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Immer tiefer in den Krieg

Hintergrund. Die Ausweitung der Kampfzone in Somalia – ohne das Parlament

Von Sevim Dagdelen *

Die Ausweitung des »Atalanta«-Einsatzes der EU auf die Küste Somalias trug von Beginn an bizarre Züge: Nachdem die Medien vergangenen Dezember erstmals ungenannte Diplomaten zitierten, wonach eine solche Ausweitung geplant sei, zeigte sich der deutsche Verteidigungsminister im Januar noch »skeptisch«. Danach hüllte er sich in Schweigen. Bald darauf war jedoch vernehmbar, daß die Bundesregierung noch im März dem Bundestag ein entsprechendes Mandat vorlegen werde. Die Medien – und im übrigen auch wir im Bundestag – waren deshalb lange auf Spekulationen angewiesen und auf das, was aus nicht näher genannten Diplomatenkreisen zu uns vordrang. Noch am 9. März räumte der EU-Kommissionspräsident Barroso lediglich »Diskussionen (…) innerhalb der EU (…) darüber, was genau das Mandat von »Atalanta« beinhalten soll«, ein.

Am 23. März dann beschloß der EU-Rat mit deutscher Zustimmung einen Operationsplan, der nach einer entsprechenden Pressemitteilung der EU-Außenbeauftragten Ashton ein »robusteres Vorgehen an der somalischen Küste« zuläßt. Auffällig an dem entsprechenden Beschluß des Rates ist jedoch, daß er vor allem Bedingungen festlegt, unter denen Personen auf somalischem Hoheitsgebiet oder den Binnengewässern »anderer Staaten in der Region im Einvernehmen mit diesen Staaten aufgegriffen« und überstellt werden dürften. Das klingt nicht nur nach dem Einsatz von Bodentruppen in Somalia selbst, sondern auch nach einer Ausweitung des Einsatzgebietes auf Hoheitsgebiete der Nachbarstaaten. Von der Zerstörung von Piratenlogistik, um die es bei der Ausweitung des Mandates nach der Aussage aller Beteiligten eigentlich ging, ist nicht konkret die Rede.

Zwei Tage vor dem Beschluß des Rates hatte sich der ehemalige deutsche U-Bootkommandant Fregattenkapitän Sascha Albrecht im Namen der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik zu Wort gemeldet und den »Einsatz von Spezialkräften (…), die von U-Booten an Land gebracht und nicht nur für die Aufklärung, sondern auch für die Zerstörung von Pirateninfrastruktur eingesetzt werden« könnten, ausgesprochen. Außerdem empfahl er, für die verdeckte Aufklärung deutsche U-Boote einzusetzen, die in flachen Gewässern operieren könnten und deren »hochmoderne Sensorik« es ermögliche, »potentielle Piratenbasen bei Tag und Nacht und mit großer Ausdauer zu überwachen und Aufklärungsergebnisse schnell zu übermitteln« sowie »verdeckt Piratenschiffe [zu] beobachten, und mit Hilfe ihrer passiven Sonaranlage über große Entfernungen deren Kurs [zu] verfolgen«. Die Niederländer, so erfährt man am Rande, hätten entsprechende Einsätze am Horn von Afrika bereits durchgeführt, und auch Deutschland habe diese Fähigkeiten »seit vielen Jahren« bei »verdeckten Überwachungsoperationen der NATO im Mittelmeer« unter Beweis gestellt. Auf meine Frage, um welche »verdeckten Überwachungsoperationen der NATO im Mittelmeer« es sich dabei genau handelte, erhielt ich vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, Christian Schmidt, lediglich die Antwort, entsprechende Fähigkeiten der Bundeswehr seien »seit 2002, letztmalig im Jahr 2011, im Rahmen der Operation Active Endeavour« zur Seeraumüberwachung, nicht aber zur Aufklärung von Zielen an Land zum Einsatz gekommen.

Außerdem reichte die Fraktion Die Linke Anfang April eine Kleine Anfrage zur geplanten Mandatserweiterung ein. Deren Antwort wurde uns am 16. April, also zwei Tage vor dem entsprechenden Kabinettsbeschluß, zugeleitet. Die Frage, wie weit sich das zukünftige Einsatzgebiet »Atalantas« nach dem mittlerweile vorliegenden Operationsplan auf das somalische Festland und die Binnengewässer erstrecken würde, konnte uns darin nicht beantwortet werden. Die entsprechende »Breite des Küstenstreifens« sei »von der Europäischen Union als vertraulich eingestuft worden«, der Bundestag werde jedoch über den Antrag der Bundesregierung über die »für den Einsatz der Bundeswehr relevante Breite des Küstenstreifens« informiert. Aus der Kleinen Anfrage geht außerdem hervor, daß die Pläne zur Ausweitung des Mandates bereits am 20. Februar, also lange bevor wir im Bundestag irgendwelche Informationen hierzu erhalten konnten, der somalischen Übergangsregierung vorgelegt wurden und diese bereits am 1. März gegenüber dem UN-Generalsekretär ihre Zustimmung zum Ausdruck gebracht hatte.

