Mehrheit der Somalier gegen Islamisten-Regime
ND-Gespräch mit der Politologin Paula Roque *
Somalias Übergangsregierung gerät in Gefechten mit islamistischen Milizen zunehmend in Bedrängnis. Die radikale Shabab-Bewegung kontrolliert weite Teile der Hauptstadt Mogadischu. Mit Paula Roque, Analystin für das Horn von Afrika am südafrikanischen Institut für Sicherheitsstudien in Pretoria, sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Ruben Eberlein.
Die militanten islamistischen Gruppen in Somalia, Al-Shabab und Hisbul Islam, gewinnen derzeit
immer mehr an Boden in Mogadischu. Wird sich die Übergangsregierung noch lange halten können?
Als die jüngste Offensive am 7. Mai begann, sah es zunächst so aus, als ob die Regierung diesen
Angriff nicht überstehen würde. Aber bis jetzt ist sie dank der Unterstützung durch verbündete
Milizen und die Amisom-Truppe der Afrikanischen Union (AU) nicht vollständig
zusammengebrochen. Seit dem 20. Juni jedoch, als das Parlament die Nachbarländer zur
Intervention aufforderte und Präsident Sheikh Sharif Sheikh Ahmed den Notstand erklärte, wird
immer klarer, dass die Regierung und Amisom große Schwierigkeiten haben, einen militärischen
Sieg der Islamisten zu verhindern.
Wie viele ausländische Kämpfer werden an der Seite der regierungsfeindlichen Milizen in Somalia
vermutet?
Es gibt verschiedene Angaben. Meist wird von 300 bis 1000 Personen ausgegangen. Deren
Nationalitäten sind nur zum Teil bekannt, aber wir wissen, dass Pakistanis und Afghanen involviert
sind. Angeblich sollen auch kenianische Kommandeure einer ostafrikanischen Schläfer-Zelle mit
Verbindungen zu Al-Qaida vor Ort sein, ebenso wie US-amerikanische Staatsbürger und Europäer.
Das ist also eine recht bunte Truppe globaler Dschihadisten.
Welche Strategie sollte gegenüber diesen internationalen Islamisten eingeschlagen werden?
Das sind Leute, die sich ausschließlich aus ideologischen Gründen an den Kämpfen beteiligen. Es
geht für sie darum, die Ungläubigen zu bekämpfen und die somalische Gesellschaft gemäß ihres
salafistischen Wahabismus zu reinigen, und das schließt eine Reinigung von den moderateren
Versionen des Islams ein. Deshalb ist es schwierig, überhaupt auf sie zuzugehen. Und da sie keine
Somalier sind, haben sie auch keinerlei Legitimation bei Verhandlungen. Die Übergangsregierung
sollte also vielmehr auf jene zugehen, die diese internationalen Kämpfer eingeladen haben und
beherbergen, und das ist Al-Shabaab.
Welche Wirkung hatte die vom Westen unterstützte Intervention der äthiopischen Armee im
Dezember 2006 mit Blick auf die militanten Islamisten in Somalia?
Ich denke, dass Äthiopien eine Verantwortung für die Radikalisierung des Islamismus im Land trägt.
Nicht unbedingt aufgrund der Intervention an sich, denn diese wurde vom damaligen Präsidenten
Abdullahi Yusuf Ahmed erbeten. Aber wie dieser Krieg zum Sturz der seit Juni 2006 regierenden
Union Islamischer Gerichte (UIC) geführt wurde, das heißt die Verbrechen und Kriegsgräuel, die von
den Truppen Äthiopiens und der Übergangsregierung verübt wurden, das bereitete die Grundlage
für die Ausbreitung des Dschihadismus in Somalia. Die Intervention und der Krieg, der sich
anschloss, ermöglichten es Al-Shabab, eine Anhängerschaft durch eine Vereinigung von
Nationalismus und Islamismus aufzubauen.
Dieser Tage gaben die USA bekannt, dass sie Waffen an die Übergangsregierung liefern. Glauben
Sie, dass das eine angebrachte Initiative ist?
Das US-amerikanische Engagement in Somalia unter Präsident Bush heizte den Konflikt an, weil
das Land vor allem durch das Prisma des »Krieges gegen den Terror« gesehen wurde. Es scheint
umsichtig, dass sich die USA nun auf die Bereitstellung von militärischer Hilfe beschränken und nicht
auf andere Art intervenieren. Der Waffenexport nach Somalia ist allerdings gegenwärtig ein Verstoß
gegen das UN-Waffenembargo, das Lieferungen an alle Akteure in Somalia verbietet. Die AU hat die
UNO zwar gebeten, das Embargo aufzuheben. Doch ist das bisher nicht geschehen.
Denken Sie, dass sich der Westen und die afrikanischen Nachbarn mit einem Regime nach Art der
Taliban in Somalia abfinden würden?
Nein. Somalia hat in Afrika und in Bezug auf den Nahen Osten eine
wichtige strategische Lage. Seit dem 11. September 2001 wird auf jeden Zufluchtsort für potenzielle
Terroristen sofort reagiert. Und Somalia wird tatsächlich solch ein Zufluchtsort. Es gibt Berichte,
dass Al-Qaida eine Zelle einrichtet und dass in den Gebieten, die von der Al-Shabaab kontrolliert
werden, Trainingslager entstehen.
Der Westen wird das ebenso wenig akzeptieren wie die Nachbarn Somalias. Kenia und Tansania
erlebten 1998 ihre eigenen Terrorattacken. Außerdem gehen in Kenia seit langem Warnungen über
unmittelbar bevorstehende Anschläge ein. Äthiopien würde auch seine Sicherheitsinteressen
gefährdet sehen. Darüber hinaus haben die meisten Somalier eine in religiösen Angelegenheiten
moderate Einstellung. Ich glaube nicht, dass eine Mehrheit im Lande Sympathien für die Art des
radikalen Islamismus hat, die Al-Shabab propagiert.
* Aus: Neues Deutschland, 1. Juli 2009
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