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Äthiopien marschiert in Somalia ein und besetzt die Hauptstadt Mogadischu

Im Schlepptau: die schwache "Übergangsregierung" - Aussichten sind ungewiss

Es war nur eine Frage der Zeit, wann die militärische Regionalgroßmacht Äthiopien das Nachbarland Somalia einnehmen und die schwache und in der Bevölkerung nicht akzeptierte "Übergangsregierung" in die Hauptstadt bringen würde.
Im Folgenden dokumentieren wir eine Reihe von Artikeln, die zwischen Weihnachten 2006 und Neujahr erschienen sind.



Somalia: Tausende auf der Flucht

Versorgung nicht gewährleistet. Grenzen geschlossen. Hilfsorganisation beklagt Übergriffe von Regierungstruppen

Von Knut Mellenthin *


Tausende, vermutlich Zehntausende Somalis sind in den vergangenen Tagen vor den Kämpfen zwischen den äthiopischen Invasionstruppen und den Milizen der fundamentalistischen UIC (Union der Islamischen Gerichte) geflohen. Nach Schätzungen der UN-Flüchtlingshilfe und des Internationalen Roten Kreuzes haben die meisten Flüchtlinge nicht die Grenzen zu den Nachbarländern überschritten, wo schon Zehntausende vertriebene Somalis leben, sondern halten sich jetzt in anderen Landesteilen Somalias auf. Ihre Lage gilt als sehr ernst, ihre Versorgung als schwierig.

Die UNO liefert regelmäßig Hilfsgüter an zwei Millionen Somalis, die von Dürre, Überschwemmungen und Kriegsfolgen betroffen sind. Erst seit die UIC Anfang Juni die Macht in Mogadischu übernommen hatte, konnten Lieferungen wieder über den Hafen und den Flughafen der Hauptstadt laufen, die zuvor wegen des Bürgerkriegs jahrelang geschlossen waren. Der Angriff der äthiopischen Armee und der Milizen der »Übergangsregierung« hat erneut zu einer Schließung geführt, die nach Agenturberichten jedoch bald wieder aufgehoben werden soll. Unsicher ist aufgrund der jüngsten Entwicklung die Verteilung der Güter im Land. Die Straßen waren jahrelang von kriminellen Milizen kontrolliert worden, die Transporte plünderten oder »Schutzgeld« kassierten. Erst in den letzten Monaten hatte sich die Lage unter der Herrschaft der UIC grundlegend verbessert. Viele ausländische Beobachter fürchten jetzt, daß es wieder zu den alten Zuständen kommen könnte.

Unterdessen hat die internationale Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen den Milizen der »Übergangsregierung« vorgeworfen, sie seien in der Stadt Dinsor in eine von der Organisation betriebene Klinik eingedrungen, hätten dort das somalische Personal bedroht und alle Patientenakten beschlagnahmt. Die Organisation, die in Somalia mehrere Krankenhäuser betreibt, hat wegen der unsicheren Lage ihr gesamtes ausländisches Personal abgezogen.

* Aus: junge Welt, 30. Dezember 2006


Chaos in Mogadischu

Von Knut Mellenthin **

Nach dem Rückzug der Milizen der fundamentalistischen UIC (Union der Islamischen Gerichte) aus Mogadischu herrschte am Donnerstag (28. Dez.) in der somalischen Hauptstadt Chaos. Warlords, die sich aufgrund des Kräfteverhältnisses zeitweise der UIC untergeordnet hatten, versuchten, das Machtvakuum zu ihren Gunsten zu nutzen. Es kam zu Überfällen, Schießereien und Plünderungen. Berichte sprechen von organisierten Angriffen auf Waffenlager.

Von äthiopischen Truppen unterstützte Milizen der »Übergangsregierung« drangen im Verlauf des Donnerstags in die Hauptstadt ein. Bei Redaktionsschluß war jedoch unklar, wann die »Übergangsregierung«, die bisher in der Provinzstadt Baidoa residierte, ins Zentrum von Mogadischu einziehen wird. Ein Sprecher sagte, die »Übergangsregierung« führe zunächst Gespräche mit Clanchefs, Milizenführern und anderen maßgeblichen gesellschaftlichen Kräften, um einen möglichst reibungslosen, unblutigen Machtwechsel zu gewährleisten.

