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1000 somalische Polizisten verschwunden

Bundesregierung hatte Ausbildung in Äthiopien mit einer Million Euro finanziert *

Die Bundesregierung hat die Ausbildung von 1000 somalischen Polizisten in Äthiopien finanziert, die zwei Monate nach Ende ihres Trainings nicht mehr auffindbar sind.

Diplomatischen Quellen in Kenia zufolge wissen weder die somalische Übergangsregierung noch die Bundesregierung oder die Vereinten Nationen über den Aufenthaltsort der von der Bundesrepublik finanzierten 1000 somalischen Polizeirekruten Bescheid.

Somalia-Kenner halten es für denkbar, dass die Polizisten bereits für eine der zahlreichen Konfliktparteien in Somalia kämpfen. »Es ist durchaus möglich, dass man da Milizionäre ausgebildet hat, die für diejenigen kämpfen, die am meisten zahlen«, warnte Ulrich Delius von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Das Bundesaußenministerium wies den Vorwurf zurück, bei dem Ausbildungsprojekt seien UN-Richtlinien umgangen worden.

Deutschland finanzierte die Ausbildung mit einer Million Euro. Dabei wurde es nach Informationen des epd versäumt, das UN-Entwicklungsprogramm, das die Polizeiausbildung für Somalia koordiniert, in Kenntnis zu setzen. Auch der Sanktionsausschuss, der das Waffenembargo gegen Somalia kontrolliert, wurde nach Angaben eines UN-Diplomaten in New York erst nach Beginn der Ausbildung informiert. Unter das Embargo fallen auch Ausbildungsmaßnahmen. Der Afrika-Experte Helmut Hess kritisierte die Ausbildung somalischer Polizisten im Nachbarland. »Äthiopien ist der Erzfeind Somalias«, sagte der frühere Afrika-Referent von »Brot für die Welt« und Somalia-Kenner in einem epd-Gespräch. Äthiopien bilde somalische Polizisten ganz sicher nicht im Interesse Somalias aus. Das Scheitern der Mission sei daher vorhersehbar gewesen, sagte Hess, der im Auswärtigen Amt in Berlin sein Unverständnis und seine Bedenken gegen das Vorhaben vorgebracht hatte. Hess zufolge hat man im Auswärtigen Amt offenbar »grenzenloses Vertrauen zu Äthiopien« als einem »stabilen Faktor« am unruhigen Horn von Afrika. Dabei habe der Einmarsch äthiopischer Truppen 2006 zu einer Eskalation und Radikalisierung in Somalia beigetragen. 2008 zog Äthiopien offiziell ab.

Als skandalös bezeichnete es der Afrika-Experte, dass die Polizisten-Ausbildung ohne Abstimmung mit den Vereinten Nationen und der EU erfolgte. »Somalia ist sehr komplex«, sagte Hess, der für September eine Somalia-Konsultation in Kenia vorbereitet. Umso problematischer seien Alleingänge in dem Bürgerkriegsland.

Auch Linkspartei und Grüne kritisierten das deutsche Engagement. »Es ist skandalös, dass sich die Bundesregierung durch Ausbildung von Soldaten und Polizisten am schmutzigen Bürgerkrieg in Somalia beteiligt«, sagte die Fraktionssprecherin der LINKEN für internationale Beziehungen, Sevim Dagdelen. Dabei nahm sie auch Bezug auf den deutschen Beitrag zur Ausbildung somalischer Soldaten durch die EU in Uganda.

Die Grünen sprachen von einem unverantwortlichen Alleingang des Auswärtigen Amts, weil keine Absprache mit den Vereinten Nationen erfolgte. Nicht umsonst hätten die UN Richtlinien aufgestellt, die verhindern sollten, dass Kindersoldaten oder Anwärter nach Clan-Zugehörigkeit ausgebildet würden, sagte Katja Keul, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen.

Somalia hat seit 1991 keine funktionierende Regierung mehr. Eine international anerkannte Übergangsregierung unter der Führung von Präsident Scheich Scharif Ahmed kontrolliert nur kleine Teile der Hauptstadt Mogadischu. Ihr gegenüber stehen islamistische Milizen, die weite Teile Somalias beherrschen.

* Aus: Neues Deutschland, 31. Juli 2010


925 Mann "verschwunden"

Finanzierte BRD die Ausbildung somalischer Söldner für äthiopisches Militär?

