Granaten in Wohnviertel
Bei der Bevölkerung Somalias sind die Truppen der Übergangsregierung verhaßt. Das Bundeskabinett hält aber an Hilfe bei Soldatenausbildung fest
Von Knut Mellenthin *
In den Streit um die mögliche Ausbildung von somalischen
»Kindersoldaten« durch eine Trainingsmission der EU hat sich auch die
Chefaußenpolitikerin der Europäischen Union eingeschaltet. »Wir wissen
nichts von Minderjährigen, die von europäischem Militär angeworben oder
ausgebildet werden«, ließ Catherine Ashton am Freitag (23. Juli) durch eine
Sprecherin erklären. Sobald nur geringste Zweifel am Alter der Soldaten
aufkämen, würden die somalischen Behörden aufgefordert, eindeutige
Beweise zu erbringen.
Das Thema war in der vorigen Woche durch eine Anfrage der Fraktion Die
Linke an die Bundesregierung auf den Tisch gekommen. Seit Mai bilden
rund 150 Militärs aus EU-Ländern, darunter auch 13 Bundeswehroffiziere,
2000 Soldaten für die sogenannte Übergangsregierung Somalias,
Transnational Federal Government (TFG), aus. Aus einem Bericht des
UN-Generalsekretärs, der im Mai bekannt wurde, geht hervor, daß die TFG
in großem Umfang Kinder und Jugendliche für ihre Milizen rekrutiert.
Nach einer UN-Konvention dürfen Personen unter 18 Jahren nicht für den
Kriegsdienst eingesetzt werden. Die TFG hat dieses Dokument aber nicht
unterzeichnet.
Zivile Verluste
Die deutsche Bundesregierung behauptet dennoch, es gebe »keine
Anhaltspunkte«, daß sich unter den Auszubildenden der
EU-Trainingsmission (EUTM) auch Jugendliche befinden. In Wirklichkeit
scheint sich die Bundesregierung nur darauf zu verlassen, daß man ihr
nicht das Gegenteil beweisen kann. Die Auskünfte, wer eigentlich dafür
zuständig ist, die Einhaltung der UN-Konvention zu überprüfen, sind
widersprüchlich. Die Bundesregierung behauptet einerseits, es seien
mehrere Rekruten weggeschickt worden, an deren Alter Zweifel bestanden.
Andererseits erklärt sie aber auch, es seien bisher lediglich »24
Rekruten, die für die höherwertige Unteroffiziersausbildung vorgesehen
waren, wegen nicht ausreichender intellektueller Eignung in die
ugandische Grundausbildung umgesteuert« worden.
Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im
Bundestag, bezeichnete die Dementis als »wenig glaubwürdig«. Sie
kritisierte außerdem, daß sich Deutschland an der EUTM ohne Zustimmung
des Parlaments beteiligt: »Wäre der Bundestag über die genauen Umstände
dieser Mission informiert worden, hätte es wahrscheinlich eine breite
öffentliche Debatte und Ablehnung dieses Einsatzes gegeben. Aber genau
das scheute die Bundesregierung offenbar, als sie (...) den Abgeordneten
im Bundestag eine Befassung und Abstimmung verweigerte. (...) Die
Bundesregierung versucht in den letzten Jahren zunehmend, durch
Ausbildungsmissionen und Ausstattungshilfe am Parlament vorbei in 'ferngesteuerte Bürgerkriege' wie in Somalia zu intervenieren, ohne daß
sie Verantwortung für die Folgen dieser Kriege übernehmen müßte«.
Aus der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linken ergibt
sich außerdem, daß die von der EUTM ausgebildeten somalischen Soldaten
anschließend dem Oberbefehl der afrikanischen »Friedenstruppe« AMISOM
unterstellt und »gemeinsam mit deren ugandischen und burundischen
Kontingenten eingesetzt« werden sollen. Die AMISOM besteht aus rund
5300 Soldaten, die bisher ausschließlich in der somalischen Hauptstadt
Mogadischu stationiert sind. Da die AMISOM immer wieder Granaten in
Wohnviertel schießt und so viele Zivilisten tötet bzw. verletzt, ist sie
bei der somalischen Bevölkerung weithin verhaßt. Das wird auch in
internen Berichten der Afrikanischen Union (AU) festgestellt, aus denen
die Nachrichtenagentur AP am 21. Juli zitierte. Sogar aus den Reihen der
»Übergangsregierung« gibt es immer wieder Beschwerden über dieses
Vorgehen. Der frühere Verteidigungsminister der TFG, Jusuf Mohamed
Sijad, berichtete AP, daß er einmal mehr als 60 Einschläge von
Artilleriegranaten und Raketen der AMISOM in die Wohnviertel um den
Bakaramarkt gezählt habe. Sijad trat im Juni zurück, da die TFG der
Bevölkerung weder Sicherheit noch Wasser- oder Stromversorgung garantiert.