Neue Eskalationsstufe

Dies läßt zweierlei Schlußfolgerungen zu: Entweder die Europäische Union hat der somalischen Übergangsregierung nur eine sehr oberflächliche Ankündigung gemacht, wonach sie ihren Einsatz gerne an Land ausdehnen würde, oder sie hat längst über wesentlich konkretere Pläne verfügt und mit der zweifelhaften somalischen Übergangsregierung ausgehandelt, bevor sie es für angemessen hielt, das Europäische und die nationalen Parlamente auch nur andeutungsweise zu informieren. Wahrscheinlich ist beides richtig, denn die somalische Übergangsregierung ist ohnehin nicht dafür bekannt, gegenüber Drittstaaten allzu sehr auf ihre Souveränität zu pochen. Schließlich hat sie nicht nur alle Welt eingeladen, in ihren Hoheitsgewässern auf Piratenjagd zu gehen, sondern auch keine nennenswerten Einsprüche gegen die militärischen Vorstöße Kenias und Äthiopiens Ende letzten Jahres erhoben. Letzlich ist das ja gerade Grundlage ihrer internationalen Anerkennung, daß sie ihre daraus erwachsende Souveränität gleich wieder an die »internationale Gemeinschaft« abgibt.

Jedenfalls ist die Europäische Union auch gegenüber Somalia nicht gerade um Transparenz und Legitimität bemüht. Das geht u.a. aus der Antwort auf unsere Kleine Anfrage hervor: Neben dem Austausch mit der Übergangsregierung hätten lediglich »Gespräche mit den lokalen bzw. regionalen Behörden in Galmudug und Puntland, an deren Küsten die Piratenlogistik mehrheitlich gelagert wird«, stattgefunden. Darüber hinaus »ist keine gesonderte Unterrichtung der Zivilbevölkerung über die Modifizierung des »Atalanta«-Mandates vorgesehen«. Eine Abstimmung mit der Übergangsregierung und den lokalen Autoritäten ist ohnehin nicht vorgesehen, u.a. weil »die derzeitigen Zustände in Somalia insbesondere in Süd- und Zentralsomalia (…) detaillierte Kenntnisse (…) über die lokalen Strukturen in den Küstengebieten und entlang der inneren Gewässer« nicht zuließen. Wer Joseph Conrad gelesen hat, fühlt sich unmittelbar daran erinnert, wie der frühe Kolonialismus ins »Herz der Finsternis« vordrang: »In der leeren Unendlichkeit von Land, Himmel und Wasser lag der Kreuzer da, unverständlich, und feuerte in einen Erdteil hinein. (…) Es lag etwas wie Irrsinn in dem Beginnen, eine fürchterliche Komik in dem Anblick; und es wurde nicht besser, als jemand an Bord mir ernsthaft versicherte, irgendwo, außer Sicht, befände sich ein Lager der Eingeborenen. Er nannte sie Feinde!«

Militärisch gesehen macht all die Geheimhaltung ja Sinn. Am 18. März schließlich lag dem Parlament endlich der Antrag für die Ausweitung des Bundestagsmandates vor, der am Donnerstag dieser Woche beraten werden soll. Darin heißt es: »Deutsche Einsatzkräfte dürfen bis zu einer Tiefe von maximal 2000 Metern gegen logistische Einrichtungen der Piraten am Strand vorgehen.« Dies diene dazu »die Handlungsfähigkeit der Piraten weiter einzuschränken und zu verhindern, daß diese die Hohe See erreichen und dann in einem Seegebiet, das 24mal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland, gesucht werden müssen.« Diese Einschränkung gilt jedoch nur für die Kräfte der Bundeswehr, nicht für die gesamte »Atalanta«-Mission, denn man will die Piraten darüber im unklaren lassen, wie weit sie ihre Infrastruktur ins Inland verlegen müssen, um vor Angriffen europäischer Helikopter sicher zu sein.

