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Entspannung nach Gesprächen in Somalia?

Gemeinsame Erklärung von Übergangsregierung und Union der Islamischen Gerichte

Von Knut Mellenthin *

Unter Vermittlung der Arabischen Liga sind am späten Donnerstag abend die beiden relevanten somalischen Konfliktparteien in der sudanesischen Hauptstadt Khartum erstmals zu einem Gespräch zusammengekommen. Vertreter der Übergangsregierung und der Union der Islamischen Gerichte (ICU) unterzeichneten eine gemeinsame Erklärung, die den Weg zu Verhandlungen öffnen kann. Die ICU erkennt darin die »Legalität« der vor zwei Jahren mit Hilfe der UNO eingesetzten, nicht demokratisch gewählten Übergangsregierung an. Umgekehrt verpflichtet sich die Übergangsregierung, die Existenz der ICU zu akzeptieren. Beide Seiten wollen auf Militäroperationen und Propaganda gegeneinander verzichten. Die Gespräche sollen nach unterschiedlichen Meldungen am 15. oder 25. Juli in Khartum fortgesetzt werden.

Sudan, das derzeit den Vorsitz in der Arabischen Liga führt, hatte die beiden Konfliktparteien eingeladen, um eine drohende neue Runde im somalischen Bürgerkrieg zu verhindern. Mehrere arabische Staaten, darunter Ägypten und Libyen, hatten ebenfalls Diplomaten nach Khartum geschickt. Die beiden somalischen Delegationen führten zunächst getrennte Gespräche mit Vertretern der Arabischen Liga. Noch am frühen Nachmittag hatte die Übergangsregierung ein direktes Gespräch mit der ICU abgelehnt.

Das machtlose Gremium, das in der Provinzstadt Baidoa residiert, hatte bisher Verhandlungen mit der ICU von mehreren Vorbedingungen abhängig macht. Darunter die vorherige Entwaffnung der ICU. Die islamischen Milizen hatten am 5. Juni eine von der US-Regierung unterstützte Koalition von Warlords aus der Hauptstadt Mogadischu und anschließend auch aus ganz Südsomalia vertrieben. Dadurch zeichnet sich erstmals seit 1991 eine Chance für eine friedliche, einheitliche Entwicklung des Landes ab. Die ICU wird deshalb von großen Teilen der Bevölkerung unterstützt.

Angesichts des Kräfteverhältnisses waren die Vorbedingungen der Übergangsregierung völlig unrealistisch. Das mit dem christlichen Äthiopien verbündete Baidoa-Regime hofft anscheinend, durch eine internationale Militärintervention die Macht zu gewinnen. Die ICU lehnt den Einsatz ausländischer, insbesondere äthiopischer, Soldaten ab und warnt vor der Gefahr, daß dadurch der Bürgerkrieg neu entfacht würde. Das Thema wurde bei dem Gespräch in Khartum ausgespart und soll später behandelt werden.

Übergangspräsident Abdullahi Jusuf hatte noch am Dienstag bei einem Besuch in Äthiopien scharfe Angriffe gegen die ICU gerichtet: Die islamischen Milizen hätten Tausende ausländische Unterstützer. »Sie hätten Mogadischu nicht einnehmen können ohne den Rückhalt von Extremisten aus der gesamten Welt.«

Durch die Vermittlung der Arabischen Liga scheint vorläufig eine gewisse Entspannung eingetreten zu sein. Selbst Washington begrüßte das Treffen der Konfliktparteien und sein Ergebnis. Sie wolle »mit allen somalischen Gruppen zusammenarbeiten, damit Terroristen dort keine Zuflucht finden«, sagte ein Vertreter des US-Außenministeriums.

* Aus: junge Welt, 28. Juni 2006



Aufsteiger

Scheich Hassan Dahir Aweys / Der Ex-Militär ist der neue starke Mann in Somalia

Die große Brille, der mit Henna rot gefärbte Bart, ein freundliches Gesicht – wer Scheich Hassan Dahir Aweys sieht, würde ihn für einen Gelehrten halten. Zumal dies auch genau das Bild ist, das der 71-Jährige gern selbst von sich zeichnet: ein gottesfürchtiger Mann, der völlig zu Unrecht als große Gefahr dargestellt wird. Als solche wiederum sieht ihn die Bush-Administration, die Aweys als einen der somalischen Verbindungsleute des internationalen Terrornetzwerkes Al Qaida eingestuft hat. In den USA steht er auf der »Terroristenliste«. Und dass Aweys nun der neue mächtige Mann nicht nur in der Hauptstadt Mogadischu, sondern in weiten Teilen des südlichen Somalias ist, schmeckt Washington ganz und gar nicht. Erst wenige Tage ist es her, dass die Miliz »Union der Islamischen Gerichte«, die in einer Militäroffensive die Einheiten der säkularen Warlords aus der Metropole vertrieben hatte, ihn zum Führer einer Art Regionalparlament kürte. Das 88-köpfige Gremium stellt die neue Autorität in den von den Islamischen Gerichten kontrollierten Gebieten dar.

Aweys, einst Oberst in der somalischen Armee, ist das mittlerweile wohl bekannteste Gesicht der Islamisten am Horn von Afrika. Auch darin hat er Scheich Ahmed abgelöst, seinen eher moderaten Gegenspieler, der sich zunächst als Sprecher der Allianz präsentiert hatte. Mit dem radikaleren Aweys dürfte eine Einigung mit der – real machtlosen – somalischen Übergangsregierung noch schwieriger werden. Prinzipiell hatten die Führer des Bündnisses betont, sich der Regierungshoheit beugen zu wollen. Doch stehen Milizverbände dicht am Regierungssitz – eine klare Machtdemonstration.

Die Skepsis bezüglich einer raschen Einigung beruht auch auf dem Umstand, dass die von Aweys einst geführte Gruppe al-Ittihad in den 90er Jahren in Puntland, der Heimatregion des heutigen Übergangspräsidenten Abdullahi Yusuf, für Unruhe gesorgt hatte und schließlich vertrieben wurde. Das Staatsoberhaupt ist strikt gegen eine Vermischung von Religion und Politik, während sein neuer Gegenspieler das islamische Recht, die Scharia, flächendeckend einführen will. So könnte es schon in den nächsten Tagen zur Steinigung dreier Männer kommen, die wegen Vergewaltigung angeklagt sind.

Thomas Berger

Aus: Neues Deutschland, 29. Juni 2006


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