Äthiopische Truppen waren am 23. Dezember von Baidoa aus zur Offensive gegen die UIC angetreten, die bisher den größten Teil Somalias kontrolliert hatte. Die UIC-Milizen, die im Gegensatz zu den Äthiopiern nicht über Kampfflugzeuge, Panzer und schwere Artillerie verfügen, zogen sich seither weitgehend kampflos aus einer Reihe von Städten zurück. Auch die Räumung Mogadischus entspricht dieser Taktik. Die Macht der UIC beruhte zu keiner Zeit auf militärischer Stärke, sondern in erster Linie auf gesellschaftlichem Konsens: Nach 15 Jahren Bürgerkrieg und dem kriminellen Willkürregime konkurrierender Warlords erhofften sich große Teile der somalischen Bevölkerung von der UIC die Herstellung relativ sicherer, stabiler Verhältnisse. Tatsächlich trat im Herrschaftsbereich der UIC ein schneller Wandel ein. Die zahllosen Straßensperren, an denen Banden »Wegezoll« kassiert hatten, verschwanden. Erstmals seit vielen Jahren konnten der Hafen und der Flughafen von Mogadischu wieder in Betrieb genommen werden.

Die US-amerikanischen Medien sprechen jetzt offen davon, daß die äthiopische Militärintervention den Segen der Bush-Regierung hat. Jendayi Frazer, Unterstaatssekretärin im US-Außenministerium, hatte am 14. Dezember bereits vorweg die Begründung geliefert: Die Hoffnung der USA, daß sich innerhalb der UIC – einer Koalition unterschiedlicher Gruppen – die »gemäßigten« Kräfte durchsetzen, habe sich nicht verwirklicht. Das Führungsgremium der UIC werde jetzt von »Individuen der Ostafrika-Zelle von Al Quaida kontrolliert. Die Führungsschicht der UIC sind Extremisten, sie sind Terroristen.« Frazer warf Ägypten, Jemen, Eritrea und Saudi-Arabien vor, die UIC zu unterstützen. Die US-Regierung übe auf diese Staaten deswegen »Druck auf höchster Ebene« aus.

Am Dienstag (26. Dez.) verteidigten Sprecher des US-Außenministeriums ausdrücklich die äthiopische Militärintervention und mahnten lediglich zur »Zurückhaltung« gegenüber der Zivilbevölkerung. Eine vom arabischen Staat Katar eingebrachte Resolution, die den Abzug der äthiopischen Truppen aus Somalia fordert, scheiterte am Dienstag und Mittwoch im UN-Sicherheitsrat. Hingegen sprachen sich sowohl die Afrikanische Union (der bis auf Marokko alle Staaten des Kontinents angehören) als auch die Arabische Liga für den Abzug aller ausländischen Truppen aus Somalia aus.

** Aus: junge Welt, 29. Dezember 2006


Äthiopische Truppen auf dem Vormarsch

US-Regierung rechtfertigt Intervention Addis Abebas’ in Somalia. UN-Sicherheitsrat verschiebt Entscheidung

Von Knut Mellenthin ***


Die US-Regierung hat sich offen hinter die äthiopische Militärintervention in Somalia gestellt. Ein Sprecher des Außenministeriums sagte am Dienstag abend (26. Dez.): »Äthiopien hat ernsthafte Sicherheitsbedenken angesichts der Entwicklung in Somalia und auf Bitten der international anerkannten Übergangsregierung Unterstützung geleistet.« Gleichzeitig betonte er, alle Seiten sollten die Feindseligkeiten einstellen und an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Die USA haben Äthiopien seit dem 11. September 2001 zu ihrem wichtigsten Stützpunkt in Nordostafrika ausgebaut und die Streitkräfte des Landes durch Militärhilfe zu einer der stärksten Armeen des Kontinents entwickelt. Nach Angaben der New York Times befinden sich rund 100 amerikanische Militärausbilder in Äthiopien. Das Pentagon dementierte am Mittwoch Berichte, daß einige von ihnen den Äthiopiern bei ihrer Offensive in Somalia beratend zur Seite stehen. Zu Meldungen, daß die US-Luftwaffe von Dschibuti aus die Äthiopier durch Aufklärungsflüge unterstützt, wollten US-Militärs jedoch keinen Kommentar abgeben. In Dschibuti ist seit 2002 eine amerikanisch geführte internationale Task Force stationiert, an der auch die deutsche Bundesmarine beteiligt ist.

Der zu einer Sondersitzung einberufene UN-Sicherheitsrat hatte sich am Dienstag abend (Ortszeit) ohne Ergebnis auf Mittwoch vertagt. Ein Antrag des Vertreters von Katar, der die Forderung nach dem Rückzug der äthiopischen Truppen enthielt, war vor allem am Widerspruch der USA und Großbritanniens gescheitert. Unterdessen hat die Afrikanische Union (AU) Äthiopien am Mittwoch (27. Dez.) aufgefordert, seine Truppen aus Somalia »unverzüglich« abzuziehen.

