Im Visier von Somalias Milizen
Helfer leben am Horn von Afrika gefährlich
Von Marc Engelhardt, Wajid *
Im vergangenen Jahr starben nach Angaben der Vereinten Nationen 122
humanitäre Helfer durch Gewalt, mehr als drei Mal so viele wie vor zehn
Jahren. Auf die wachsende Bedrohung macht die UNO jetzt mit einem
internationalen Tag der Humanitären Hilfe aufmerksam, der an diesem
Mittwoch zum ersten Mal begangen wird. Ein Extrembeispiel ist Somalia.
Wer in Somalia helfen will, schwebt immer mehr in Lebensgefahr. Die
Abendgebete in den Moscheen waren schon lange verklungen, als ein Trupp
aus gut zehn schwer bewaffneten Männern sich in der Nacht zum Montag an
den Stützpunkt des UN-Welternährungsprogramms (WFP) in Wajid
heranschlich. Es war dunkel: von den Sicherheitsleuchten des von einem
hohen Zaun umgebenen Geländes abgesehen, erleuchten nachts nur die
Sterne die Straßen der zentralsomalischen Stadt. Entsprechend groß war
die Überraschung, als gegen dreiundzwanzig Uhr die ersten Schüsse fielen.
»Wir standen einige Minuten lang unter Beschuss, dann haben unsere
Wachen zurückgeschossen«, berichtet ein WFP-Mitarbeiter, der eigentlich
nicht mit der Presse über den Vorfall sprechen soll. »Wir haben keine
Ahnung, was die Angreifer genau geplant haben, aber vermutlich wollten
sie den Stützpunkt einnehmen und die ausländischen Helfer entführen.«
Der Mitarbeiter geht davon aus, dass es sich um Islamisten handelt, die
einer militanten Splittergruppe angehören und nicht aus der Region
stammen. Drei Angreifer wurden erschossen, mehrere andere verletzt. Die
ausländischen WFP-Mitarbeiter, die sich auf dem Gelände in Wajid
befanden, wurden noch in der Nacht unversehrt nach Kenia ausgeflogen.
Für Helfer wird Somalia immer gefährlicher. Der Überfall auf das Gelände
in Wajid, die größte Einrichtung dieser Art in Somalia, ist nur einer
von vielen Fällen. Nur Stunden zuvor war am Stadtrand von Mogadischu ein
Mitarbeiter der somalischen Hilfsorganisation »Daryeel Bulsho Guud«,
einem Partner der deutschen Hilfswerke Diakonie und Brot für die Welt,
vor seinem Haus regelrecht hingerichtet worden. Maskierte Männer fuhren
in einem schwarzen Jeep vor, schossen Omar Sheikh Ali in den Kopf und
flohen. Ein Jahr zuvor war der Vize-Direktor der gleichen Gruppe
ermordet worden. Weil helfen in dem Land, das seit 18 Jahren keine
funktionierende Regierung hat, lebensgefährlich ist, erreichen immer
weniger Hilfsgüter die Not leidende Bevölkerung. Dabei sind 3,3
Millionen Somalis, ein Drittel der Bevölkerung, auf Hilfsgüter
angewiesen. Alleine von Wajid aus wurden 1,3 Millionen Bedürftige versorgt.
»Vor einem Jahr konnte ich noch vollkommen unbehelligt durch Wajid
joggen«, erinnert sich Ulrik Pedersen, der Direktor im WFP-Büro in
Wajid. Doch als vor gut sechs Monaten in kurzem Abstand vier
WFP-Mitarbeiter in anderen Teilen Somalias erschossen wurden, änderte
sich die Lage radikal. »Wenn ich das Gelände danach verlassen habe, dann
nur in Begleitung von einem guten Dutzend bewaffneter Leibwächter.«
Wajid wird von der Shabaab kontrolliert, den radikalen Islamisten, die
gegen die machtlose Regierung von Präsident Sharif Sheikh Achmed kämpfen
und denen die USA Verbindungen zum Al-Qaida-Netzwerk von Osama bin Laden
vorwerfen. Doch sie sind es nicht, vor denen Pedersen Angst hat. »Wir
arbeiten eng mit den lokalen Machthabern zusammen«, sagt der Däne. »In
der praktischen Zusammenarbeit spielt es keine Rolle, zu welcher
Fraktion sie gehören - die Nahrungsmittellieferungen sind für alle
Beteiligten zu wichtig.«
Gefährlich, so glaubt Pedersen, sind die nomadischen Banden, die von
niemandem kontrolliert werden und oft kriminelle Ziele haben. »Wenn man
fünf Millionen Dollar damit machen kann, indem man einen Ausländer
entführt, ist das für verdammt viele Leute sehr verführerisch.« So
verführerisch, dass in Somalia derzeit immer noch 13 Mitarbeiter von
Hilfsorganisationen in der Hand von Entführern sind. Sechs Angestellte
der französischen »Aktion gegen Hunger«, die im November verschleppt
wurden, waren erst am Wochenende frei gekommen.
Unklar ist, ob das WFP seine Arbeit in Zentralsomalia einschränken wird.
Der Chef des WFP in Somalia, Peter Goossens, hatte Anfang des Jahres mit
einem kompletten Stopp aller Hilfslieferungen gedroht, sollten die
lokalen Machthaber keinen Schutz gewährleisten. In der Vergangenheit, so
Pedersen, habe das in Wajid gut geklappt. »Vor einiger Zeit sind vier
unserer Mitarbeiter auf dem Weg zum Flughafen entführt worden«,
berichtet der 35-Jährige. »Als die Menschen in Wajid das gehört haben,
gab es soviel Druck von Clanältesten und anderen lokalen Anführern, dass
die Entführten ein paar Stunden später wieder frei waren.« Ein Ende der
Hilfe für Somalia ist auch aus humanitären Gründen kaum denkbar. Nachdem
die Regenzeit in zwei Dritteln des Landes ausgefallen ist, droht eine
Dürre die Hungersnot im Bürgerkriegsland noch zu verschärfen.
* Aus: Neues Deutschland, 19. August 2009
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