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Kampf um Zentralsomalia

Uranprovinz Galguduud: "Gemäßigte Muslime" im Bunde mit Äthiopien

Von Knut Mellenthin *

Nach schweren Kämpfen in Somalia wurden am Wochenende mindestens 47 Tote und hundert Verletzte gemeldet. Anderen Angaben und Schätzungen zufolge könnte die Zahl der Getöteten doppelt so hoch sein. Das ist ungewöhnlich, da die somalischen Bürgerkriegsparteien es meistens vorziehen, verlustreiche Gefechte zu vermeiden, und die jeweils schwächere Seite deshalb oft ihre Stellungen räumt, ohne einen Schuß abzugeben.

Gekämpft wurde um die Herrschaft über Dusamareb, die etwa 560 Kilometer nördlich von Mogadischu gelegene Hauptstadt der Provinz Galguduud. Diese ist nicht nur durch ihre zentrale Lage strategisch wichtig, sondern hier befinden sich auch die vermutlich größten Uranvorkommen des afrikanischen Kontinents.

Die als »gemäßigt muslimisch« bezeichnete »Ahlu Sunna Waljamaca« hat ihre Kontrolle über Dusamareb gegen die Angreifer von der radikal-islamischen Al-Schabaab verteidigt, nachdem diese am Sonnabend zunächst die Oberhand zu haben schienen. Al-Schabaab beherrscht den Süden des Landes, große Teile des sich Richtung Norden anschließenden Zentralsomalias und die meisten Stadtviertel der Hauptstadt Mogadischu. Ahlu Sunna ist vor allem in Mittelsomalia stark; in Galguduud kontrolliert sie seit Januar 2009 die wichtigsten Städte.

Ahlu Sunna kommt aus der Tradition der Sufi-Richtung des Islam, die Somalia lange Zeit geprägt hat. Diese ist insgesamt deutlich liberaler als die Salafisten von Al-Schabaab und auch als die zweite große fundamentalistische Gruppierung des Landes, die Hisbul Islam. Bis Ende 2008 war Ahlu Sunna gemäß der Sufi-Tradition überwiegend politisch passiv und friedfertig; sie verfügte nicht über eine eigene Miliz.

Das änderte sich schlagartig im Dezember 2008, als die Führung der Gruppe zum Dschihad gegen Al-Schabaab aufrief. Zu dieser Zeit bereiteten sich die zwei Jahre zuvor nach Somalia gekommenen Interventionstruppen aus dem verfeindeten Nachbarland Äthiopien auf ihren Abzug vor, der im Januar 2009 abgeschlossen wurde. Plötzlich und von Anfang an sehr erfolgreich trat Ahlu Sunna mit militärischen Einheiten auf, die offenbar von den Äthiopiern ausgerüstet und ausgebildet worden waren. Andere Gebiete übergaben die äthiopischen Truppen bei ihrem Abzug an verbündete somalische Warlords.

Der Aufstieg von Ahlu Sunna erklärt sich zum Teil auch damit, daß Al-Schabaab die religiösen Bräuche und die Kultur der Sufisten gewaltsam unterdrückt hatte. Besonderen Abscheu in der örtlichen Bevölkerung erregte die Zerstörung von Friedhöfen. Dort waren die Gräber von Klerikern verehrt worden, die in besonders hohem Ansehen gestanden hatten. Nach Ansicht der Salafisten stellt diese Praxis einen schweren ketzerischen Verstoß gegen den Monotheismus des Islam dar.

Ahlu Sunna ist heute, neben der aus 5300 ugandischen und burundischen Soldaten bestehenden afrikanischen »Friedenstruppe« AMISOM, die ausschließlich in Mogadischu stationiert ist, die wichtigste Stütze der sogenannten Übergangsregierung (TFG), die nur über kleine Teile der Hauptstadt herrscht. Indessen hat die Organisation zwar vor einem Jahr die Wahl von Scharif Scheich Ahmed, einem »gemäßigten« Islamisten, zum Präsidenten anerkannt und begrüßt, doch ist ihr Verhältnis zur TFG gespannt.

Unmittelbarer Anlaß des Angriffs von Al-Schabaab auf Dusamareb war die Absicht der Ahlu-Sunna-Führung, in enger Zusammenarbeit mit Äthiopien in den von ihr beherrschten Gebieten eine eigene Verwaltung aufzubauen. Zu diesem Zweck sollte in der Stadt eine Konferenz stattfinden, die aufgrund des Angriffs um mindestens zwei Wochen verschoben werden mußte. Sprecher von Al-Schabaab behaupten jetzt, es sei bei dem militärischen Vorstoß vom Wochenende gar nicht um die Eroberung von Dusamareb, sondern um die Verhinderung der Konferenz gegangen.

* Aus: junge Welt, 5. Januar 2010


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