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Jetzt sollen es UN-Friedenstruppen richten

Äthiopien hievt "Übergangsregierung" an die Macht - bleibt aber im Land. Vermittlungsversuche

Äthiopiens Krieg gegen die faktische Regierungsgewalt in Somalia, die islamistische UIC (Union der Islamischen Gerichte) dazerte nicht lange: vom 23. bis zum 28. Dezember 2006. Doch eine Auseinandersetzung einer überlegenen Militärmacht gegen einen militärisch schwachen Gegner zu gewinnen, ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist die Stabilisierung des Nicht-Kriegs und die Etablierung der "Übergangsregierung", die seit zwei Jahren eine kümmerliche Existenz außerhalb der Hauptstadt Mogadischu geführt hatte und auch känftig nur schwer auf Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen dürfte.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Artikeln, die zu Jahresbeginn 2007 erschienen sind.



Lange Besatzung

Trotz anderslautender Ankündigungen werden die ausländischen Einheiten aus Somalia nicht abziehen

Von Knut Mellenthin *


Äthiopiens Regierungschef Meles Zenawi hat angekündigt, daß die Interventionstruppen seines Landes nur noch zwei Wochen in Somalia bleiben sollen. Er verband das mit einem Aufruf an die internationale Gemeinschaft, schnellstmöglich eine »Friedenstruppe« zu entsenden.

Da Meles jedoch zugleich ankündigt, äthiopische Soldaten müßten in Somalia bleiben, bis das Land »von Terroristen gesäubert und befriedet« ist, ist der Zeitrahmen nicht wörtlich zu nehmen. Der Ministerpräsident der somalischen »Übergangsregierung«, Ali Mohamed Ghedi, spricht in nationalen Medien daher auch offen davon, daß die Anwesenheit der äthiopischen Streitkräfte noch mehrere Monate lang erforderlich sein werde. Aus seiner Sicht ist das verständlich: Ohne die schwerbewaffneten Soldaten der von den USA aufgerüsteten und ausgebildeten äthiopischen Streitkräfte könnte sich seine »Übergangsregierung« wahrscheinlich keine Woche an der Macht halten. Auch Ghedi fordert aber den Einsatz einer internationaler Truppe.

Afrikanische Truppe

Die Grundlagen dafür hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen schon am 6. Dezember durch die von den USA vorgelegte und einstimmig verabschiedete Resolution 1725 geschaffen. Die UNO hat damit aber lediglich grünes Licht für die Umsetzung eines schon seit zwei Jahren vorliegenden Plans der Afrikanischen Union zur Aufstellung einer ausschließlich afrikanischen Friedenstruppe für Somalia gegeben. Die AU ist der Dachverband aller Staaten des Kontinents, mit Ausnahme Marokkos. Unterstützt wird der Plan auch von der IGAD (Intergovernmental Authority on Development), einem Zusammenschluß der Staaten Nordostafrikas. Mitglieder sind Somalia, Äthiopien, Dschibuti, Eritrea, Kenia, Sudan und Uganda.

Die Friedenstruppe wurde im November 2004 unter dem Kürzel IGASOM (Peacekeeping Mission of IGAD in Somalia) konzipiert, um die einen Monat zuvor auf einer Konferenz in Kenia gebildete »Übergangsregierung« zu unterstützen, die von Anfang an keinen großen Einfluß in Somalia hatte. Zum damaligen Zeitpunkt war unter anderem an Soldaten aus Äthiopien und Sudan gedacht worden. Später kam jedoch aufgrund internationalen Drucks die Maßgabe, daß Nachbarstaaten Somalias sich nicht an IGASOM beteiligen sollten. Damit war Äthiopien aus dem Rennen. Inzwischen sprechen sich der Sudan und Eritrea aus unterschiedlichen Gründen gegen das ganze IGASOM-Projekt aus.

Zur Zeit ist als einziges IGAD-Mitglied, das erstens keine Grenze mit Somalia hat und zweitens zur Truppenentsendung grundsätzlich bereit wäre, nur Uganda übriggeblieben. Die Rede ist von zunächst einer Einheit von maximal 1000 Mann. Eine zweite ugandische Truppe könnte einige Monate später folgen. Die Kosten des Einsatzes würden wohl hauptsächlich die USA übernehmen, die auch bei der Bewaffnung und Ausbildung der ugandischen Armee federführend sind.

Alter Plan überholt

Erst wenn IGASOM in Somalia stationiert wäre, so sah es der ursprüngliche Plan vor, sollte sie durch Kontingente aus anderen afrikanischen Staaten verstärkt werden. Angesichts der Tatsache, daß seitens der IGAD höchstens 2000 ugandische Soldaten zu erwarten sind, scheint der alte Plan jedoch überholt. Die somalische »Übergangsregierung« hat bereits mitgeteilt, daß Nigeria bereit wäre, 1800 Soldaten zu schicken.

