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Noch ist Ruhe vorm Sturm auf die Piraten

Mit markigen Politikersprüche lassen sich weder Fähigkeiten verbessern, noch Gesetze verbiegen

Von René Heilig *

Am Donnerstag hat der UN-Sicherheitsrat beschlossen, die Sanktionen gegen Somalia auszuweiten, um die Gesetzlosigkeit in dem Land am Horn von Afrika zu beenden. Ob sich so Piraterie bekämpfen lässt, ist zweifelhaft. Doch auch markige Sprüche aus Berlin sind mit Skepsis zu bewerten.

Die UNO will vor allem den Zustrom von Waffen nach Somalia unterbinden. Dazu jedoch braucht man keine Kriegsschiffe. Vielmehr sieht der Plan finanzielle Sanktionen vor. Dazu gehört das Einfrieren von Konten. Der UN-Sanktionsausschuss soll Namen nennen.

Doch auch mit der EU und speziell mit Deutschland muss die Weltgemeinschaft rechnen. Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) hat UN-Generalsekretär Ban Ki Moon eine »weitere« Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen die Piraten zugesagt. Man werde – wie für die Operation »Enduring Freedom« – eine Fregatte entsenden. Die schwimmt in der Anti-Piraten-Operation der EU namens »Atalanta« mit. Und das hat Gründe. Denn nach deutschem Recht ist das Militär – sehr zum Leidwesen von Schäuble und Genossen – nicht befugt, für die Einhaltung von Recht und Ordnung zu sorgen. Die Zuständigkeit für eine derartige maritime Verbrecherjagd liegt bei der Bundespolizei See. Damit auch deutsche Kriegsschiffe nach Artikel 100 (und folgenden) des UN-Seerechtsübereinkommens Piraten zur Strecke bringen dürfen, wählt man einen Umweg. Es bedarf »des Handelns im Rahmen und nach den Regeln eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Artikels 24 des Grundgesetzes«. Sagen Juristen der Marine.

Sie erzürnen jene Politiker, die sich als »Durchgreifer« präsentieren möchten. Zu denen gehört SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, der ganz im Schäubleschen Fahrwasser die Verquickung der inneren mit der äußeren Sicherheit propagiert: »Wir blamieren uns hier ziemlich. Die Bundesmarine hätte längst eingreifen können.« Auch der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Peter Ramsauer, warnte, den Kampf gegen Piraten mit überzogenen rechtsstaatlichen Beschränkungen zu erschweren. »Es wäre ein Irrglaube zu meinen, man könnte mit dem letzten deutschen rechtsstaatlichen Schliff Piratennester am Horn von Afrika ausheben.«

Der Mann denkt an »Landgang«? Nicht einmal die schärfsten »Hechte« der Bundeswehr wagen das. Selbst wenn man mal alle juristischen Hürden für einen erneuten Auslandseinsatz deutscher Streitkräfte außen vor lässt, reden die Eingreifpolitiker wie die Blinden von der Farbe. Wer sich an Fakten hält, konstatiert zunächst einmal, dass das vom britischen Konteradmiral Philip Jones, dem Befehlshaber der EU-Antipiraten-Operation, bislang als Überwachungsraum bestimmte Gebiet 2000 x 500 Seemeilen groß ist.

Solch ein Seegebiet ist nur mit einer Armada aus Schiffen und Flugzeugen zu beherrschen. Experten der Marine rechnen cool. Gesetzt, eine deutsche Fregatte erhält einen Notruf und ist »nur« 100 Seemeilen vom Geschehen entfernt, so braucht sie rund vier Stunden, um vor Ort zu sein. Sie kommt um vier Stunden zu spät. Pfiffige verweisen auf den Einsatz von Bordhubschraubern. Die könnten einen Piratenüberfall höchstens verzögern, doch auch sie würden erst rund eine Stunde nach dem Notruf eines Frachters an seiner Seite sein.

Na gut, sagen politische Landratten, begleiten wir eben die Handels- durch Kriegsschiffe. Das würde bedeuten, dass man – wie in Zeiten des Zweiten Weltkrieges – Geleitzüge zusammenstellen müsste. So ist globaler Handel »just in time« nicht machbar. Und wie ist das mit der Einschiffung von Marinesoldaten auf Handelsschiffen? Die könnten doch anstürmende Piraten-Speed-Boats abwehren. Selbst wenn alle Spezialkräfte der Deutschen Marine ans Horn von Afrika verlegen – sie würden nicht annähernd alle unter deutscher Flagge fahrende, deutschen Reedern gehörende oder für deutsche Firmen tätige Frachter bemannen können.

Zudem haben diese Spezialkräfte, die schon durch die Operation »Enduring Freedom« in Anspruch genommen werden, andere Sorgen. Sie müssen das Entern erst einmal trainieren. Um Seeräuber zu eliminieren – ganz deeskalierend natürlich. Dazu verfügen die Spezialkräfte der Marine nur »im Ansatz über die Fähigkeiten zum Anbordgehen unter Bedrohung oder gegen aktiven Widerstand«. »Wichtiges dafür notwendiges Material muss noch beschafft werden und die Ausbildung im Zusammenspiel aller Beteiligten – der Schiffe, der Hubschrauber und der Spezialkräfte der Marine – bedarf einer intensiven, für diesen speziellen Einsatz erforderlichen verfahrensorientierten Ausbildung.« Soweit interne Bundeswehr-Analysen, die durchaus ein mögliches Zusammenwirken mit dem Kommando Spezialkräfte und der GSG-9 der Bundespolizei beleuchten.

