mellenthin **


Die in Somalia aktive islamistische Kampforganisation Al-Schabab hat am Sonnabend einen Nachfolger für ihren bisherigen Chef Ahmed Abdi Godane ernannt, der am Montag voriger Woche bei einem US-amerikanischen Luftangriff getötet wurde. Über den neuen Mann, Ahmed Umar alias Abu Ubaida, ist noch weniger bekannt als über seinen Vorgänger. Es ist nicht zu erwarten, daß sich durch den Führungswechsel viel ändern wird. Die Behauptung der mental in der Steinzeit steckengebliebenen Skalpjäger um Barack Obama, sie könnten Organisationen schwächen, indem sie gelegentlich deren nominelle Anführer ermorden, hat sich bisher durchweg als falsch erwiesen. Erst am Montag erklärte ein Regionalgouverneur gegenüber der Nach­richtenagentur Reuters, daß bei einem mutmaßlich von Al-Schabab verübten Selbstmordanschlag in Somalia mindestens 20 Zivilisten getötet worden seien. Ziel des Angriffs sei ein Konvoi der afrikanischen Interventionstruppe AMISOM gewesen.

Der im Juli 1977 geborene Godane war an die Spitze von Al-Schabab getreten, nachdem deren Chef Aden Hashi Ayro am 1. Mai 2008 Opfer eines gezielten Luftschlags der USA geworden war. Godane hatte angeblich in den 1990er Jahren mit den afghanischen Mudschaheddin gekämpft. Ob er bei der Gründung von Al-Schabab im Jahre 2006 wirklich eine führende Rolle spielte, wie jetzt vielfach behauptet wird, ist nicht klar bewiesen. Er lebte anscheinend relativ zurückgezogen, trat nur selten durch Stellungnahmen hervor, soll islamische Theologie studiert und Gedichte geschrieben haben und wird meist als »spiritueller Führer« der Organisation bezeichnet. Das einzige Foto, das nach seinem Tod überall veröffentlicht wurde, ist von extrem schlechter technischer Qualität.

Vor zwei Jahren hatte die US-Regierung ein ungewöhnlich hohes Kopfgeld von sieben Millionen Dollar auf Godane ausgesetzt. Offizielle Begründung dafür war sein Bekenntnis zu Al-Qaida, das jedoch sachlich bedeutungslos war, da Al-Schabab nach wie vor eine autonome somalische Organisation ist. Im Gegensatz zu dem im Irak und in Syrien aktiven »Islamischen Staat« (IS) ist Al-Schabab nicht dadurch aufgefallen, daß ihre Kämpfer Menschen den Hals durchschnitten, massenhaft Gefangene ermordeten oder Greueltaten gegen die Zivilbevölkerung begingen. Massaker wie in vielen anderen Bürgerkriegen des afrikanischen Kontinents blieben Somalia bisher erspart. Allerdings gab es in der ersten Jahreshälfte 2013 eine blutige »Säuberung« unter leitenden Funktionären von Al-Schabab. Sie richtete sich gegen eine neu entstandene Fraktion, die Godane vorwarf, die Strategie der Organisation international ausrichten zu wollen.

Der Streit war ein Ergebnis der militärischen Rückschläge, die die Islamisten in den letzten Jahren erlitten haben. Diese haben nicht das geringste mit den spektakulären, in Washington jedes Mal selbstgefällig gefeierten Mordangriffen der USA zu tun, sondern sind der fortwährenden personellen Aufstockung und Aufrüstung von AMISOM zu verdanken. Ihr gehören mittlerweile Einheiten aus Uganda, Kenia, Äthiopien, Burundi, Sierra Leone und Dschibuti in einer Gesamtstärke von 22000 Mann an. Die entscheidende Kriegswende war im August 2011 die vollständige Rückeroberung der Hauptstadt Mogadischu, die im Juni 2006 zu großen Teilen unter die Herrschaft der Islamisten geraten war. Ein weiterer schwerer Verlust für Al-Schabab war im September 2012 die Eroberung der im äußersten Süden des Landes gelegenen Hafenstadt Kismajo durch die kenianischen Streitkräfte und deren örtliche Verbündete.

Gegenwärtig hat Al-Schabab fast nur noch in ländlichen Regionen größere Stützpunkte. Zwei Tage vor der Ermordung Godanes durch die US-Regierung hatte AMISOM in Zusammenarbeit mit somalischen Truppen die »Operation Indischer Ozean« gestartet. Ihr Ziel ist, Al-Schabab den letzten noch von ihr kontrollierten Hafen, Barawe, wegzunehmen. Das würde den Islamisten die Einfuhr von Waffen über See und den profitablen illegalen Verkauf von Holzkohle in die Staaten der arabischen Halbinsel unmöglich machen.