Denn den Piraten wird durchaus Lernfähigkeit unterstellt. Hans-Georg Ehrhart vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, der sich als »Friedensforscher« gern mit taktischen Ratschlägen an die Politik wendet, hat beispielsweise in einem Interview mit dem NDR verschiedene mögliche Reaktionen genannt: Die Piraten können etwa Geiseln an Bord ihrer Skiffs halten, um deren Zerstörung zu verhindern oder diese in der Nähe von Dörfern vertäuen, so daß bei einem Angriff die Zivilbevölkerung gefährdet würde. Es sei damit zu rechnen, »daß die Piraten vielleicht die internationale Gemeinschaft sozusagen in eine Falle locken können«, indem sie so tun, als handle es sich bei harmlosen Fischerbooten um Piratenskiffs, damit die EU »auch irrtümlicher Weise Fischerboote trifft. Damit aber würde die Wahrnehmung, die Perzeption, der Somali gestärkt, daß ›Atalanta‹ doch nur dafür da ist, die eigenen Fischereiflotten zu schützen.« Auch die Bundesregierung hat in ihrem Antrag die Reaktionen der Piraten durchaus eingeplant. Darin heißt es, das Vorgehen an Land sei sinnvoll, »um das Geschäftsmodell der somalischen Piraten aktiv zu stören, ihr Gefühl der Sicherheit an Land zu erschüttern, sie zu aufwendigen und kostspieligen Sicherheitsmaßnahmen zu zwingen«.

Die Piraten sollen also erklärtermaßen zur Aufrüstung gezwungen werden. Angesichts der Millionengewinne, die in der Piraterie erwirtschaftet werden, ist davon auszugehen, daß sie diesem Druck durchaus nachgeben können. Bereits seit 2008 wird gewarnt, daß die andauernde Drohung, auch an Land gegen die Piraten vorzugehen (wie ja durch Frankreich, die USA und Großbritannien bereits geschehen) zu einer massiven Aufrüstung der Piraten teilweise sogar mit eigener Luftverteidigung geführt habe und daß damit neue und mächtige potentielle Bürgerkriegsparteien in Somalia entstanden seien. Durch das erweiterte Mandat werden diese nun gezwungen, ihre Festungen an der Küste aufzugeben oder zumindest zu ergänzen, sich unter die Zivilbevölkerung zu mischen und im Hinterland mit anderen Milizen zu konkurrieren. Das im Antrag der Bundesregierung genannte Ziel, einen »Beitrag zur Stabilisierung Somalias und damit zur Bekämpfung der Wurzeln der Piraterie« zu leisten, wird damit ad absurdum geführt.

Krieg gegen die Zivilbevölkerung?

Ebenso unglaubwürdig wirkt die Darstellung Ehrharts, wonach Einsätze nur unter der »Einschränkung« stattfinden würden, »daß keine Personen gefährdet werden«. Im Antrag der Bundesregierung ist hingegen etwas schwammiger und zugleich realistischer von »klar definierten Voraussetzungen und (…) vertretbarem Risiko« die Rede. Deshalb kann und will man ja die lokalen Autoritäten und die Zivilbevölkerung nicht über die konkreten Pläne unterrichten, weil man »keine detaillierten Kenntnisse« über die Strukturen vor Ort hat und gar nicht abschätzen kann, wer zu den Piraten gehört, mit ihnen zusammenarbeitet. In einem bemerkenswert kritischen Artikel mit dem Titel »Kampf gegen die Falschen« wies die Zeitschrift loyal des Reservistenverbandes kürzlich darauf hin, daß im bitterarmen Somalia zumindest ökonomisch viele Menschen und ganze Städte mehr oder weniger direkt von der Piraterie profitieren. Dabei wurde auch daran erinnert, wie sich die Piraten bei ihrem bislang spektakulärsten Coup, der Kaperung des Waffenschiffs »Faina« selbst inszenierten: »›Wir sind keine Piraten‹, erklärte ihr Anführer per Satellitentelefon im Interview. ›Wir sind hier die Küstenwache. Wir schützen nur unsere Gewässer.‹« Vieles spricht also dafür, daß der Kampf gegen die Piraterie zunehmend zu einem Kampf gegen die Zivilbevölkerung und die Bezeichnung des Piraten zu einem ähnlich unscharfen Stigma oder auch Freibrief für Tötungsabsichten wird, wie die des »Terroristen«. Bei beiden handelt es sich formal nicht um Kombattanten, sondern um Kriminelle und die haben, bis ihre Schuld bewiesen ist, lediglich als Verdächtige zu gelten. Der Rechtsnihilismus, der sich jedoch im Krieg gegen den Terror und seinen »gezielten Tötungen« längst entfaltet hat, droht sich gerade in Somalia (wie im Sahel) nun auch noch auf den Bereich der (mutmaßlich!) Organisierten Kriminalität auszudehnen.