Somalische Truppen ausländischen Befehlshabern zu unterstellen ist eine
absurde Fehlentscheidung und wird voraussichtlich dazu führen, daß noch
mehr Soldaten als bisher mit ihren Waffen zu den Islamisten überlaufen.
Schon während der Grundausbildung somalischer Rekruten in Uganda kam es
zu handfesten Protesten der Somalis gegen die brutalen Methoden der
ugandischen Offiziere.
Enge Partnerschaft
Amnesty International, Human Rights Watch und auch die UNO haben
festgestellt, daß die ugandischen Streitkräfte in ihrem jahrelangen
Kampf gegen Rebellen im eigenen Land zahlreiche
Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Die Rede ist von Tötungen,
Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Folter und Plünderungen der
Zivilbevölkerung. In der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der
Linken heißt es dazu jedoch lediglich: »Die ugandischen Streitkräfte
gelten im afrikanischen Vergleich als überdurchschnittlich
einsatzbereit, gut ausgebildet und loyal.« - Das mag alles sein, geht
aber an den tatsächlichen Problemen vorbei. Da das
EU-Ausbildungsprogramm in sehr enger Partnerschaft mit den ugandischen
Streitkräften umgesetzt wird, konnte man allerdings keine andere Antwort
erwarten.
* Aus: junge Welt, 26. Juli 2010
Hintergrund: Die Gegner im Bürgerkrieg
Die sogenannte Übergangsregierung (TFG) ist als einzige rechtmäßige
Vertreterin Somalias von der UNO und von der Afrikanischen Union, dem
Dachverband aller Staaten des Kontinents, anerkannt. Es ist bereits die
14. oder 15. »Übergangsregierung« seit der Auflösung des Einheitsstaates
nach dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991. Die TFG wurde 2004 nach
monatelangen Verhandlungen in Kenia gebildet und sollte angeblich die
wichtigsten Klans Somalias repräsentieren. Nach der damaligen
Vereinbarung hätten spätestens 2009 allgemeine Wahlen durchgeführt
werden sollen. Inzwischen wurden sie auf Juli 2011 verschoben, doch
besteht keine Aussicht, daß sie dann stattfinden werden. Der Einfluß der
TFG beschränkt sich auf das Regierungsviertel, den Hafen und den
Flughafen der Hauptstadt Mogadischu. Auch dort kann sie sich nur noch
mit Hilfe von Truppen aus Uganda und Burundi gegen die Islamisten halten.
Seit Januar 2009 steht Scharif Scheich Ahmed als Präsident an der Spitze
der TFG. Er vertritt eine Fraktion der Islamisten, doch hat deren
Einbeziehung in die Regierung nicht zu deren erhoffter Stärkung geführt.
Ein wesentlicher Grund dafür liegt in Ahmeds Paktieren mit dem
Nachbarland Äthiopien, das den meisten Somalis verhaßt ist. Im März 2010
schloß die TFG ein Bündnis mit der sufistischen Ahlu Sunna (AS), deren
Milizen einige Gebiete in Zentralsomalia kontrollieren. Teil der
Vereinbarungen war eine Regierungsbeteiligung der AS. Inzwischen hat
sich Ahlu Sunna jedoch gespalten und ihr größerer Teil betrachtet das
Abkommen mit der TFG als geplatzt.
Die Islamisten beherrschen den Süden Somalias mit der wichtigen
Hafenstadt Kismajo, weite Gebiete Mittelsomalias und den größten Teil
von Mogadischu. Im wesentlichen bestehen die Islamisten aus der früheren
Jugendorganisation Al-Schabab und aus der Hisbul Islam, einem
Zusammenschluß von anfangs vier Organisationen. In den letzten Monaten
haben sich immer mehr Teile von Hisbul Islam der militärisch
erfolgreicheren Al-Schabab angeschlossen.
