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Somalia-Hilfe zweckentfremdet

Laut bisher unveröffentlichter UN-Studie soll fast die Hälfte der Lieferungen in falschen Händen landen

Von Knut Mellenthin *

Fast die Hälfte der Ernährungshilfe für Somalia landet in falschen Händen statt bei der notleidenden Bevölkerung. Das steht angeblich in einer UNO-Studie, über die die New York Times am Dienstag (9. März) berichtete. Das Papier soll voraussichtlich am nächsten Dienstag (16. März) im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen diskutiert werden. Es ist bisher unveröffentlicht, und die New York Times behauptet lediglich, die Studie sei ihr »gezeigt« worden. Der stellvertretende Direktor der hauptsächlich angegriffenen UN-Hilfsorganisation World Food Program (WFP) erklärte gegenüber der Tageszeitung, den Untersuchungsbericht noch nicht gesehen zu haben.

Laut New York Times steht in dem Report, daß rund 30 Prozent der Hilfslieferungen von örtlichen Vertragspartnern und vom einheimischen WFP-Personal »abgezweigt« werden. Zehn Prozent behielten die somalischen Transporteure ein. Nicht klar wird an diesem Punkt, wie weit es sich dabei lediglich um eine normale Vergütung ihrer Dienstleistungen handelt. Fünf bis zehn Prozent der Hilfe schließlich würden bei den bewaffneten Gruppen landen, die das jeweilige Gebiet oder die dorthin führenden Straßen kontrollieren.

Dem Blatt zufolge hat das WFP im vorigen Jahr mindestens 2,5 Millionen Somalis mit Grundnahrungsmitteln im Wert von etwa 485 Millionen Dollar versorgt. Daneben sind auch andere Hilfsorganisationen dort tätig. Nach Schätzungen der UNO benötigen 3,7 Millionen Menschen, fast die Hälfte der Bevölkerung, Hilfe. Das schließt unter anderem auch die medizinische Versorgung ein. Aufgrund einer schweren Dürre und des anhaltenden Bürgerkriegs befinden sich große Teile der somalischen Bevölkerung in der schwersten Notlage seit dem Zusammenbruch der Zentralmacht 1991.

Klagen über angebliche Zweckentfremdung der Hilfslieferungen gibt es schon länger. Einige somalische Geschäftsleute, die als Vertragspartner ausländischer Hilfsorganisationen tätig sind, sollen damit riesige Vermögen erworben haben. Teilweise sind die Beschwerden auch eindeutig politisch motiviert. So hielt die US-Regierung im Oktober 2009 und im Januar dieses Jahres Lieferungen im Wert von 40 bis 50 Millionen Dollar zurück, da angeblich nicht gewährleistet sei, daß diese nicht der islamistischen Kampforganisation Al-Schabaab zugute kommen.

Al-Schabaab hat ihrerseits Ende Februar bekanntgegeben, daß sie jede Tätigkeit des WFP und auch die Zusammenarbeit mit ihm verbiete. Das bezieht sich formal auf das gesamte Territorium Somalias, aber real natürlich nur auf die von der Organisation kontrollierten Gebiete. Allerdings machen diese nach niedrigen Schätzungen 60 Prozent der Gesamtfläche des Staates aus.

Für das Verbot nannten die Islamisten vier Gründe: Erstens, es habe ständig Beschwerden von einheimischen Bauern gegeben, die wegen der kostenlos verteilten Nahrungshilfe große Schwierigkeiten hätten, ihre eigenen Produkte noch auf dem Markt zu verkaufen. Zweitens, WFP habe, wie bei Kontrollen festgestellt worden sei, Lebensmittel verteilt, deren Haltbarkeitsdauer abgelaufen gewesen sei. Drittens, es sei durch verdorbene Lebensmittel zu Erkrankungen gekommen. Viertens, die Hilfslieferungen würden den Zweck verfolgen, die ausländischen Truppen in Somalia zu unterstützen. Gemeint ist die von der Afrikanischen Union mandatierte »Friedenstruppe« in Stärke von 5300 Mann, die je zur Hälfte aus ugandischen und burundischen Soldaten besteht.

Zuvor hatte das WFP im Januar seine Hilfslieferungen in den überwiegend von den Islamisten kontrollierten Süden des Landes unterbrochen, da es zu starken Behinderungen, Angriffen und Drohungen durch Al-Schabaab gekommen sei. Die UNO hatte damals aber noch die Hoffnung geäußert, die Lieferungen im März oder April wieder aufnehmen zu können.

* Aus: junge Welt, 12. März 2010


Nachbemerkung zu diesem Artikel und Vorbemerkung zu den folgenden Dokumenten:

Der oben erwähnte Bericht einer Expertengruppe wurde inzwischen dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt. Die UN-Hilfsorganisation World Food Program (WFP) ließ am 17. März, verlauten, dass sie eine unabhängige Untersuchung der erhobenen Vorwürfe befürworte und sie "voll unterstützen" würde. Die "Integrität" der Organisation sei "vorrangig", sagte der WFP-Direktor Josette Sheeran in der Stellungnahme.

Der Hauptvorwurf des Untersuchungsberichts der "Monitoring Group on Somalia" besteht darin, dass eine Gruppe von lokalen Vertragspartnern des WFP ein "Kartell gebildet", Hilfslieferungen abgezweigt und bewaffneten Gruppen zugeleitet hätte. Erwähnt wird in dem Bericht insbesondere die Adaani-Familie, immerhin eine der drei größten Vertragspartner von WFP, die über Verbindungen zur Miliz "Hizbul Islam" verfügt und als "Finanzier von bewaffneten Gruppen" aufträte.

