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IS-Nachahmer in Nordostafrika

Somalische Islamisten selektieren Buspassagiere und ermorden Nicht-Muslime

Von Knut Mellenthin *

Die somalische Rebellenorganisation Al-Schabab hat die Behauptung der kenianischen Regierung über den Tod von mehr als 100 ihrer Kämpfer als »absurd« zurückgewiesen. Es habe keine kenianischen Angriffe auf ihre Truppen gegeben, erklärte ein Sprecher der militanten Islamisten am Sonntag. Zuvor hatte Kenias Verteidigungsministerium bekannt gegeben, dass seine Streitkräfte bei zwei grenzüberschreitenden Operationen am Wochenende 115 Angehörige von Al-Schabab getötet hätten, die direkt am Überfall auf einen Bus beteiligt gewesen seien. Dabei waren am Sonnabend in Nordostkenia 28 Passagiere ermordet worden.

Der von Kampfflugzeugen und Bodentruppen ausgeführte Vergeltungsschlag soll sich nach Darstellung der kenianischen Regierung gegen zwei Al-Schabab-Lager auf somalischem Boden gerichtet haben. Bestätigungen für die Berichte aus Nairobi gibt es jedoch nicht. Unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt dienten die propagandistisch ausgeschmückten Siegesmeldungen offenbar dazu, schnelle Tatkraft und militärische Stärke zu demonstrieren.

An dem Überfall auf den Bus sollen ungefähr 100 Bewaffnete beteiligt gewesen sein. Nach Zeugenaussagen wurde das Fahrzeug gewaltsam angehalten und die etwa 60 Fahrgäste wurden zum Aussteigen gezwungen. Dann sei von ihnen gefordert worden, Passagen aus dem Koran aufzusagen. Diejenigen, die das nicht konnten, mussten sich auf den Boden legen und wurden erschossen. Die muslimischen Passagiere wurden freigelassen. Unter den 28 Ermordeten sollen 17 Lehrer und zwei Offiziere der Sicherheitskräfte gewesen sein.

Kenia hat eine christliche Bevölkerungsmehrheit neben einer muslimischen Minderheit, die vor allem im Norden und in der weiter südlich gelegenen Hafenstadt Mombasa lebt. Viele der Muslime sind somalischer Herkunft. Somalis leben schon seit Jahrhunderten in Kenia. Seit dem Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland vor 23 Jahren sind mehrere hunderttausend Flüchtlinge hinzugekommen, die starken Diskriminierungen und Repressionen ausgesetzt sind. Auf kenianischem Boden befindet sich das größte Flüchtlingslager der Welt - genau genommen ein ausgedehnter Komplex mehrerer völlig überfüllter Lager. Die kenianische Regierung hat in den vergangenen Jahren immer wieder gedroht, nicht nur die Insassen des Lagers, sondern auch die Angehörigen somalischer Gemeinden in Mombasa und anderen Städten gewaltsam abzuschieben

Ein Sprecher von Al-Schabab sagte, der Überfall auf den Bus sei eine Vergeltung für mehrere Razzien in Moscheen in Mombasa gewesen, die in letzter Zeit stattgefunden hatten. Die kenianische Regierung behauptet, die islamischen Gotteshäuser dienten Al-Schabab als Stützpunkte und Verstecke. Angeblich wurden bei den Razzien größere Mengen Waffen sichergestellt.

Selektionen wie beim Überfall auf den Bus gehörten bisher nicht zu den Methoden von Al-Schabab, ebenso wenig wie Massenhinrichtungen oder gar Enthauptungs-Videos, wie sie der »Islamische Staat« (IS) im Irak und Syrien bewusst zu Propagandazwecken einsetzt. Anders als in vielen anderen afrikanischen Ländern wurde der somalische Bürgerkrieg bisher ohne umfangreiche Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung und gefangene Gegner geführt. Der Massenmord vom Sonnabend deutet darauf hin, dass der IS unter Teilen der somalischen Islamisten an Einfluss gewonnen hat. Al-Schabab befindet sich in einer Führungskrise, seit ihr früherer Chef Ahmed Abdi Godane am 1. September durch einen gezielten US-amerikanischen Drohnenangriff getötet wurde.

Al-Schabab hatte zeitweise ungefähr die Hälfte Somalias beherrscht und dort eine eigene Verwaltung geschaffen. Sie kontrollierte auch den größten Teil der Hauptstadt Mogadischu und viele andere Städte. Nur durch den Einsatz einer internationalen Interventionstruppe, der 22.000 Soldaten aus sechs afrikanischen Ländern einschließlich Kenias angehören oder unterstellt sind, gelang es, die Rebellen zurückzudrängen. Anfang Oktober verloren sie die letzte von ihnen noch gehaltene Stadt Barawe.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 25. November 2014


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