Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Somalia im Sog des "endgültigen Krieges"

Islamistische Terroristen wollen die Soldaten der Afrikanischen Union vertreiben

Der Weltsicherheitsrat in New York hat den Anschlag islamistischer Aufständischer auf ein Hotel in Somalias Hauptstadt Mogadischu verurteilt.

Das Blutbad in der Nähe des Präsidentenpalastes hatte am Dienstag (24. Aug.) Dutzende Opfer gefordert, darunter mindestens sechs Parlamentsabgeordnete. Der amtierende Ratspräsident Vitali Tschurkin (Russland) ermahnte die somalische Führung, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

Die somalischen Al-Shabaab-Rebellen, die Kontakte zum Terrornetz Al Qaida haben sollen, führen seit Montag (23. Aug.) eine neue Offensive gegen die Friedenstruppen der Afrikanischen Union (AU), die in dem Krisenstaat stationiert sind. Sie erklärten den etwa 6000 Soldaten der AU in Somalia den »endgültigen Krieg« und drohten damit, ihnen den Todesstoß zu versetzen.

Als Sicherheitskräfte der Regierung verkleidete Shabaab-Kämpfer hatten nach Polizeiangaben das Hotel »Muna« gestürmt und das Feuer eröffnet. Danach zündeten sie einen Sprengsatz. Die Parlamentarier, fünf Regierungssoldaten und 20 Hotelmitarbeiter wurden getötet. Augenzeugen schilderten, der Boden sei mit Leichen übersät gewesen.

»Sie (die Rebellen) wollen definitiv nur eines, nämlich die Menschen in Somalia terrorisieren«, sagte der somalische Informationsminister Abdirahman Omar Osman. »Dies ist eine verwerfliche Aktion in diesem heiligen Monat Ramadan.« Das Vorgehen der Rebellen zeige deren Brutalität und Unmenschlichkeit.

Am Montagabend (23. Aug.) hatte die Rebellen-Offensive gegen Regierungseinrichtungen und Stellungen der AU-Soldaten begonnen. Augenzeugen sprachen von den schwersten Gefechten seit Monaten, bei denen auch Granatwerfer eingesetzt wurden.

Ziel der Islamisten ist es, die schwache, vom Westen gestützte Regierung zu vertreiben, die in Mogadischu von Truppen der Afrikanischen Union aus Uganda und Burundi geschützt wird.

Bei Gefechten zwischen Kämpfern der Al-Shabaab-Miliz und Regierungstruppen wurden auch am Mittwoch mehrere Menschen getötet, wie Augenzeugen berichteten. Ein ugandischer Armeesprecher sagte, die Gewalt werde nicht dazu führen, die Pläne für die Entsendung weiterer Friedenstruppen zu ändern. »Wir haben die Situation gut im Griff«, sagte er.

Papst Benedikt XVI. rief zur internationalen Hilfe für Somalia auf. Man dürfe keine Anstrengungen scheuen, um dem Respekt für das Leben und die Menschenrechte in dem ostafrikanischen Land wieder Geltung zu verschaffen, erklärte Benedikt nach der Generalaudienz am Mittwoch in seiner Sommerresidenz Castel Gandolfo. »Ich bin in Sorge um Mogadischu, von wo weiterhin über grausame Gewalt berichtet wird, mit einem neuen Blutbad gestern«, so der Papst.

Somalia hat seit 1991 keine funktionierende Regierung mehr und versinkt zunehmend im Chaos. Politische Beobachter forderten die Übergangsregierung in Mogadischu und die internationale Gemeinschaft auf, Strategien für Somalia mit neuen politischen Akteuren zu entwickeln.

* Aus: Neues Deutschland, 26. August 2010


Zerstrittene Clans

Somalia: Al-Schabab-Kämpfer setzen ihre Offensive in Mogadischu fort

Von Knut Mellenthin **


Die Streitkräfte der islamistischen Al-Schabab setzen ihre am Montag (23. Aug.) begonnene Offensive in der somalischen Hauptstadt Mogadischu fort. Bei Kämpfen am Dienstag Abend und Mittwoch Vormittag wurden mindestens sechs Menschen getötet und 25 verletzt. Al-Schabab-Einheiten versuchten, sich noch näher zum Präsidentenpalast vorzukämpfen. Sie wurden aber von der afrikanischen „Friedenstruppe“ AMISOM, die als einzige Bürgerkriegspartei über Panzer verfügt, angeblich zurückgedrängt.

