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Neue Terroroffensive in Afrika?

Die somalische Al-Shabaab-Miliz greift mehr und mehr zu Guerillamethoden

Von Markus Schönherr, Kapstadt *

Das blutige Geiseldrama in Kenias Hauptstadt Nairobi ist zwar beendet, doch in Sachen somalische Miliz Al-Shabaab kann keine Entwarnung gegeben werden. Sie hat nicht vor, die Waffen zu strecken und vom Terror abzulassen.

In ihrer Heimat Somalia war es um die Al-Shabaab-Miliz ruhig geworden. In der Hauptstadt Mogadischu hatte man zuletzt gar von Normalität gesprochen – wenn auch leise. Im August 2011 hatte die Friedensmission der Afrikanischen Union AMISOM die Al-Shabaab aus der Hauptstadt verdrängt.

Seit damals wagt sich die gebildete Diaspora aus Ärzten, Anwälten und Ingenieuren wieder zurück. Dank solarbetriebener Laternen kommen die Menschen nachts wieder auf die Straße. Hier blühte auch eine längst vergessene, von den Rebellen verbannte Kunstszene von Neuem auf. »Selten kommt es zu Selbstmord-Anschlägen, aber auch die halten die Diaspora nicht davon ab, in Massen zurückzukommen«, meint James Ferguson, Anthropologe an der Universität Stanford. Dies merke man vor allem an den rasant steigenden Mietpreisen. Die Stadt werde neu aufgebaut von Menschen, die entschlossen seien, den Terroristen zu trotzen.

Gefährlich bleiben die islamischen Terroristen dennoch. Sie kontrollieren nicht nur weite Teile des Hinterlands, ihre Attacken scheinen zudem auch noch koordiniert. Ferguson zufolge sei die Geiselnahme im kenianischen Westgate-Einkaufszentrum zeitlich abgestimmt gewesen mit einer Offensive in der Hafenstadt Kismayo und Granatenattacken auf einen Markt in Mogadischu.

US-amerikanische Sicherheitsquellen warnten in den letzten Monaten vor einer Zusammenarbeit islamischer Terroristen in Afrika: Die Boko Haram in Nigeria, die Al Qaida im islamischen Maghreb (AQMI) und die Al-Shabaab in Somalia.

Auch für die ostafrikanische Region bleiben Somalias Gotteskrieger eine Gefahr. In diesen Tagen trifft es Nairobi, 2010 war es die ugandische Hauptstadt Kampala. Die Terroristen hatten das Feuer auf eine Fanzone während der Fußball-Weltmeisterschaft eröffnet. Damals wie heute wollen sie die jeweiligen Länder für die Entsendung ihrer Friedenssoldaten bestrafen. »Sie haben die Möglichkeiten dazu«, sagt Ferguson, und sie erreichen, was sie wollen: eine hohe Medienpräsenz.

In Kenia verfolge die Al-Shabaab zudem das Ziel, die religiösen Lager gegeneinander aufzubringen. Die christliche Mehrheit und die muslimische Minderheit kamen bisher gut miteinander aus. Die Sicherheitskräfte werden in den nächsten Tagen den nairobischen Bezirk Eastleigh im Auge behalten und auf Vorzeichen von Racheakten reagieren. Wegen der hohen Zahl an Immigranten aus dem Nachbarland bekam der Bezirk den Beinamen »Little Mogadischu«.

Ob die Geiselnahme in Kenia das Comeback der Al-Shabaab als Regionalmacht begründe? »Nein, nein, nein«, sagt Abdirahman Omar Osman, Berater des somalischen Präsidenten. Der Anschlag in Kenia beweise lediglich, wie verzweifelt die Al-Shabaab sei. »Sie hat den konventionellen Krieg in Somalia verloren. Um zu zeigen, dass sie immer noch am Leben sind, verpassen die Terroristen jungen Menschen eine Gehirnwäsche und schicken sie in Attacken wie diese.«

Auch Eloi Yao von der AMISOM-Mission ist zuversichtlich, dass dies die letzten Zuckungen einer sterbenden Gruppe sind. Seit 2011 sei die Al-Shabaab von einer Kriegsmacht und einem regionalen Machtfaktor zu einer instabilen Terrorgruppe verkommen. »Unsere Soldaten sind sich dessen bewusst und ändern dementsprechend ihre Strategie.« Derzeit sind rund 17 100 Friedenssoldaten in Somalia stationiert.

Kenia werde seine Truppen nach dem Geiseldrama nicht abziehen, schätzt Professor Ferguson. Allein aus Stolz. »Letztes Jahr nannte Ugandas Präsident die kenianischen Streitkräfte eine Baracken-Armee. Es liegt an ihnen, das Gegenteil zu beweisen.« Ein Abzug nach dem Westgate-Drama würde Präsident Uhuru Kenyatta schwach aussehen lassen. Zudem sei er persönlich involviert, nachdem auch sein Neffe und dessen Partnerin bei den Anschlägen ums Leben kamen. »Außerdem weiß Präsident Kenyatta: Stabilität in Somalia bedeutet Stabilität in Ostafrika und auf der ganzen Welt«, so Missionssprecher Yao.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 26. September 2013


Kenia in Staatstrauer

Aufarbeitung des Geiseldramas begann

Nach dem Ende des blutigen Geiseldramas mit Dutzenden Toten in Kenias Hauptstadt Nairobi hat das ostafrikanische Land mit der Aufarbeitung der Gewalttat begonnen. Am Mittwoch begann eine dreitägige Staatstrauer, während Sicherheitskräfte den teilweise eingestürzten Gebäudekomplex nach weiteren Opfern und möglicherweise zurückgelassenem Sprengstoff absuchten. Offiziell wurde die Zahl der Toten mit 72 angegeben, die somalische Al-Shabaab-Miliz sprach jedoch von 137 Opfern.

»Wir haben die Angreifer besiegt und gedemütigt«, sagte Kenias Präsident Uhuru Kenyatta am späten Dienstag in einer Fernsehansprache. »Unsere Verluste sind immens«, fügte er jedoch hinzu. Nach Kenyattas Angaben wurden während der am Samstag begonnenen Geiselnahme im Einkaufszentrum Westgate 61 Zivilisten, sechs Sicherheitskräfte und fünf Geiselnehmer getötet. Noch seien aber nicht alle Opfer geborgen. Laut dem Roten Kreuz wurden 63 Menschen vermisst und bis zu 200 weitere verletzt. Elf Verdächtige seien inhaftiert worden, sagte Kenyatta. Die Angreifer und ihre Hintermänner würden zur Rechenschaft gezogen. Ein zehn- bis 15-köpfiges Kommando der somalischen Al-Shabaab-Miliz hatte das bei begüterten Kenianern und Ausländern beliebte Einkaufszentrum am Samstag überfallen.

Als Grund für den Angriff nannte die islamistische Miliz die kenianische Militärintervention gegen Al-Shabaab in Somalia. Sie drohte mit weiteren Anschlägen, sollte Kenia seine Soldaten nicht abziehen. Der somalische Ministerpräsident Abdi Farah Shirdon verteidigte im TV France 24 den Einsatz Kenias in seinem Land. Beide Staaten »arbeiten gemeinsam gegen den Terror«. Er sei sicher, dass Al-Shabaab, die Verbindungen zum Terrornetzwerk Al-Qaida hat, besiegt werde.

(nd, 26.09.2013




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