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Slowenien vor neuem politischen Erdbeben

Bei vorgezogenen Parlamentswahlen gilt der Politnovize Miro Cerar als Favorit

Von Thomas Roser, Belgrad *

Mitten in der Urlaubszeit steigen am Sonntag im krisengeplagten Slowenien vorgezogene Parlamentswahlen. Erneut wird sich die Parteienlandschaft in der Staatsversammlung erheblich verändern.

Wieder einmal müssen die Slowenen für eine vorgezogene Wahl zu den Urnen gehen. Und wieder steht der angeschlagenen Alpenrepublik ein politisches Erdbeben bevor, das die Kräfteverhältnisse wohl durcheinanderwirbeln, aber kaum grundlegend verändern dürfte.

Vor drei Jahren erst war die linksliberale Partei Positives Slowenien (PS) unter Zoran Janković, dem Bürgermeister von Ljubljana, zur stärksten Kraft im Lande gewählt worden. Jetzt muss sie ebenso wie die von ihr abgespaltene Allianz Alenka Bratušek (ZAB) der gleichnamigen amtierenden Regierungschefin um den Wiedereinzug in den »Državni zbor«, die Staatsversammlung, bangen.

Der neue Komet am politischen Himmel heißt Miro Cerar. Der populäre Verfassungsrechtler gründete erst Anfang Juni eine grün-liberale Partei mit seinem Namen (SMC) – und gilt schon als Wahlfavorit. Als »Instantpartei« mit »Instantkandidaten« und »Instantwerten« geißelt die konservative Demokratische Partei (SDS) den Neuling. Der wegen Schmiergeldzahlungen bei einem dubiösen Rüstungsgeschäft zu zwei Jahren Haft verurteilte SDS-Chef Janez Janša, der sich als Justizopfer präsentiert, mischt auch hinter seinen relativ durchlässigen Gittern kräftig im Wahlkampf mit. Per Twitter schließt der von seinen Anhängern als Märtyrer gefeierte und zum »einzigen politischen Gefangenen in der EU« stilisierte Expremier eine Koalition mit der Cerar-Partei resolut aus: Mit einer »Partei ohne Ehre und Programm« werde die SDS niemals ihre Kräfte bündeln. Slowenien sei zwar unabhängig, aber von seinen kommunistischen Seilschaften »noch nicht befreit«, lautet Janšas Botschaft. »Freiheit für Janša, Freiheit für Slowenien«, fordern folgerichtig die SDS-Anhänger.

Doch außerhalb seiner Stammgefolgschaft finden Janšas Botschaften nur noch bedingt Gehör. Während der streitsüchtige Häftling die Gesellschaft polarisiert, präsentiert sich Cerar als Vermittler – und seine SMC liegt in den Umfragen klar vor der SDS.

Politische Dauerfehden, Korruptionsaffären und eine tiefe Finanzkrise hatten den einstigen EU-Musterknaben Slowenien beinahe in den Staatsbankrott taumeln lassen. Die von Koalitionen verschiedener Zusammensetzung immer wieder angekündigten Reformen wurden auch durch die Zersplitterung der Parteienlandschaft, die Notwendigkeit von Vielparteienbündnissen und die fehlende Kontinuität erschwert. Gerade hat Regierungschefin Bratušek, die erst im Februar 2013 nach einem Misstrauensvotum gegen Janša ins Amt gekommen war, die bereits eingeleitete Privatisierung wichtiger Staatsunternehmen wegen der vorgezogenen Wahlen wieder ausgesetzt.

Während wirtschaftlich in Slowenien Stillstand herrscht, ist politisch ständiger Wandel angesagt. Das Phänomen von Niedergängen und Neugründungen vor allem auf dem linken Abschnitt des Parteispektrums ist den Slowenen bereits vertraut. Schon nach der ebenfalls vorgezogenen Parlamentswahl 2011 mussten zwei Drittel der 90 Abgeordneten ihre Koffer packen: Drei Parteien purzelten aus dem Parlament heraus, drei andere hinein.

Nun müssen die PS des unter Korruptionsverdacht stehenden Zoran Janković und die ZAB der bisherigen Regierungschefin Bratušek das Scheitern an der Vierprozenthürde fürchten. Außer Cerars SMC und Janšas SDS können sich nur die Sozialdemokraten (SD) und die Rentnerpartei DeSUS des Parlamentseinzugs sicher sein.

Erschwert werden die ohnehin kaum verlässlichen Prognosen nicht nur durch wanderlustige Wähler, sondern auch durch den ungünstigen Wahltermin: Ein Drittel der Slowenen pflegt Mitte Juli im Urlaub zu sein.

* Aus: neues deutschland, Freitag, 11. Juli 2014


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