Dies gilt umso mehr, als der »Krieg gegen den Terror« und die Bekämpfung der Piraterie am Horn von Afrika schon lange immer mehr ineinander fließen. Als paradigmatisch hierfür kann der Einsatz der deutschen Seefernaufklärer »P-3C-Orion« gelten. Dieser war bereits mehrfach vor den Küsten Somalias im Einsatz, und zwar zugleich im Rahmen der Mission »Atalanta«, als auch des US-geführten »Antiterroreinsatzes« »Operation Enduring Freedom«. Im »Atalanta«-Mandat ist schon länger die Klausel enthalten, wonach Verbindung insbesondere zu der im Rahmen der Operation »Dauerhafte Freiheit« agierenden Seestreitkraft »Combined Task Force 151« herzustellen seien. Diese Verknüpfung zwischen Antiterror- und Antipiraterieeinsatz habe ich in mehreren parlamentarischen Initiativen thematisiert.

Ich erhielt dabei die ausweichende Antwort, wonach zwar keine »Nachrichtenübermittlung an jemenitische Behörden stattfindet« und es »aufgrund der Technik keine großflächigen Zufallsbeobachtungen« gäbe, jedoch Erkenntnisse darüber gewonnen werden könnten, ob »Waffenschmuggel über See stattfindet «. Ein Video der Bundeswehr stellt zudem u. a. dar, wie Boote, die Treibstoff transportieren, von den »P-3C« aufgeklärt wurden. Die US-Behörden unterstellen, daß von solchen Booten im Golf von Aden eine Anschlagsgefahr ausginge, die insbesondere im Falle einer Eskalation gegenüber dem Iran relevant werden könnte. Auch der Waffenschmuggel zwischen Somalia und Jemen ist in dieser Hinsicht relevant, schließlich vermuten die USA in beiden Staaten Zellen der Al-Qaida und haben sie in der Vergangenheit in beiden Staaten gezielte Tötungen gegen mutmaßliche Terroristen durchgeführt.

Strategische Ziele

Doch wie gesagt, ist die Rolle der deutschen Seefernaufklärer lediglich paradigmatisch und längst nicht die einzige Verbindung zwischen dem »Krieg gegen den Terror« und der angeblichen Bekämpfung der Piraterie. So sind die USA nicht nur durch »gezielte« Luftschläge in Somalia aktiv, sondern unterhalten in der Hauptstadt Mogadischu (und den Nachbarstaaten) auch Ausbildungsstätten, Geheimdienstzentren sowie Haft- und Verhörzentren. Der kleine Bereich um den Hafen Mogadischus, in dem diese, wie fast alle anderen internationalen Einrichtungen angesiedelt sind, wird von AMISOM, einer Mission der Afrikanischen Union gesichert. Deren seeseitiger Nachschub und Schutz ist ebenfalls Aufgabe der Mission »Atalanta«, »unter anderem durch die Präsenz von bewaffneten Kräften an Bord dieser Schiffe«. Konkret wird dieses Ziel im Antrag der Bundesregierung so benannt: »den humanitären Zugang nach Somalia durch den Schutz von Schiffen des Welternährungsprogramms und der ­AMISOM sicherzustellen«. Daß hier AMISOM und das World Food Program (WFP) in einem Atemzug genannt und als humanitär bezeichnet werden, ist charakteristisch.

Die AMISOM ist für Hunderte toter Zivilisten verantwortlich, und ihr wurde mehrfach von höchsten UN-Stellen vorgeworfen, in Reaktion auf Angriffe wahllos zivile Wohnviertel und Märkte im Rest der Stadt unter Mörserbeschuß genommen zu haben. Dennoch wurde sie bislang mit 325 Millionen Euro ganz überwiegend von der Europäischen Union finanziert, wovon Deutschland allein 20 Prozent getragen hat (hinzu kamen bilaterale deutsche Beiträge zur Unterstützung einzelner AMISOM-Kontingente). Erst im Zuge der Hungerkatastrophe im vergangenen Jahr gelang es der AMISOM in enger Zusammenarbeit mit dem WFP, über den Hafen und das lange umkämpfte Regierungsviertel hinaus weite Teile der Hauptstadt im Sommer 20011 einzunehmen. Behilflich dabei waren frisch ausgebildete Rekruten, die im Rahmen einer weiteren EU-Mission (EUTM Somalia) in Zusammenarbeit mit den ugandischen Streitkräften und den USA für die somalische Übergangsregierung ausgebildet wurden. Die Bundesregierung hatte nichts dagegen einzuwenden, daß die humanitäre Katastrophe einer Hungersnot für einen militärischen Vorstoß genutzt wurde. Zahlreiche Hilfsorganisationen (wohlgemerkt: nicht das WFP) hatten hingegen gefordert, angesichts der Hungerskatastrophe einen Waffenstillstand auszuhandeln, um die Versorgung der Zivilbevölkerung zu gewährleisten. In einer früheren Kleinen Anfrage wollte die Linksfraktion von der Bundesregierung wissen, ob sie dementsprechende Initiativen unternommen oder unterstützt hätte.