Doch selbst wenn dafür juristisch irgendwie autorisierte deutsche Boarding-Kommandos in der Lage sind, Piratenschiffe zu entern, ergeben sich neue Probleme. Nach geltendem Recht müssen Inhaftierte innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt werden, der über deren weiteres Schicksal befindet. Auch wenn die Fregatte mit den Gefangenen an Bord rechtzeitig einen Hafen erreichen würde – welchen sollte sie ansteuern, um Kontakt zu einem funktionierenden Justizsystem aufzunehmen?

Die Bundesregierung will sich in den kommenden Tagen über den EU-Einsatz der deutschen Marine einigen. Das sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) während seines gerade absolvierten Indien-Besuchs. Dort hat man ihm offensichtlich mit Stolz erzählt, wie man das Problem Piraterie löst. Jüngst hatte eine indische Fregatte ein mutmaßliches Piratenschiff versenkt. Bleiben ja nur noch ein paar Dutzend andere. Und die Hintermänner wohnen ohnehin fernab von Somalia.

Wer, wie, was?

Freibeuterei war noch nie romatisch. Weder für Täter noch für Opfer. Zumeist entstand Piraterie aus Not. So ist es auch im 21. Jahrhundert. In Somalia entschließen sich vor allem Fischer, das »Fach« zu wechseln und ihren Lebensunterhalt mit Überfällen auf Handelsschiffe zu verdienen, die im Golf von Aden unterwegs sind. Sie werden unterstützt von somalischen Ex-Marineangehörigen – und ganz offensichtlich auch von erfahrenen Söldnern aus westlichen Staaten.

Warum verhaftet niemand Piraten?
Auf See ist das schwierig und setzt einen ungeheuren rechtlich-diplomatischen Prozess in Gang, der trotz UN-Resolution weitgehend ungeklärt ist. Im Bürgerkriegsland Somalia gibt es keine gesamtstaatlichen Autoritäten. Clans, die an der Piraterie verdienen, kontrollieren große Teile des Landes. Die Küste Somalias gehört zur Region Puntland, die sich zum autonomen Teilstaat erklärt hat. Anfang 2009 sind dort Präsidentschaftswahlen vorgesehen.

Wo sind Heimathäfen der Piraten?
Es gibt mehrere bislang aufgeklärte Stützpunkte an der 1400 Kilometer langen somalischen Küste. Bekannt ist die Fischerstadt Eyl mit knapp 20 000 Einwohnern. Sie liegt an der Ostküste der Region Nugaal, die Teil von Puntland im Norden Somalias ist. Sobald ein neues Schiff gekapert ist, läuft vor allem dort eine erprobte multinationale Maschinerie an. Erfahrene Vermittler und Advokaten gehören ebenso zur Piraten-Wirtschaft wie Computerspezialisten, Köche und Wachen.

Wie operieren die Freibeuter?
Die eigentlichen Basen der Piraten sind kleinere Beuteschiffe, die mit Speedboats – Schlauchbooten mit starkem Heckantrieb – ausgestattet sind und äußerlich unverdächtig erscheinen, weil sie auch zum Fischfang oder zu Handelstransporten benutzt werden. Mit den Speetboats docken die mit Handfeuer- und panzerbrechenden Waffen ausgerüsteten Piraten an und entern gut ausgesuchte Frachter.

Wie erfolgreich sind die Piraten?
Von allen versuchten Überfällen gelang bisher ungefähr ein Drittel.



* Aus: Neues Deutschland, 22. November 2008


Der Seehandel und die deutschen Abhängigkeiten

Der Weltseehandel hat sich in den vergangenen vier Jahrzehnten mehr als vervierfacht. Derzeit werden pro Jahr 7,57 Milliarden Tonnen Güter über eine Distanz von vier Millionen Seemeilen transportiert.

Den größten Anteil am globalen Seehandel haben Öltransporte (1,88 Milliarden Tonnen/24,8 Prozent). Platz zwei belegen die Kohletransporte (754 Millionen Tonnen/10 Prozent) gefolgt von Getreidetransporten (332 Millionen Tonnen/4,3 Prozent).

170 maritime Nationen stehen im Wettbewerb. Rund 10 000 Reedereien setzen rund 90 000 Schiffe ein, davon die Hälfte im internationalen Verkehr.

Deutschland ist als rohstoffarmes, aber exportorientiertes Land auf einen ungestörten Außenhandel angewiesen. Im Weißbuch wird der Bundeswehr unter anderem wegen der Absicherung der Rohstoffversorgung eine globale Bedeutung zuerkannt.

Die Verantwortung für den Schutz der deutschen Schifffahrt obliegt im Frieden wie in Krisen- und Konfliktsituationen eigentlich dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Städteentwicklung. Es hat alle Maßnahmen der »Zivilverteidigung Seeschifffahrt« zu koordinieren. In Sachen Piraterie hat sich das »Haus Tiefensee« bislang noch nicht zu Wort gemeldet.

** Aus: Neues Deutschland, 22. November 2008


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