(km)
Aus: junge Welt, 26. Juli 2010
Robustes Mandat
Ugandische Militärs fordern Kampfauftrag in Somalia
Von Knut Mellenthin **
Die Afrikanische Union, der Dachverband aller Staaten des Kontinents,
will ihre Interventionstruppen in Somalia massiv verstärken.
Entsprechende Beschlüsse werden von dem AU-Gipfeltreffen in der
ugandischen Hauptstadt Kampala erwartet, das am Montag voriger Woche
begann und am morgigen Dienstag zu Ende geht. Derzeit zählt die nur in
der somalischen Hauptstadt stationierte „Friedenstruppe“ AMISOM rund
5250 Soldaten, von denen 2700 aus Uganda und 2550 aus Burundi kommen.
Ihr ausschließlich defensives Mandat besteht darin, die letzten
Positionen der sogenannten Übergangsregierung gegen die Islamisten zu
verteidigen: den Präsidentenpalast, den Hafen und den Flughafen.
Als die AU im Januar 2007 die Aufstellung von AMISOM beschloss, war eine
Truppenstärke von 8000 Mann geplant, die aber nie erreicht wurde.
Mehrere afrikanische Staaten, die Kontingente in Aussicht gestellt oder
sogar schon fest zugesagt hatten, machten Rückzieher. Auch die Hoffnung
der AU, dass AMISOM bald durch eine UNO-Blauhelmtruppe ersetzt würde,
erfüllte sich nicht.
Nach den Bombenattentaten in Kampala vom 11. Juli, durch die nach
letzten Berichten 82 Menschen getötet wurden, hat sich die Stimmung in
der AU grundlegend geändert, da die Anschläge somalischen Islamisten
zugeschrieben werden. Als erstes haben Guinea und Dschibuti angekündigt,
dass sie in nächster Zeit jeweils ein Bataillon Soldaten – vermutlich
zwischen 500 und 750 Mann – nach Somalia schicken wollen. Angeblich
erwägen auch Südafrika, Nigeria, Sambia, Senegal und Ghana, sich an
AMISOM zu beteiligen. Schon vor den Attentaten hatte die
nordostafrikanische Staatengemeinschaft IGAD am 4. Juli beschlossen,
2000 zusätzliche Soldaten nach Somalia zu entsenden. Der IGAD gehören
zur Zeit Äthiopien, Somalia, Sudan, Kenia, Uganda und Dschibuti an.
Vom AU-Gipfel wird erwartet, dass er das bisherige AMISOM-Mandat ändert
und der Truppe einen aggressiven Kampfauftrag gibt. Möglich ist
außerdem, dass in Kampala eine Erhöhung der Obergrenze auf 10.000 oder
vielleicht sogar auf 20.000 Mann beschlossen wird. Darüber hinaus gibt
es Überlegungen, die bisherige Beschränkung fallen zu lassen, dass sich
an AMISOM nur Staaten beteiligen dürfen, die keine Nachbarn Somalias
sind. Dadurch würde es auch Kenia und Äthopien, das 2006 bis Anfang 2009
schon einmal massiv in Somalia intervenierte, ermöglicht, Soldaten zu
entsenden. Das ginge indessen nur mit Zustimmung des
UN-Sicherheitsrates, der bisher auf diese Beschränkung großen Wert
legte. Möglicherweise wird der AU-Gipfel auch an den Sicherheitsrat
appellieren, AMISOM mit einem UN-Mandat auszustatten.
Die aggressivsten Töne kommen zur Zeit von der autoritären Regierung
Ugandas und von führenden Militärs des Landes. Sie drängen auf
irgendeinen Kampfauftrag, der es ihnen ermöglichen soll, in ganz Somalia
offensiv Krieg zu führen. 20.000 Soldaten, so sagen sie, könnte Uganda
notfalls auch ganz allein schicken. Und falls die AU das geforderte
weitgehende Mandat nicht erteilt, denkt man in Kampala bereits über eine
zweiseitige Vereinbarung mit der somalischen „Übergangsregierung“ nach.
** Aus: junge Welt, 26. Juli 2010
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