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Somalias Parlament sucht einen Sitz

Hungersnot und politische Instabilität bestimmen Lage am Horn von Afrika

Von Anton Holberg

Am Horn von Afrika droht nach UNO-Angaben Millionen Menschen eine Hungersnot, allein in Somalia sind knapp zwei Millionen auf Hilfslieferungen angewiesen – schlechte Bedingungen für eine Rückkehr zur politischen Normalität.

Anfang des Monats vereinbarten Abdullahi Yusuf und Sharif Hassan Sheikh Adan, der Präsident und der Sprecher des somalischen Parlaments, in der jemenitischen Hauptstadt Sanaa, die nach Nairobi ausgewanderte Volksvertretung wieder in die Heimat zu verlegen. Nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten General Siad Barre 1991 war das Land in einen blutigen Bürgerkrieg versunken, der praktisch bis heute andauert. Daran haben die Intervention der US-Marines und der UNO 1992 ebenso wenig geändert wie die Ausrufung einer Regierung im Jahr 2000, einer Konkurrenzregierung ein Jahr später, auch nicht das seit August 2004 existierende Übergangparlament oder die Ernennung von Ministerpräsident Ali Mohammad Ghedi Dezember 2004. Bei seinen beiden Besuchen in der Hauptstadt Mogadischu im Vorjahr wäre der Regierungschef beinahe Attentaten zum Opfer gefallen.

Während sich das Übergangsparlament aus Sicherheitsgründen bis dato überhaupt nicht nach Somalia zurückgetraut hat, befindet sich die offizielle Regierung immerhin seit Juni vergangen Jahres in der Heimat – allerdings an verschiedenen Orten. Während Ghedi in Jowhar sitzt, haben sich andere Minister und der Parlamentssprecher – geschützt von ihren Clans – in der Hauptstadt niedergelassen. Die jüngste Übereinkunft, die die Rückkehr des Parlaments innerhalb eines Monats vorsieht, spart allerdings die Frage aus, wo der Sitz der Abgeordneten eingerichtet werden soll.

Auch ohne den für die überwiegend nomadische Viehzüchter-Gesellschaft der Somalis typischen Zwist zwischen den verschiedenen Stämmen und Clans steht die Regierung vor riesigen Problemen. Das größte ist wieder einmal die sich zur Katastrophe ausweitende Dürre in der gesamten Region. In Somalia gab es die schlechteste Ernte seit zehn Jahren. Nach Schätzungen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) sind zwei von fast sieben Millionen Einwohnern auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Die Möglichkeiten einer solchen internationalen Hilfe werden jedoch auch durch die politischen und sozialen Zustände im Land eingeschränkt. So verfügt zur Zeit das World Food Program der Vereinten Nationen nicht über ausreichend Nahrungsmittel, nachdem das selbst von der Dürre heimgesuchte Kenia keine weiteren Nahrungsmittel verkaufen will. Zudem weigerten sich kenianische Schifffahrtsgesellschaften wegen der vor den Küsten Somalias grassierenden Piraterie, die Häfen im Süden des Landes anzusteuern.

Somalia ist eines der wenigen afrikanischen Länder südlich der Sahara mit einer ethnisch homogenen Bevölkerung. Aber deren Spezialisierung auf nomadische und transhumante** Viehzucht sowie die auch damit verbundene ökonomische Rückständigkeit haben soziale Strukturen bewahrt, die die angesichts solcher Krisen unumgänglichen gesamtnationalen Kraftanstrengungen weit gehend unmöglich machen. Das Gezerre der Übergangsparlamentarier und Übergangsregierenden um ihre Amtssitze erweckt da kaum Hoffnung auf Besserung.

* Aus: Neues Deutschland, 16. Januar 2006

** = mit Herden wandernd


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