In ein schlechtes Licht gerät aber auch die somalische Übergangsregierung (TFG) unter ihrem Präsidenten Sheikh Sharif Sheikh Ahmed. Die "Kriegsökonomie" habe die Regierungsinstitutionen derart korrumpiert und geschwächt, dass z.B. Angehörige der Sicherheitsdienste Waffen und Munition weiter verkauften - teilweise auch an ihre Gegner.

Ein weiterer interessanter Aspekt aus dem Bericht: Trotz internationaler erheblicher militärischer Präsenz vor der somalischen Küste habe im letzten Jahr (2009) die Piraterie sogar weiter zugenommen!

Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete am 19. März eine Resolution, worin das Mandat für die Monitoring-Mission in Somalia um ein weiteres Jahr verlängert wird. Unter Bezugnahme auf den o.g. Report wird der Missbrauch der humanitären Hilfe verurteilt. Die Staaten werden aufgefordert, Schritte zu unternehmen, damit ein solcher Missbrauch künftig unterbunden wird.

Im Folgenden dokumentieren wir die entsprechenden Meldungen des Nachrichten-Zentrums der Vereinten Nationen vom 17. und 19. März 2010.


UN food agency welcomes review of its food distribution programme in Somalia

17 March 2010 – The United Nations World Food Programme (WFP) says it is ready to provide full assistance to any possible independent investigation into its food distribution operation in Somalia after a UN report that claims that some local contractors used by the agency have diverted aid for military use.

“Our integrity is paramount,” said WFP Executive Director Josette Sheeran in a statement, stressing that the agency would review and investigate every issue raised by the report of the group of experts serving on the Security Council’s Monitoring Group on Somalia.

The Monitoring Group recommends that the Council urges Secretary-General Ban Ki-moon to initiate an independent investigation into the food distribution programme.

“A handful of Somali contractors for aid agencies have formed a cartel and become important powerbrokers – some of whom channel their profits, or the aid itself, directly to armed opposition groups,” the report alleges.

The report singles out the Adaani family, one of the three largest contractors for the WFP in Somalia, as “a financier of armed groups,” and which has ties with Hassan Dahir Aweys, the leader of the militia coalition Hizbul Islam.

WFP said it would not engage in any new work with the three transport contractors named in the report as allegedly involved in arms-trading.

The Monitoring Group also recommends that WFP revise its internal procedures to diversify how it issues contracts and work closely with other UN agencies and offices to share information about the Somali business community.

Turning to Mogadishu, the report says the war economy has corrupted and enfeebled State institutions under the leadership of the Transitional Federal Government (TFG) and President Sheikh Sharif Sheikh Ahmed. The apparent corruption has spread to the Somali security services which sell their military supplies in open markets.

“The limited ability of the Transitional Federal Government to pay its officials and security forces is handicapped by entrenched corruption at all levels: commanders and troops alike sell their arms and ammunition – sometimes even to their enemies,” the report said.

The TFG’s survival is attributed not to its military but to support from the UN-backed African Union peace support operation known by its acronym AMISOM and clan militias that have turned against the rebel Al Shabaab militias.

In a related development, the TFG signed an agreement with a former rival group known as Ahlu Sunnah Wal Jama’a at the headquarters of the African Union (AU). Militias in Somalia are known to change allegiances frequently.

On the topic of piracy, which the Monitoring Group called “the most obvious symptom of the war economy,” it notes that attacks on shipping off Somalia increased in 2009, despite the presence of international naval forces offshore.

The report also cautions against the increasing involvement of Somalia’s immediate neighbours, Djibouti, Ethiopia and Kenya, which “are militarily involved in the conflict or plan to become involved in the coming months.”

The Monitoring Group singles out Eritrea to cease any subsidies to members of the armed opposition groups currently based in Asmara and cancel Eritrean passports issued to members of the group.

Source: UN News Centre, 17 March 2010; www.un.org


Security Council votes to expand mandate of monitoring group for Somali sanctions

19 March 2010 – The Security Council today agreed to extend the United Nations panel of experts monitoring compliance with sanctions related to the conflict in Somalia for another year and to expand its mandate to try to maintain the arms embargo imposed in the region.

Council members voted unanimously to adopt a resolution re-establishing the Monitoring Group for 12 months and to add three members to the five-member panel so that it can handle its extra workload.

The panel, which has monitored compliance with embargoes on the delivery of weapons and military equipment to Somalia and Eritrea, is now also tasked with probing activities – financial, maritime or in another field – which generate revenue used to violate those embargoes.

It is also now required to investigate “any means of transport, routes, seaports, airports and other facilities” used to break the embargoes, and to also identify ways in which the capacities of the region’s States can be strengthened to better implement the arms embargo.

Violent conflict between Government forces and Islamist militias continues to grip Somalia, almost two decades since the collapse of its last functioning national government. Much of the population remains either internally displaced or based in refugee camps in neighbouring countries.

Today’s resolution, which condemns the politicization, misuse and misappropriation of humanitarian assistance by armed groups, follows a report from the Monitoring Group claiming that some local contractors used by the UN World Food Programme (WFP) have diverted aid for military use.

WFP has said it is ready to provide full assistance to any independent investigation into its food distribution operation in Somalia, and today the Council called upon Member States and the UN “to take all feasible steps to mitigate” any misuse of humanitarian aid.

Source: UN News Centre, 19 March 2010; www.un.org




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