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Hoffen in Somalia

Neuer Regierungschef ernannt. Nur Adde gilt als neutral und deshalb prädestiniert, einen Dialog anzubahnen. Erste Wahlen erst 2009. Humanitäre Katastrophe

Von Knut Mellenthin *

Somalia hat einen neuen Regierungschef. Präsident Abdullahi Jusuf ernannte am Donnerstag den 69jährigen Nur Hassan Hussein, auch bekannt als Nur Adde, zum Ministerpräsidenten. Das Parlament muß der Ernennung noch zustimmen; das gilt jedoch als unproblematisch. Nur Addes Vorgänger Mohammed Gedi war am 29. Oktober nach monatelangen Auseinandersetzungen mit Präsident Jusuf zurückgetreten.

Nur Adde stammt wie Gedi aus dem Hawije-Clan, der in der Hauptstadt Somalia vorherrschend ist. Das entspricht einer vereinbarten Machtteilung – Präsident Jusuf gehört dem zweitgrößten Clan Somalias, den Darod, an, die im Nordosten des Landes überwiegen. Der Hawije-Clan steht mehrheitlich in Opposition zu Jusuf und vor allem zu den äthiopischen Besatzungssoldaten, auf die er sich stützt. Anders als Gedi, der nicht das Vertrauens seines Clans hatte, haben sich Hawije-Sprecher jetzt positiv über Nur Adde geäußert. In Mogadischu kam es zu Freudenkundgebungen. Betreiber kleiner Imbisse gaben Freiessen aus.

Der neue Ministerpräsident begann seine Laufbahn in den 50er Jahren, noch unter italienischer Kolonialherrschaft, im Polizeidienst. Später besuchte er Polizeiakademien in Italien und den USA und studierte schließlich in Italien Jura. Unter dem autoritär regierenden Präsidenten Siad Barre brachte Nur Adde es bis zu einer Position, die der eines stellvertretenden Generalstaatsanwalts entsprach.

Nach Barres Sturz 1991 übernahm Nur Hassan Hussein die Leitung des somalischen Roten Halbmonds, die er bis zur Übernahme der Regierungsführung behielt. Sein Büro befand sich in Nairobi, der Hauptstadt des Nachbarlands Kenia. Dieser Umstand erleichterte es ihm, sich aus dem Bürgerkrieg und den Parteikämpfen in Somalia weitgehend herauszuhalten. Er gilt weithin als ein neutraler, keiner Fraktion besonders verbundener Mann. Daran knüpfen sich Hoffnungen, daß er in der Lage sein könnte, auf die Opposition zuzugehen und einen Dialog anzubahnen.

Weder Präsident Jusuf noch das in der Provinzstadt Baidoa tagende Parlament sind demokratisch gewählt. Sie wurden mit Unterstützung der Afrikanischen Union und der UNO auf einer internationalen Konferenz eingesetzt, die 2004 in Kenia stattfand. Die ersten Wahlen sollen im Jahr 2009 stattfinden.

Nach einem dieser Tage veröffentlichten UNO-Bericht erleidet die Bevölkerung Somalias zur Zeit die schlimmste humanitäre Katastrophe des afrikanischen Kontinents. Rund eine Million Menschen sind auf der Flucht, davon Hunderttausende ohne Obdach. Allein in diesem Jahr sind 600000 Flüchtlinge neu hinzugekommen, überwiegend aus Mogadischu, wo die äthiopischen Truppen seit Dezember 2006 vergeblich versuchen, den bewaffneten Widerstand, der von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt wird, zu zerschlagen. Neben den Kämpfen sind auch Dürre und Überschwemmungen Ursachen der Fluchtbewegungen. Aufgrund des Kriegs ist die Versorgung durch internationale Hilfsorganisationen weitgehend zusammengebrochen.

* Aus: junge Welt, 24. November 2007

Übergangschef

Nur Hassan Hussein: Der 69-Jährige ist neuer somalischer Ministerpräsident

Von Martin Ling **

In anderen Ländern wäre es ein kurioser Karrieresprung: Nur Hassan Hussein wechselt vom Chefposten des Roten Halbmonds ins Ministerpräsidentenamt Somalias – neben dem Präsidentenjob die gewichtigste Position im offiziellen Somalia: Doch bei dem sich im stetigen Staatszerfall befindlichen Somalia passt dieser Personalwechsel perfekt ins Bild. Schließlich ist die humanitäre Lage schlicht desaströs: Rund 600 000 Menschen haben nach Schätzungen des UN-Flüchtlingswerks (UNHCR) inzwischen die somalische Hauptstadt Mogadischu verlassen. Nach UN-Angaben sind 1,5 Millionen Somalier auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Wer sollte besser geeignet sein, eine solche Lage politisch in den Griff zu bekommen als der Chef des Roten Halbmonds? Das klingt naheliegend, ist es aber nicht. Weder wird Nur Hassan Hussein die Lage in den Griff bekommen noch wurde er primär aus diesem Grund berufen. Der 69-jährige Hassan, der seine Berufslaufbahn als Polizeioffizier unter italienischer Kolonialherrschaft begann, soll schlicht dem Präsidenten Ahmed Yusuf aus der verfahrenen Lage innerhalb des Regierungslagers helfen. Ali Mohammed Gedi, der bisherige Leiter der somalischen Übergangsregierung, war vor drei Wochen von seinem Amt zurückgetreten. Vorangegangen waren wiederholte Meinungsverschiedenheiten und Spannungen zwischen Gedi und Yusuf, die zwei uinterschiedlichen einflussreichen Clans angehören, Gedi den Hawije, Yusuf den Darod.

Hassan versicherte in einer Rede nach seiner Nominierung, er werde bei seiner Arbeit als Regierungschef mit Parlament, Clanchefs und der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten. Es bleibt ihm auch gar nichts anderes übrig, wenn er irgendetwas bewegen will.

Für Hassan als Übergangschef einer Übergangsregierung spricht, dass er sich im politischen Minenfeld bisher weitgehend neutral verhalten hat. Zwar war der studierte Jurist unter Langzeitdiktator Siad Barre (1976-1991) in Polizei und Staatsanwaltschaft aktiv und machte sich als Steuerfahnder sicher nicht beliebt, aber das ist lange her. Nach Barres Sturz profilierte er sich als Chef des Roten Halbmonds. Das im neuen Amt zu wiederholen, ist ungleich schwerer.

** Aus: Neues Deutschland, 24. November 2007




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