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Kampf der Flügel

Spaltung der somalischen Opposition perfekt: Beide Hauptgruppen tagen getrennt voneinander. Gegensätzliche Positionen zum bewaffneten Widerstand

Von Knut Mellenthin

Die Spaltung der somalischen Opposition ist vollzogen. Zeitgleich finden in der eritreischen Hauptstadt Asmara und im NATO-Protektorat Dschibuti mehrtägige Sitzungen der beiden Hälften des Zentralkomitees der Allianz für die Wiederbefreiung Somalias (ARS) statt. Beide Seiten behaupten, für das gesamte Bündnis zu sprechen und eine beschlußfähige Mehrheit der 191 ZK-Mitglieder versammelt zu haben.

Die ARS wurde im September 2007 in Asmara gebildet, nachdem die nie gewählte, aber international anerkannte »Übergangsregierung« im Dezember 2006 mehrere zehntausend Soldaten aus dem verfeindeten Nachbarstaat Äthiopien ins Land gerufen hatte, um die in Mogadischu regierende Union der Islamischen Gerichten (UIC) zu vertreiben. Es folgten im Frühjahr 2007 wochenlange Kämpfe um die Hauptstadt, in deren Verlauf ganze Stadtteile zerstört wurden, da die äthiopischen Truppen massiv Panzer und Artillerie einsetzten. Mindestens 600000 Menschen flohen.

Zur ARS gehören neben der UIC auch zahlreiche Politiker, die früher die »Übergangsregierung« unterstützt hatten, sowie somalische Geschäftsleute im Ausland, insbesondere von der Arabischen Halbinsel. Die Hauptkraft des bewaffneten Widerstands, Al-Schabaab (»Die Jugend«), deren Beziehungen zur UIC sich in den letzten anderthalb Jahren gelockert haben, hat sich von Anfang an der ARS nicht angeschlossen.

Asmara ist nach wie vor offizieller Sitz der ARS. Doch hat die »gemäßigte« Fraktion um Scheich Scharif Achmid (formal UIC-Chef) und Scharif Hassan Scheich Adan (ehemaliger Sprecher des »Übergangsparlaments«) schon vor einigen Monaten ihr Hauptquartier nach Dschibuti verlegt, wo sich der größte US-Stützpunkt auf dem afrikanischen Kontinent befindet. An der Spitze des Asmara-Flügels steht Hasan Dahir Aweys, der eigentliche Führer der UIC, der als angeblicher Gefolgsmann von Al-Qaida auf der »Terroristen«-Liste Washingtons steht und mehrmals Ziel US-amerikanischer Mordversuche war. Bei einem solchen Angriff wurde am 1.Mai dieses Jahres der Chef der Schabaab, Aden Haschi Ayro, in Zentralsomalia getötet.

Anlaß der jetzt offen zutage tretenden Spaltung der ARS ist das Abkommen, das die »Gemäßigten« am 9. Juni unter Patronage der UNO in Dschibuti mit der »Übergangsregierung« abgeschlossen haben. Es sieht einen Waffenstillstand vor, der am 9. Juli für zunächst 90 Tage in Kraft treten sollte. Der Dschibuti-Flügel verpflichtete sich zugleich, »durch eine feierliche öffentliche Erklärung alle Akte bewaffneter Gewalt in Somalia zu verurteilen und sich von allen Gruppen oder Individuen zu trennen, die sich nicht an dieses Abkommen halten«. Auf der anderen Seite enthält die Vereinbarung nur die unpräzise Zusage, daß sich die äthiopischen Truppen aus Somalia zurückziehen werden, sobald UN-Kräfte »in ausreichender Zahl« stationiert sind. Es gibt allerdings seitens der Vereinten Nationen noch nicht einmal Ansätze für eine »Somalia-Mission«.

Daß die »Gemäßigten«, überwiegend Exilpolitiker, keinen Einfluß auf die Durchsetzung eines Waffenstillstands haben, liegt auf der Hand. Das unter US-Regie geschlossene Abkommen dient der Spaltung der Opposition und zur »Isolierung« des bewaffneten Widerstands. Der Asmara-Flügel der ARS wies die Vereinbarung erwartungsgemäß zurück, während Al-Schabaab noch nicht einmal eine Stellungnahme abgab, sondern mit einer Ausweitung ihrer Militäraktionen reagierte.

Kurz bevor die beiden Hälften der ARS ihre getrennten Sitzungen begannen, hatten mehrtägige Vermittlungsgespräche im Jemen stattgefunden, die nach Angaben des Dschibuti-Flügels mit einem Kompromiß endeten. Die Führung in Asmara behauptet hingegen, man habe sich vor allem geeinigt, daß das Abkommen vom 9. Juni in der vorliegenden Form nicht akzeptabel ist. Im Widerspruch dazu billigten die 106 in Dschibuti versammelten ZK-Mitglieder das Abkommen am Sonnabend ein­stimmig. Die Konferenz in Asmara hat daraufhin am Montag die Wahl einer neuen ARS-Führung angekündigt.

* Aus: junge Welt, 23. Juli 2008


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