Das würde insgesamt nicht einmal in abstrakten Zahlen, geschweige denn in realer Kampfkraft, ausreichen, um die mindestens 10000 äthiopischen Soldaten abzulösen, die zur Zeit in Somalia im Einsatz sind. Zu rechnen wäre also in absehbarer Zeit allenfalls mit einer Mischform, auf ein Nebeneinander von äthiopischen Interventionstruppen und einer UNO-mandatierten »Friedenstruppe«.

Immerhin hat der UN-Sicherheitsrat in der Resolution 1725 nicht den Abzug der Äthiopier gefordert. Statt dessen heißt es, daß durch den Einsatz einer afrikanischen Friedenstruppe »die Voraussetzungen für den Abzug aller ausländischen Kräfte aus Somalia geschaffen werden« sollen.

* Aus: junge Welt, 4. Januar 2007


Äthiopische Soldaten bleiben in Somalia

Forderung nach afrikanischer Friedenstruppe trifft auf wenig Resonanz / Initiative der EU **

Die äthiopischen Truppen müssen für Wochen oder auch Monate in Somalia bleiben, sagte der Premierminister Ali Mohammed Ghedi dem britischen Sender BBC. Dessen Forderung nach einer afrikanischen Friedenstruppe für Somalia stieß bislang nur auf geringe Resonanz. Während Uganda und Nigeria am Dienstag (2. Jan.) grundsätzlich Soldaten zusagten, war die Finanzierung des Einsatzes weiter unklar.

Deutschland hat die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union mit einer Initiative für Somalia begonnen. Einen Tag nach Übernahme des Vorsitzes lud Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier am Dienstag die europäischen Mitglieder der Internationalen Somalia-Kontaktgruppe zu gemeinsamen Beratungen in Brüssel am heutigen Mittwoch (3. Jan.) ein. »Ziel des Treffens ist es, eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Situation in Somalia vorzunehmen und die europäischen Bemühungen zu koordinieren, einen Beitrag zum Friedens- und Versöhnungsprozess in Somalia zu leisten«, teilte die deutsche Präsidentschaft mit.

Die freiwillige Abgabe von Waffen in der Hauptstadt Mogadischu lief unterdessen nur schleppend an. Die Übergangsregierung hat allen Kämpfern eine Frist bis Donnerstag gesetzt, die Waffen abzugeben. Islamisten, die dieser Aufforderung Folge leisten, sollen eine Amnestie genießen. Einer der lokalen Kriegsherrn, die von den Islamisten im Sommer vergangenen Jahres aus Mogadischu vertrieben worden waren, kündigte am Dienstag seine Rückkehr in die Politik an. Abdi Hassan Awale sagte auf einer Pressekonferenz in Mogadischu, er plane keine Vergeltung gegen die Islamisten und wolle mit der Übergangsregierung zusammenarbeiten.

Mogadischu ist ein Ruinenfeld: Ganze Straßenzüge der einst im italienischen Kolonialstil errichteten Metropole liegen nach 16 Jahren Bürgerkrieg in Trümmern. Die einzigen Fahrzeuge in den Straßen sind Eselkarren und Minibusse, die so schnell fahren, als müssten sie noch immer Geschossen ausweichen. Nach dem Rückzug der Islamisten ist die Ausgangsbasis für den Aufbau einer neuen Verwaltung und Infrastruktur in der Stadt mit rund 1,2 Millionen Einwohnern denkbar schlecht. Auch politisch sind die Konflikte nach der Einnahme Mogadischus keineswegs beendet. In vielen zerstörten Gebäuden verstecken sich islamistische Freischärler. Während Ghedi zur Waffenabgabe aufforderte, kündigte der Kommandeur der islamistischen Milizen, Scheich Jakub Moalim Ischak, eine Guerillataktik an.