Die äthiopischen Truppen setzten auch am Mittwoch (27. Dez.) ihren Vormarsch fort. Die somalischen Milizen, die im Gegensatz zu den Angreifern weder eine Luftwaffe noch Panzer besitzen, gaben eine Reihe von Städten fast kampflos auf und bereiten sich vor allem rund um die Hauptstadt Mogadischu auf einen Guerillakrieg vor.

*** Aus: junge Welt, 28. Dezember 2006

Ein neuer Krieg der USA

Von Knut Mellenthin ****

Die äthiopische Regierung hat am Samstag (23. Dez.) der ­Union der Islamischen Gerichte (UIC), die den größten Teil Somalias kontrolliert, den Krieg erklärt. Vorausgegangen waren schon seit vergangenem Dienstag (19. Dez,) schwere Kämpfe rund um die südsomalische Provinzstadt Baidoa. Dort residiert die mit Äthiopien verbündete »Übergangsregierung« (TFG). Sie wurde im Oktober 2004 auf einer Konferenz in Kenia gebildet und stellte eine Koalition der damals einflußreichsten Klanführer dar. Die TFG war jedoch war von Anfang an zerstritten und hat nie mehr als die Umgebung von Baidoa beherrscht. Sie wird allerdings von der UNO und von der Afrikanischen Union als legitim anerkannt.

Anfang Juni setzte sich in der Hauptstadt Mogadischu die UIC gegen eine Koalition von Kriegsherren durch, die vom US-Geheimdienst CIA finanziert und beraten worden waren. Am 20. Juni besuchte General John Abizaid, Chef des US-Kommando-Bereichs Mitte, zu dem Nordostafrika gehört, die äthiopische Hauptstadt Addis Abeba. Seit diesem Zeitpunkt begann Äthiopien, Tausende Soldaten nach Somalia zu schicken. Sie wurden überwiegend in der Umgebung von Baidoa stationiert. Schon vor der offiziellen Kriegserklärung befanden sich nach niedrigen Schätzungen 10000 äthiopische Soldaten in Somalia; die UIC sprach sogar von 30000. Addis Abeba hatte jedoch bis zur Kriegserklärung behauptet, es unterhalte im Nachbarland nur einige hundert Ausbilder.

Äthiopien ist seit langem der Hauptverbündete der USA in der Region. Seit 2002 hat das von christlichen Politikern autoritär regierte Land, dessen Bevölkerung zur Hälfte moslemisch ist, im Zuge des »Kriegs gegen den Terror« verstärkt amerikanische Militärhilfe bekommen.

Die äthiopischen Truppen haben in den ersten zwei Tagen ihrer Offensive mehrere Städte rund um Baidoa eingenommen. Der Botschafter der TFG in Addis Abeba behauptete am Dienstag, die Äthiopier seien nur noch 70 Kilometer von Mogadischu entfernt und könnten die Hauptstadt binnen 48 Stunden einnehmen.

Militärtechnisch ist Äthiopien – ein Staat mit 75 Millionen Einwohnern; Somalia hat zwölf Millionen – der UIC weit überlegen. Diese besitzt weder eine Luftwaffe noch Panzer und vermutlich auch nur wenig mobile Artillerie. Die offene Aggression des bei den meisten Somalis verhaßten Nachbarlandes wird jedoch aller Voraussicht nach selbst bisherige Gegner des islamischen Fundamentalismus der UIC zu einem nationalen Verteidigungskampf zusammenführen. Die äthiopische Armee wird das Land nicht besetzt halten können.

Das weiß auch die US-Regierung, die dem Regime in Addis Abeba bei einem neuerlichen Besuch von General Abizaid am 4. Dezember vermutlich grünes Licht für die Aggression gegeben hat. Das Ziel Washingtons könnte darin bestehen, eine internationale Militärintervention zu legitimieren. Der UNO-Sicherheitsrat hat am 6. Dezember bereits – gegen den Protest der UIC – der Entsendung einer afrikanischen »Friedenstruppe« nach Somalia zugestimmt. Bisher war davon ausgegangen worden, daß es bis zu deren Bereitstellung mindestens ein halbes Jahr dauern würde. Die Verschärfung der Lage durch die offene äthiopische Aggression könnte nun den Sicherheitsrat veranlassen, das Verfahren zu beschleunigen oder selbst in die Hand zu nehmen.

* Aus: junge Welt, 27. Dezember 2006


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