Von Knut Mellenthin **


925 Somalis, deren Ausbildung im äthiopischen Militärlager Hurso die deutsche Regierung mit rund 770.000 Euro finanziert hatte, bleiben weiterhin "verschwunden". Entsprechende Informationen aus "Diplomatenkreisen in Kenia" hat das Bundesaußenministerium inzwischen indirekt bestätigt. In einer Stellungnahme des Amtes heißt es, die Somalis seien nach Abschluss des Trainings im Mai 2010 "unter äthiopischer Verantwortung nach Somalia transportiert" worden. "Den weiteren Verlauf der Eingliederung in die somalische Polizei wird die Bundesregierung gegenüber der äthiopischen Regierung und der somalischen Übergangsregierung konsequent nachverfolgen." Anders ausgedrückt: Berlin tappt hinsichtlich des aktuellen Aufenthalts der 925 und ihrer jetzigen Tätigkeit immer noch im Nebel.

Von einer wirklichen Überraschung kann man indessen nicht sprechen. Die US-amerikanische Nachrichtenagentur AP hatte nämlich schon am 28. April böse Vorahnungen geäußert: "Ein von Deutschland finanzierter Trainingskurs für 900 somalische Polizisten endete kürzlich in Äthiopien (...), aber es wird befürchtet, dass die Auszubildenden desertieren werden, weil für die Bezahlung ihrer Gehälter keine Vorkehrungen getroffen wurden." - Gleichzeitig berichtete die Agentur, dass von rund 2000 somalischen Soldaten, die 2009 in Dschibuti und Uganda auf Kosten der USA ausgebildet wurden, ungefähr die Hälfte desertiert seien, weil ihnen der Sold nicht ausgezahlt wurde.

Das Thema ist nicht neu: Der Vorsitzende der Überwachungsgruppe des UN-Sicherheitsrates, der Südafrikaner Dumisani Kumalo, hatte schon im Dezember 2008 erstaunliche Zahlen vorgelegt. Da hieß es zum Beispiel: "Die äthiopische Regierung informierte die Überwachungsgruppe im Oktober 2008, dass sie 17.000 Personen für die somalischen Sicherheitskräfte ausgebildet habe. (...) Äthiopien nimmt an, dass von dieser Gesamtsumme nur noch weniger als 3000 im Dienst sind. (...) Da die meisten Soldaten, die desertieren oder überlaufen, ihre Waffen und Uniformen mitnehmen, bedeutet das ungefähr 14.000 Waffen, die neu auf somalisches Gebiet gekommen sind."

Im Fall der 925 "verschwundenen Polizisten" ist indessen keineswegs sicher, dass sie wirklich desertiert sind. Nach jüngsten Berichten sollen sie "sich im äthiopisch-somalischen Grenzgebiet aufhalten". Diese Umschreibung erfordert eine kurze Erklärung: Das äthiopische Militär griff in den Jahren 2006 bis 2008 massiv in den somalischen Bürgerkrieg ein. Das führte unter anderem dazu, dass große Teile der Hauptstadt Mogadischu in Trümmer gelegt wurden und dass mehr als die Hälfte der Bewohner aus der Stadt flüchten musste. Ein weiteres Ergebnis war ein enormer Zulauf für die Islamisten, die sich zur stärksten Kraft des Landes entwickelten. Im Januar 2009 zogen sich die äthiopischen Streitkräfte aus Somalia zurück.

Der Abzug war indessen nicht vollständig. Im zentralsomalischen Grenzgebiet tauchen immer wieder äthiopische Truppen auf, die zusammen mit ihnen ergebenen und von ihnen kommandierten somalischen Einheiten operieren. Schwerpunkt dieser militärischen Aktivitäten ist die Region Hiiran mit der Hauptstadt Beledweyn. In Deutschland ist sie bekannter unter dem Namen Belet Huen, seit dort 1993-94 das deutsche Kontingent einer UNO-"Friedenstruppe" einquartiert war. Frühere Berichte deuten darauf hin, dass die 925 "Verschwundenen" nicht die ersten Somalis sind, die in Äthiopien auf Kosten der USA und europäischer Staaten ausgebildet wurden, um dann dem äthiopischen Militär als Söldner zu dienen. Ob das wirklich ganz ohne Wissen der beteiligten westlichen Regierungen geschah, bleibt vorerst eine offene Frage.

* Aus: junge Welt, 2. August 2010


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