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Einladung zum Einmarsch

Somalisches Parlament bittet Nachbarn um Truppen. Spekulationen über Rückkehr von äthiopischen Soldaten. Kämpfe nahe des Präsidentenpalasts in Mogadischu

Von Knut Mellenthin *

Der somalische Parlamentspräsident Scheich Aden Mohamed Nur hat am Sonnabend alle Nachbarstaaten aufgerufen, innerhalb von 24 Stunden Truppen zu schicken, um der Regierung im Kampf gegen die Islamisten zur Hilfe zu kommen. Nur nannte namentlich Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Jemen. Er begründete seinen Appell damit, daß »die Islamisten« von »ausländischen Kämpfern aus der ganzen Welt« unterstützt würden. An ihrer Spitze stehe ein ehemaliger General der pakistanischen Armee, der Verbindung zu Al-Qaida habe. Dem Hilferuf war ein entsprechender Beschluß des Parlaments vorausgegangen.

Die somalische Übergangsregierung, die vor fünf Jahren mit Hilfe der UNO und der Afrikanischen Union (AU) eingesetzt wurde, kontrolliert außer Teilen der Hauptstadt Mogadischu nur noch wenige Gebiete des Landes. Auch mit der Wahl des vom Westen als »gemäßigter Islamist« dargestellten Scheich Scharif Ahmed zum Präsidenten und der Einführung der Scharia hat die Regierung ihre Basis nicht spürbar verbreitern können. Seit Anfang Mai wird in Mogadischu fast täglich gekämpft, ohne daß bisher eine Seite dauerhaften Geländegewinn erreichen konnte. Aus den vergangenen Tagen gibt es aber Berichte, daß die islamischen Truppen in die Nähe des Präsidentenpalastes vorgedrungen seien.

In Mogadischu ist eine aus ugandischen und burundischen Soldaten bestehende, 4300 Mann starke »Friedenstruppe« der AU stationiert. Ihr Mandat ist allerdings auf den Schutz des Hafens, des Flughafens, des Präsidentenpalastes und einiger wichtiger Straßenkreuzungen beschränkt.

Auf den Hilferuf des somalischen Parlaments reagierte zunächst nur Äthiopien. Ein Regierungssprecher erklärte, Voraussetzung für die Entsendung von Truppen ins Nachbarland wäre eine »Aktion der internationalen Gemeinschaft«. Äthiopische Streitkräfte waren im Dezember 2006 der somalischen Übergangsregierung zu Hilfe gekommen und hatten ihr zunächst militärische Erfolge verschafft. Langfristig hatte die Intervention des christlich regierten, traditionell mit Somalia verfeindeten Äthiopiens aber die Position der Islamisten gestärkt. Im Januar dieses Jahres zog daher die Regierung in Addis Abeba ihre Truppen aus Somalia ab.

Seit mehreren Wochen gibt es jedoch Berichte, daß äthiopisches Militär wieder über die Grenze vorgedrungen ist und Stellungen in Zentralsomalia bezogen hat. Das wurde schließlich auch in Addis Abeba bestätigt. Allerdings handele es sich nur um Aufklärungseinsätze im grenznahen Bereich. Am Wochenende wurde unter Berufung auf örtliche Augenzeugen gemeldet, daß äthiopisches Militär nur wenige Kilometer von der Stadt Beletwen entfernt aufgetaucht sei. Dort war am Donnerstag der somalische Sicherheitsminister Omar Haschi Aden bei einem Selbstmordanschlag getötet worden. Er befand sich in der Region, um Operationen gegen die Islamisten zu leiten -- und angeblich auch, um mit äthiopischen Abgesandten über eine militärische Zusammenarbeit zu verhandeln.

* Aus: junge Welt, 22. Juni 2009

Sisyphos in Somalia

Von Martin Ling **

Somalia gilt als ein Paradebeispiel für die so genannten »failing states« -- zerfallende Staaten, in denen die Regierung nicht mehr Herr der Lage sind und das staatliche Gewaltmonopol längst ausgehöhlt ist. Nichts zeigt dies deutlicher als der Hilferuf des Parlamentspräsidenten Sheik Aden Modobe, der die Nachbarländer um sofortige militärische Unterstützung gegen die islamistischen Rebellen gebeten hat.

Selbst wenn sie kommt, ist fraglich, ob damit Somalia wieder zu stabilisieren ist. Bisher ist noch jede militärische Intervention von außen gescheitert. Vielmehr hat spätestens der Rückzug ausländischer Truppen die extremen Kräfte jedes Mal erst recht neu erstarken lassen -- wie zuletzt die islamistischen Rebellen nach dem Rückzug der Äthiopier im Januar 2009.

Nun steht die gemäßigt islamische Regierung stärker unter Druck denn je: Die Ermordung dreier hochrangiger Personen binnen dreier Tage spricht Bände. Die Regierung vermag nicht einmal ihre eigenen Leute zu schützen, geschweige denn die seit Jahren darbende Zivilbevölkerung.

Die von den USA vor allem unter Bush verfolgte Strategie, weltliche Kriegsherren gegen islamische und islamistische Gruppen in Stellung zu bringen, rächt sich bitter. Denn letztere waren in den neunziger Jahren überhaupt nur entstanden, weil große Teile der Bevölkerung von den rücksichtslos Eigeninteressen verfolgenden säkularen Clans die Nase voll hatten. Nicht zuletzt die Ignoranz der internationalen Gemeinschaft gegenüber dem Leid der Somalier hat den Aufschwung radikal-islamischer Gruppen überhaupt erst ermöglicht. Vor dem 1991 einsetzenden Staatszerfall waren sie in Somalia ein weithin unbekanntes Phänomen. Den Staatszerfall jetzt noch umzukehren, ist eine Sisyphos-Aufgabe.

** Aus: Neues Deutschland, 22. Juni 2009 (Kommentar)




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