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Intervention gefordert

Die von Äthiopien dominierte nordostafrikanische Staatengemeinschaft IGAD will Somalia zum Schauplatz eines internationalen Krieges machen

Von Knut Mellenthin *

Äthiopien hat am Wochenende weitere Soldaten nach Zentralsomalia geschickt. Einwohner berichteten, daß die Truppen mit Panzern und Artillerie ausgerüstet seien. Die Invasion des christlich geprägten Regimes in das muslimische Nachbarland hatte am 20. November mit einigen hundert Mann begonnen. Da äthiopische Streitkräfte aber häufig in den grenznahen Gebieten operieren, herrschte über Ausmaß und Ziel der jüngsten Aktionen zunächst Unklarheit. Äthiopien hatte im Dezember 2006 mit mehreren tausend Soldaten in den somalischen Bürgerkrieg eingegriffen, um die nicht demokratisch legitimierte Übergangsregierung gegen islamistische Milizen zu unterstützen. Die Intervention endete mit einem politischen Fiasko: Selbst die US-Regierung, die den Einmarsch gefördert hatte, räumt im Rückblick ein, daß das Eingreifen des traditionell feindlichen Nachbarlands den Einfluß der Islamisten enorm gestärkt hat. Im Januar 2009 zog Addis Abeba seine Truppen aus Somalia ab.

Für eine erneute Invasion hat Äthiopien diesmal von vornherein den Segen der nordostafrikanischen Staatengemeinschaft IGAD. Auf einem Gipfeltreffen des Bündnisses, das am Freitag in der äthiopischen Hauptstadt stattfand, wurde Äthiopien sogar ausdrücklich aufgefordert, sich am Krieg gegen die islamistische Al-Schabab zu beteiligen. Es wäre dann der vierte Staat neben Uganda und Burundi, die das Personal der in Mogadischu stationierten »Friedenstruppe« AMISOM stellen, und Kenia, dessen Streitkräfte am 16. Oktober in drei südsomalische Regionen einmarschiert waren.

Der IGAD gehören neben Äthiopien und Somalia auch Dschibuti – Standort des größten NATO-Stützpunkts auf dem afrikanischen Kontinent –, Kenia, Uganda und Sudan an. Eritrea suspendierte 2007 seine Mitgliedschaft wegen der Unterstützung der IGAD für Äthiopien im Grenzkonflikt zwischen den beiden Staaten und wurde daraufhin ausgeschlossen. Als neues siebtes Mitglied wurde in der vergangenen Woche Südsudan aufgenommen. Die Staatengemeinschaft wird von Äthiopien dominiert, das nach dem Umsturz in Libyen auch innerhalb der Afrikanischen Union (AU) eine nicht mehr ausbalancierte Vormachtstellung einnimmt.

Das IGAD-Gipfeltreffen am 25. November begrüßte im übrigen den kenianischen Einmarsch nach Südsomalia, rief die Regierung in Nairobi aber auf, ihre Interventionstruppen in die AMISOM zu integrieren. Dazu müßte allerdings deren 2007 durch die AU erteiltes Mandat geändert werden: Erstens ist es auf Mogadischu beschränkt, und zweitens dürfen der »Friedenstruppe« keine direkten Nachbarn Somalias angehören.

An den UN-Sicherheitsrat appellierte das IGAD-Treffen, das Mandat der AMISOM auf Mittel- und Südsomalia auszuweiten und die bisherige Personalobergrenze – 12000 Mann – so anzuheben, daß sie zur »Konsolidierung von Frieden und Sicherheit« ausreicht. Eine konkrete Zahl wurde nicht genannt, doch wird im allgemeinen von 20000 Mann ausgegangen. Außerdem wiederholte die IGAD ihre alte Forderung an die Weltorganisation, über die somalischen Häfen Kismajo, Haradhere, Marka und Barawe eine Seeblockade sowie über mehrere von Al-Schabab beherrschte Städte eine Flugverbotszone zu verhängen. Damit steht – außer der Skepsis der Regierungen in den USA und Europa – einer großen internationalen Intervention nichts mehr im Wege.

* Aus: junge Welt, 28. November 2011


Hilfsorganisationen verboten

Somalische Miliz verschärft Lage der Hungernden **

Für Hunderttausende von Hungernden in dem Krisenland Somalia wird die Lage immer brisanter.

Die radikalislamische Al-Schabaab-Miliz hat jetzt 16 internationalen Hilfsorganisationen verboten, weiter in den von ihr kontrollierten Gebieten im Süden und im Zentrum Somalias zu operieren. Die Extremisten warfen den Organisationen in einer Mitteilung unter anderem »illegale Aktivitäten und Fehlverhalten« vor. Zudem verbreiteten sie die »erniedrigenden Werte der Demokratie in einem islamischen Staat«. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) darf demnach nicht mehr in der Region arbeiten, ebenso wie ein halbes Dutzend UN-Agenturen - darunter das Kinderhilfswerk UNICEF, das Flüchtlingskomitee UNHCR und die Weltgesundheitsorganisation. Bewaffnete Islamisten seien in Büros einiger Hilfsorganisationen eingedrungen und hätten Ausrüstung beschlagnahmt.

Das UNHCR zeigte sich am Dienstag (29. Nov.) »besorgt« über die Entscheidung der Miliz. »Dies kommt zu einem Zeitpunkt, an dem in Süd- und Zentralsomalia eine schreckliche humanitäre Krise herrscht«, sagte Andrej Mahecic, ein Sprecher der Organisation. »Nach Dürre und Hunger machen jetzt ständige Kämpfe und schwere Regenfälle die ohnehin dramatische Situation noch schlimmer.«

Viele Menschen sind gerade im besonders schwer betroffenen Süden des Landes auf Hilfe angewiesen. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind noch immer 250 000 Menschen in dem Bürgerkriegsland akut vom Hungertod bedroht.

** Aus: neues deutschland, 30. November 2011


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