** Aus: junge Welt, Dienstag 9. September 2014


Anschlag als Vergeltung

Somalias Al-Schabab bleibt auch nach der Ermordung ihres Führers durch die US-Regierung aktiv

Von Knut Mellenthin ***


Die somalische Kampforganisation Al-Schabab behauptet, daß bei ihrem Angriff auf einen Militärkonvoi am Montag ein US-Offizier, drei weitere Amerikaner und ein südafrikanischer »Söldner« ums Leben gekommen seien. Ein Selbstmordattentäter hatte am Montag ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug in einen gepanzerten Mannschaftstransporter der afrikanischen Interventionstruppe AMISOM gelenkt. Bei der Explosion starben nach offiziellen Angaben ausschließlich Zivilisten, die mit zwei Bussen unterwegs waren, während zwei AMISOM-Soldaten Verletzungen erlitten hätten. Die Zahl der Toten wurde unterschiedlich zwischen zwölf und 20 angegeben.

Der Anschlag der Islamisten ereignete sich ungefähr 20 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Mogadischu. Der Konvoi begleitete offenbar einen Provinzgouverneur. Der angeblich getötete US-Offizier habe einheimische Spezialeinheiten in Mogadischu ausgebildet, behauptete der Sprecher von Al-Schabab. Tatsächlich gibt es eine kleine Anzahl von US-Militärangehörigen in der somalischen Hauptstadt, insbesondere in hochkarätigen Beraterfunktionen. Aber daß sie die Hochsicherheitszone verlassen und Überlandfahrten antreten, ist unwahrscheinlich. Nicht auszuschließen ist jedoch, daß sich im Konvoi Angestellte einer ausländischen Sicherheitsfirma als Leibwächter des Gouverneurs befanden. Die Angaben von Al-Schabab sind in der Regel nicht ganz aus der Luft gegriffen und manchmal sogar erstaunlich präzise.

Der Angriff auf den Konvoi erfolgte genau eine Woche nach der gezielten Ermordung des Al-Schabab-Chefs Ahmed Godane durch einen US-amerikanischen Luftangriff. Der Sprecher der Islamisten bezeichnete den Anschlag als erste Vergeltungsaktion, der weitere folgen würden. Ein derartiger Angriff setzt erhebliches Insiderwissen durch Agenten im Militär- und Staatsapparat voraus, das Al-Schabab auch schon bei früheren Gelegenheiten unter Beweis gestellt hat. Die letzte spektakuläre Aktion der Islamisten war einen Tag vor der Ermordung Godanes der Angriff auf ein Hochsicherheitsgefängnis in Mogadischu gewesen; im selben Gebäude befindet sich auch das Hauptquartier des somalischen Geheimdienstes. In der unterirdischen Haftanstalt werden Hunderte Gefangene, überwiegend mutmaßliche Al-Schabab-Mitglieder, festgehalten und mißhandelt. Eine Gruppe von Kämpfern in regulären Militäruniformen hatte offenbar einen Befreiungsversuch unternommen, der aber scheiterte. Nach Regierungsangaben kamen sieben Angreifer, drei Gefängniswärter und zwei Zivilisten ums Leben. Im Juli waren Al-Schabab-Kämpfer sogar bis in die schwer bewachte Residenz des Präsidenten vorgedrungen.

Die US-amerikanische Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) erhebt derweil in einem am Montag veröffentlichten Bericht schwere Vorwürfe gegen Angehörige der AMISOM. Ugandische und burundische Soldaten sollen somalische Frauen und Mädchen – das jüngste Opfer war erst zwölf – vergewaltigt oder unter brutaler Ausnutzung ihrer Notlage sexuell mißbraucht haben. Überwiegend waren es Angehörige der Landbevölkerung, die während der großen Hungerkatastrophe im Jahre 2011 – damals starben unter den Augen der desinteressierten internationalen Öffentlichkeit mindestens 250000 Somalis – in die Hauptstadt geflüchtet waren. Die Frauen waren in die Hilfszentren der AMISOM gekommen, um Lebensmittel, Wasser, Medizin oder ärztliche Behandlung für ihre Kinder zu erhalten. HRW, die dem US-Außenministerium nahesteht, dokumentiert die Fälle von 21 Opfern. AMISOM wehrt die Vorwürfe als »unausgewogen und unfair« ab. In Somalia wurden mehrfach Frauen, die bei der Polizei eine Vergewaltigung durch einheimische Soldaten anzeigen wollten, monatelang ins Gefängnis gesperrt. Das gleiche Los traf Journalisten, die dazu recherchierten. Die beabsichtigten Verurteilungen kamen nur durch das direkte Eingreifen der US-Regierung nicht zustande.

*** Aus: junge Welt, Mittwoch 10. September 2014


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