Die somalische Übergangsregierung kontrolliert mit Hilfe der AMISOM nur noch einen wenige Kilometer breiten Streifen der Hauptstadt, der entlang des Indischen Ozeans liegt. Zu diesem Gebiet gehören einige Regierungsgebäude, der Hafen und der Flughafen. Die „Friedenstruppe“ hatte bisher einen Personalbestand von etwa 5300 Mann, je zur Hälfte ugandische und burundische Soldaten. Seit vorigem Freitag wird das ugandische Kontingent um voraussichtlich 1200 Mann verstärkt. Die nie erreichte Sollstärke von AMISOM beträgt 8000 Mann. Die Afrikanische Union, die Dachorganisation aller Staaten des Kontinents, verhandelt – bisher erfolglos – mit mehreren Regierungen, um sie zu einer Beteiligung an der „Friedenstruppe“ zu bewegen. Die Sicherheitskräfte der Übergangsregierung sind weitgehend zusammengebrochen. Seit einiger Zeit kämpfen in Mogadischu Milizionäre der mit der Regierung verbündeten Ahlu-Sunna. Diese Organisation stützt sich auf die islamische Glaubensrichtung des Sufismus, die in einigen moslemischen Ländern als „ketzerisch“ behandelt wird, aber in der Bevölkerung Somalias traditionell sehr populär ist.

Am Dienstag (24. Aug.) waren beim Überfall einer noch unbekannten Zahl von Al-Schabab-Kämpfern auf ein Hotel in der von AMISOM bewachten Sicherheitszone der Hauptstadt mindestens 31 Menschen getötet worden. Darunter waren sechs oder nach neueren Berichten acht Parlamentsabgeordnete. Das Hotel Muna – nicht Huna, wie es in ersten Meldungen hieß – liegt nur wenige hundert Meter vom Präsidentenpalast, der Villa Somalia, entfernt. Viele Regierungsbeamte und Parlamentarier leben dort, wenn sie sich in der Hauptstadt aufhalten. Während es sich nach ersten offiziellen Berichten nur um drei Angreifer handelte, war später von vier bis fünf die Rede. Ein Al-Schabab-Sprecher erklärte, die Aktion sei von einer „Spezialeinheit“ durchgeführt worden.

Das somalische Parlament, dem der Angriff anscheinend hauptsächlich galt, wurde – ebenso wie die Übergangsregierung - vor sechs Jahren auf einer internationalen Konferenz in Kenia gebildet. Ihm gehörten zunächst 275 Abgeordnete an. Je 61 Mandate sollten von den vier wichtigsten Clans Somalias besetzt werden. Die übrigen 31 Sitze wurden unter die zahlreichen kleineren Clans und die ethnisch nicht somalischen Bevölkerungsgruppen aufgeteilt. Spätestens 2009 hätten Wahlen stattfinden sollen, die inzwischen auf 2011 verschoben wurden, aber höchstwahrscheinlich ausfallen werden.

Im Januar 2009 wurde die Abgeordnetenzahl auf 550 verdoppelt. 200 neue Sitze entfielen auf den „gemäßigten Flügel der Islamisten“, der seither an der Übergangsregierung beteiligt ist und auch den Präsidenten stellt. Weitere 75 gingen nach einem undurchsichtigen Verfahren an „gesellschaftliche Gruppen“. Im Frühjahr 2010 schloss die Ahlu-Sunna einen Pakt mit der Übergangsregierung, der ihr zwar einige Ministerposten, aber bisher keine Abgeordnetenmandate eintrug. Innerhalb der AS ist das ganze Abkommen und seine praktische Umsetzung stark umstritten.

** Aus: junge Welt, 26. August 2010


Es droht der Zerfall

Von Olaf Standke ***

Der Papst hat es getan, der Weltsicherheitsrat auch. Geht es um die verbale Verurteilung der eskalierenden Gewalt in Somalia, dann fehlt es nicht an Solidarität mit der Bevölkerung in dem bettelarmen afrikanischen Staat. Doch stringente politische Konzepte für eine nachhaltige Befriedung des Landes gibt es immer noch nicht. Der Papst kann sie natürlich nicht liefern, aber vom wichtigsten UN-Gremium und den dort letztlich entscheidenden Vetomächten sind sie zu fordern. Seit fast zwei Jahrzehnten gibt es in Somalia keine funktionierende Zentralregierung mehr, dafür Bürgerkrieg rivalisierender Clans und radikalislamischer Milizen wie jener Al-Shabaab, die in den blutigsten Kämpfen seit Monaten gerade wieder für Dutzende Todesopfer gesorgt hat. Seit 2006 äthiopische Truppen mit USA-Einverständnis einmarschierten, um die Übergangsregierung im Kampf gegen die vermeintlichen Al-Qaida-Verbündeten zu unterstützen, hat sich die Sicherheitslage weiter verschärft. Zwei Millionen Flüchtlinge sind zudem zu einem großen Problem für die Nachbarstaaten geworden. Doch auch Friedenstruppen der Afrikanischen Union können die Milizen nicht aufhalten. Al-Shabaab hat ihnen nun den »endgültigen Krieg« erklärt. Kaum war die Botschaft des Sicherheitsrats verklungen, gingen die Gefechte mit neuen Toten weiter.

*** Aus: Neues Deutschland, 26. August 2010


Zurück zur Somalia-Seite

Zurück zur Homepage