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Gezielte "Tötungsaktion"

US-amerikanischer Raketenüberfall auf die somalische Stadt Dhusamareb

Von Knut Mellenthin * Der US-Regierung ist es offenbar gelungen, in einer gezielten Militäroperation am Mittwoch (30. April) einen der bekanntesten Führer der bewaffneten Opposition Somalias zu töten. Es war bereits der vierte US-amerikanische Angriff, seit im Dezember 2006 äthiopische Truppen die fundamentalistische Union der Islamischen Gerichte (UIC) aus der Hauptstadt Mogadischu vertrieben. Zuletzt hatte die US-Marine im März Raketen auf eine Kleinstadt im Süden Somalias abgeschossen.

Sprecher des für die Region zuständigen Kommandos Mitte der US-Streitkräfte bestätigten am Donnerstag (1. Mai) die gezielte Aktion »gegen ein bekanntes Al-Qaida-Ziel«, verweigerten aber jede genaue Auskunft, gegen wen sie sich richtete und wie sie erfolgte. Ein Sprecher der »Al-Schabab«, des bewaffneten Arms der UIC, gab bekannt, daß sich unter den insgesamt 15 Menschen, die bei dem Angriff ums Leben kamen, ihr militärischer Führer Aden Haschi Ayro und ein weiterer hochrangiger Kommandant befunden hätten. Die Aktion richtete sich gegen ein Haus in der mittelsomalischen Stadt Dhusamareb, 300 Kilometer nördlich von Mogadischu, und zerstörte zugleich auch ein benachbartes Gebäude völlig. Insgesamt wurden 25 Häuser durch die Explosionen abgedeckt, zum Teil stark beschädigt. Nach Angaben örtlicher Clan-Ältester wurden 30 Leichen aus den Trümmern geborgen. Bewohner berichteten, daß der Angriff durch drei Flugzeuge vom Typ A-130 erfolgt sei, die Raketen abgeschossen hätten.

Die US-Regierung hatte Al-Schabab im März auf die Liste der »Terrororganisationen« gesetzt. Ayro war schon lange als »Führer der Al-Qaida-Zelle in Somalia« bezeichnet worden. Im Januar 2007 war er einem gezielten Tötungsversuch der US-Streitkräfte knapp entgangen. Für die Existenz einer Al-Qaida-Zelle in dem ostafrikanischen Land, das sich seit 1991 im Bürgerkrieg befindet, gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. UIC und Al-Schabab bestreiten jeden Zusammenhang. Tatsächlich haben beide Organisationen eine breite Basis in der somalischen Bevölkerung. Im Oppositionsbündnis arbeiten sie mit Politikern zusammen, die bis vor wenigen Monaten noch die Regierung unterstützt hatten, die sich nur dank der äthiopischen Besatzungstruppen an der Macht halten kann.

Seit Jahresanfang hatte die Opposition die meisten größeren Städte des Landes vorübergehend in ihre Gewalt gebracht, einige sogar zwei oder drei Mal. Aus der mittelsomalischen Provinz Hiran flüchtete der Gouverneur, nachdem Rebellen den örtlichen Armeekommandeur getötet hatten. Der Versuch von Ministerpräsident Adde Hassan Hussein, eine neue Provinzverwaltung einzusetzen, scheiterte am Mittwoch: Die Mehrheit der Ernannten weigert sich, ihre Ämter anzutreten.

* Aus: junge Welt, 3. Mai 2008


"Wie Ziegen abgeschlachtet

Amnesty International: Schwere Kriegsverbrechen und katastrophale Menschenrechtslage in Somalia. Hunger führt zu Massenunruhen in Mogadischu

Von Knut Mellenthin **

Schwere Vorwürfe gegen »alle Konfliktparteien« erhebt die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) in einem am Dienstag veröffentlichten Bericht zur Lage in Somalia. Sieht man genauer hin, sind es aber in erster Linie Verbrechen der äthiopischen Besatzungstruppen und der von ihnen an der Macht gehaltenen, nicht aus Wahlen hervorgegangenen »Übergangsregierung«, die ai durch zahlreiche Zeugenaussagen dokumentiert.

Zu den im Untersuchungsbericht genannten Kriegsverbrechen der äthiopischen Streitkräfte gehört der Beschuß von Wohnvierteln, in denen bewaffnete Oppositionsanhänger vermutet werden, mit Panzerkanonen und schwerer Artillerie. Bei flächendeckenden Hausdurchsuchungen der Äthiopier und ihrer somalischen Verbündeten komme es regelmäßig in großem Umfang zu Plünderungen, Mißhandlungen und Massenvergewaltigungen. Diese Untaten seien als völkerrechtswidrige »Vergeltungsmaßnahmen« gegen die möglicherweise mit der Opposition sympathisierende Zivilbevölkerung zu werten, urteilt AI. Bei Razzien würden äthiopische Scharfschützen auf den Dächern postiert, um auf fliehende Zivilisten zu feuern. Zeugenaussagen zufolge würden festgenommene Männer häufig von den Äthiopiern »wie Ziegen abgeschlachtet«. Das heißt, ihnen wird die Kehle durchgeschnitten und sie werden dann verblutend liegengelassen. Das gilt zugleich als Warnung an ihre Angehörigen, ihr Haus zu verlassen. Über 600 00 Menschen sind nach UN-Schätzungen seit dem Einmarsch äthiopischer Truppen im Dezember 2006 aus der Hauptstadt Mogadischu geflüchtet. Straßenzüge und ganze Viertel liegen durch den schweren Beschuß in Trümmern. Fünf Distrikte der Stadt gelten als »menschenleer«.

Amnesty beklagt in ihrem Bericht das Schweigen der UNO sowie internationaler Organisationen zu den in Somalia begangenen Kriegsverbrechen. Tatsächlich tut der UN-Sicherheitsrat, einschließlich Rußlands und Chinas, aber mehr als nur zu schweigen: Er unterstützte einseitig die »Übergangsregierung« und habe stillschweigend grünes Licht für die äthiopische Intervention gegeben.

Unterdessen erlebte Mogadischu in den vergangenen Tagen die vermutlich schwersten und umfangreichsten Massenunruhen seit Beginn des Bürgerkriegs vor zwanzig Jahren. Zehntausende Menschen, vermutlich weit über 100 000, protestierten gegen die explodierenden Lebensmittelpreise und gegen die Weigerung der Händler, einheimische Geldscheine statt Dollarnoten anzunehmen. Das macht es für viele Somalis praktisch unmöglich, auch nur das Nötigste einzukaufen. Die Händler verweisen ihrerseits darauf, daß unkontrollierte Mengen Falschgeld im Umlauf sind und sie außerdem selbst von der Regierung gezwungen werden, Steuern und Gebühren in Dollar zu entrichten.

Die Preise für Grundnahrungsmittel wie Mehl und Reis haben sich in Mogadischu seit Januar verdoppelt. Der Wechselkurs des somalischen Schillings gegenüber dem Dollar ist nur noch halb so hoch wie vor einem Jahr.

** Aus: junge Welt, 8. Mai 2008


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