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Neuer Präsident, alte Probleme

Somalia von ständig beschworener Stabilisierung immer noch weit entfernt

Von Knut Mellenthin *

Somalia hat sein Montag einen neuen Präsidenten. Nur zwei Tage nach seiner Wahl war er einem Anschlag auf sein Leben ausgesetzt, für den sich die islamistische Kampforganisation Al-Schabab verantwortlich erklärte. Die Behauptung der »internationalen Gemeinschaft«, daß sich der seit 1991 geführte Bürgerkrieg kurz vor seinem Abschluß befinde und daß in Somalia eine Zeit der Stabilität und des wirtschaftlichen Wiederaufbaus begonnen habe, steht offensichtlich auf schwachen Füßen.

Mit dem 56jährigen Hassan Scheikh Mohamud ist ein bisher kaum beachteter Außenseiter in die traditionelle Präsidentenresidenz, die Villa Somalia in der Hauptstadt Mogadischu, eingezogen. Aufgrund von undurchsichtigen Absprachen zwischen den mächtigen Clans, anderen innenpolitischen Interessengruppen und ausländischen Kräften setzte sich der »prominente Geschäftsmann« Hassan gegen den bisherigen Amtsinhaber Scharif Scheikh Ahmed durch, der als Vertreter eines gemäßigten islamischen Fundamentalismus gilt. Scharif gratulierte seinem erfolgreichen Rivalen, den er nach muslimischer Sitte als »Bruder« bezeichnete, artig zum »fairen« Sieg und behauptete, sich sehr über diesen zu freuen.

Die Präsidentenwahl hätte nach dem von der »internationalen Gemeinschaft« diktierten Zeitplan eigentlich schon am 20. August stattfinden sollen. Sie erfolgte durch ein aus 275 Abgeordneten bestehendes Parlament, das erst kurz zuvor nach einem wenig transparenten und ganz sicher nicht demokratischen Verfahren zusammengeschoben worden war.

Insgesamt waren 22 Kandidaten für das höchste Staatsamt angetreten. Im ersten Wahlgang erreichte keiner von ihnen die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Der als haushoher Favorit ins Rennen gegangene Scharif lag mit 64 Stimmen nur knapp vor Hassan, für den 60 Abgeordnete votiert hatten. Die Dritt- und Viertplazierten – der bisherige Regierungschef Abdiweli Mohamed Ali Gaas und der gemäßigte Islamist Abdikadir Osoble –, die sich ebenfalls für den zweiten Wahlgang qualifiziert hatten, zogen daraufhin ihre Kandidatur zurück. Somalische Medien gehen davon aus, daß sie ihre Anhänger zur Stimmabgabe für Hassan aufriefen. In der Stichwahl setzte sich der Außenseiter dann mit 190 gegen 79 Stimmen auffallend deutlich gegen den zehn Jahre jüngeren Scharif durch, der im Januar 2009 aufgrund politischer Absprachen ins Präsidentenamt gelangt war.

Hassan, der in Somalia und Indien studiert hat, arbeitete in der Vergangenheit vor allem für die Kinderorganisation der Vereinten Nationen, UNICEF, und für verschiedene sogenannte Nicht-Regierungsorganisationen. Im April 2011 gründete er die Partei für Frieden und Entwicklung, die allerdings bisher keine praktische Bedeutung erlangt hat. Seine Wahl durch die stark clanmäßig organisierten Strukturen Somalias ist, neben der Unterstützung einiger Staaten der Region, vermutlich auf das Interesse mächtiger Kreise des Landes an einem schwachen Präsidenten ohne eigene Hausmacht zurückzuführen. Somalische Medien mutmaßen, daß der eigentlich starke Mann künftig der erst kürzlich gewählte Parlamentssprecher Mohamed Osman Jawari sein werde. Der 66jährige hatte unter dem 1991 gestürzten, autoritär regierenden Präsidenten Siad Barre verschiedene Ministerämter inne. Möglicherweise steht er für eine Renaissance von Politikern und Militärs aus jener Ära.

Al-Schabab bezeichnete den neuen Präsidenten am Dienstag als »Verräter«. Seine Wahl repräsentiere »westliche Interessen und die Interessen der Agenten des Westens in der Region«. Am Mittwoch versuchten drei oder vier Selbstmordattentäter, zu Hassans erster Pressekonferenz in einem schwer bewachten Hotel der Hauptstadt vorzudringen. Sie wurden an den Eingängen abgefangen, rissen aber bei der Explosion ihrer Sprengstoffgürtel sechs oder sieben Angehörige der Sicherheitskräfte mit in den Tod.

* Aus: junge Welt, Samstag, 15. September 2012


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