Die Bundesregierung verneinte dies und begründete es folgendermaßen: »Aus Sicht der Bundesregierung fehlen derzeit entsprechende Rahmenbedingungen. Al-Shabaab sucht offen und nachdrücklich den Anschluß an den internationalen islamistischen Terrorismus, verübt im eigenen Land terroristische Anschläge und mißachtet elementarste Menschenrechte. Zudem weigert sich die Bewegung fortgesetzt, der Gewalt als Mittel zur Austragung politischer Konflikte zu entsagen, bekämpft die weltweit anerkannten somalischen Übergangsinstitutionen und trägt signifikant zur regionalen Instabilität bei. « (Auf die Frage nach den demgegenüber engen Beziehungen zum Nationalen Übergangsrat antwortete sie im übrigen, daß »in der politischen Bewertung den Nationalen Übergangsrat in ­Libyen und die terroristische Organisation Al-Shabaab in Somalia für nicht vergleichbar« hielte.)

Nächster Schritt: Bodentruppen

Wem man also Verbindungen mit dem »internationalen islamistischen Terrorismus« nachsagt, gegen den darf man im Zweifelsfall auch Hunger als Waffe einsetzen. Und nicht nur das: gegen den unterstützt man auch die völkerrechtswidrigen Invasionen der Nachbarstaaten Kenia und Äthiopien im Zuge der Hungerkatastrophe. Beide gelten als enge Partner der EU bei der »Stabilisierung Somalias« und erhalten hierfür umfangreiche finanzielle und militärische Unterstützung. Beide wurden trotz ihres Einmarsches in Somalia Anfang des Jahres erneut auf die Liste derjenigen Länder gesetzt, die in Zukunft kostenlose militärische Ausbildungshilfe erhalten sollen. Beide Staaten würden sich wegen großer somalischer Minderheiten jedoch durch jeden somalischen Staat bedroht fühlen. Die Vorgeschichte der jüngsten Invasionen der beiden Länder enthüllt einiges über die fehlenden »detaillierten Kenntnisse« der lokalen Sturkturen: Anfang 2010 finanzierte Deutschland die Ausbildung von 1000 somalischen Polizisten in Äthiopien, die anschließend in Mogadischu eingesetzt werden sollten. Tatsächlich wurden diese jedoch zu Elitesoldaten ausgebildet und schlossen sich anschließend einer Äthiopien nahestehenden Miliz im somalischen Grenzgebiet zu Äthiopien und Kenia an (siehe jW-Thema vom 20.1.2011, d. Red.). Darauf kam es zu Gefechten mit Al-Shabaab wodurch sich dort einerseits die Kräfteverhältnisse zugunsten Äthiopiens verschoben und zugleich Fluchtbewegungen Richtung Kenia ausgelöst wurden, die sich im Zuge der Hungerkatastrophe verstärkten.

Die Flüchtlinge aus Somalia nahm Kenia daraufhin – in den internationalen Chor einstimmend, daß sich darunter Terroristen verbergen – zum Anlaß für seine Invasion. Deutschland und die EU sind also längst in den Bürgerkrieg in Somalia verstrickt. Die Ausweitung des »Atalanta«-Mandates stellt einen weiteren Schritt hin zum unmittelbaren Einsatz von Bodentruppen dar. Dieser ist zwar im Bundestagsmandat für Somalia selbst zwar zunächst ausgeschlossen, davon sind jedoch die »Durchführung etwaiger Rettungsmaßnahmen« ausgenommen. Zudem wird die Stationierung deutscher Soldaten in den Nachbarstaaten »zu den Zwecken ›Vorausstationierung, Zugang, Versorgung sowie Einsatzdurchführung‹ ermöglicht«.

* Sevim Dagdelen ist Mitglied im Auswärtigen Auschuß des Bundestags und Sprecherin für Internationale Beziehungen der Fraktion Die Linke

Aus: junge welt, Dienstag, 24. April 2012



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