Vermittler

Ali Mohammed Ghedi ist nicht zu beneiden: Der somalische Ministerpräsident hat eine politische Aufgabe, die der Quadratur des Kreises nahe kommt: die Versöhnung und Einigung des sich spätestens seit dem Sturz von Siad Barre 1991 im Zerfall befindlichen Landes am Horn von Afrika. Eigentlich bringt Ghedi für diesen Job vergleichsweise gute Voraussetzungen mit. Der 52-jährige Familienvater gehört dem Clan der Hawije an, einem der zwei größten Clans Somalias – allerdings in sich selbst zerstritten. Auch der radikale Islamistenführer Hassan Dahir Aweys ist ein Hawije und zusammen mit den Habr Gidir bilden die Hawije das Rückgrat des Rats der Somalischen Islamischen Gerichte (SICC), mit dem die von Ghedi geführte somalische Übergangsregierung auf Kriegsfuß steht. Aber Ghedi, der im November 2004 zum Premier ernannt wurde, ist nicht mit irgendeinem der bei der Bevölkerung verhassten Kriegsfürsten verbunden, die im Juni von den Milizen der SICC aus Mogadischu vertrieben wurden, bevor die jetzt selbst von äthiopischen Truppen in die Flucht geschlagen wurden. Dass er bei der Regierungsneubildung im August rigoros auf Mogadischus Kriegsfürsten verzichtete, brachte ihm Pluspunkte bei der Bevölkerung ein. Und als Gründungsmitglied und Präsident des Zusammenschlusses somalischer Nichtregierungsorganisationen hat er sich mehrfach als Vermittler und Versöhner versucht. So genießt Ghedi im Volk weit mehr Glaubwürdigkeit als viele andere somalische Politiker. Eine Gewähr für eine friedliche Zukunft Somalias nach dem vorläufigen militärischen Sieg der Übergangsregierung dank massiver äthiopischer Hilfe ist das freilich nicht. Die ersten Dialogangebote des Tierarztes Ghedi nach der Machtübernahme in Mogadischu wurden brüsk zurückgewiesen. »Das ist nicht die Zeit des Friedens. Das ist die Zeit der Befreiung, und wir werden unser Land von den Feinden befreien«, ließ Islamistenführer Scheich Mohamad verlauten. Ghedi bewegt sich im verminten Feld. »Wir würden bevorzugen, wenn die USA mit der Übergangsregierung statt mit Kriminellen arbeiten würden«, beklagte er sich im Mai. Nun hilft Äthiopien, ebenso verhasst wie die kriminellen Kriegsfürsten.

Martin Ling



** Aus: Neues Deutschland, 3. Januar 2007


Ultimatum an alle Bewohner Mogadischus

Somalia: Waffen sollen bis Donnerstag abgegeben werden. Islamische UIC räumt letzte Stützpunkte

Von Knut Mellenthin ***


Die Milizen der fundamentalistischen UIC (Union der Islamischen Gerichte) haben sich am Montag (1. Jan.) aus der somalischen Hafenstadt Kismajo, rund 300 Kilometer südlich der Hauptstadt Mogadischu, zurückgezogen. Zuvor hatten sich die UIC-Kämpfer nach einem Artillerieduell mit äthiopischen Invasionstruppen auch aus der nördlich von Kismajo gelegenen Stadt Dschilib abgesetzt. Kismajo im äußersten Süden Somalias war die letzte Zuflucht der UIC, nachdem sie in der Nacht zum Donnerstag kampflos die Hauptstadt geräumt hatte.

UIC-Sprecher hatten noch am Wochenende angekündigt, sie würden Kismajo gegen die Äthiopier und die von ihnen unterstützte »Übergangsregierung« verteidigen. Angeblich waren sie zuletzt aber von örtlichen Klanchefs gedrängt worden, angesichts der militärischen Überlegenheit der Äthiopier die Hafenstadt zu räumen,a um sie vor der Zerstörung zu bewahren und die Zivilbevölkerung zu schonen. Über den Verbleib der etwa 3000 UIC-Kämpfer herrscht Ungewißheit. Nach einigen Berichten versuchen sie, sich über die nahe Grenze nach Kenia zurückzuziehen.

Unterdessen wurden alle Bewohner Mogadischus aufgefordert, bis Donnerstag ihre Waffen abzugeben. Für die Befolgung dieser Anordnung wurde eine Amnestie versprochen. Nach Ablauf des Ultimatums will die »Übergangsregierung« die Waffen zwangsweise einziehen. Sie hat jedoch in den vergangenen Monaten nicht ein einziges Gefecht gegen die UIC gewinnen können. Ihr militärischer Erfolg beruht ausschließlich auf der Intervention Äthiopiens, dessen Armee dank massiver US-Hilfe als zweitstärkste Afrikas gilt. Maßgebliche Klanchefs, die bisher mit der UIC paktiert hatten, haben jetzt aufgrund des Kräfteverhältnisses die Seiten gewechselt. Beobachter gehen jedoch davon aus, daß die »Übergangsregierung« sich ohne Präsenz der äthiopischen Truppen, die bei den meisten Somalis sehr unbeliebt sind, nicht lange behaupten könnte.

*** Aus: junge Welt, 2. Januar 2007


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