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Musterland abgebrannt

Slowenien galt als "Schweiz Jugoslawiens". Jetzt hat es den Euro, marode Banken, steckt in der Rezession und steht vor der Pleite. Die Regierung macht das Übliche

Von Tomasz Konicz *

Sloweniens Regierung kann sich nicht so recht entscheiden. Soll das kleine Land gut zwei Jahrzehnte nach der Sezession aus dem jugoslawischen Staatsverbund seine Souveränität erneut abgeben, sich dazu noch in die Schuldknechtschaft der EU-Technokratie begeben? Der konservative Premier Janez Janša warnte Anfang September vor einem Staatsbankrott schon Ende Oktober. Die Kreditaufnahme an den Finanzmärkten sei derzeit »praktisch unmöglich«. Wenige Tage später kam das Dementi – von Finanzminister Janez Šušteršic: Slowenien brauche »keine Hilfe von außen«, und es gebe auch »keinen Druck«, solche Hilfe zu beantragen. Sein Regierungschef habe mit der Warnung nur der Opposition Beine machen wollen, den »Reformen« des Kabinetts zuzustimmen.

Reformen? Mit diesem Euphemismus umschrieb Šušteršic den nun auch in Slowenien anstehenden massiven Sozialkahlschlag. Um den Druck der »Märkte« zu lindern, der sich in einer Zinsbelastung slowenischer Staatsanleihen von bis zu sieben Prozent äußert, soll der von Rezession geplagten Wirtschaft dieselbe tödliche Politikmixtur verabreicht werden, die schon die Länder Süd¬europas ökonomisch kollabieren läßt: Mit einem drakonischen »Sparpaket« im Umfang von 800 Millionen Euro soll das Haushaltsdefizit Sloweniens von derzeit rund sechs Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt, BIP) bis Jahresende auf vier Prozent gedrückt werden. Beschlossen sind bereits Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst um durchschnittlich acht Prozent. Verhandelt wird zudem über eine Verkleinerung der Renten, über Streichungen beim Arbeitslosengeld und eine »Reform« des Arbeitsmarktes, die auf eine Prekarisierung des Erwerbslebens abzielt. Mit dieser Demontage der sozialen Sicherungssysteme soll auch eine Absenkung der Unternehmenssteuern von derzeit 20 auf 15 Prozent 2015 finanziert werden.

Angekündigt ist auch eine Privatisierungsoffensive. Dabei wird die traditionell starke Stellung des slowenischen Staates in der Wirtschaft zur Disposition gestellt. Zum Verkauf stehen u.a. die Fluggesellschaft Adria Airways, das Telekommunikationsunternehmen Telekom Slovenije, der Mineralölkonzern Petrol, eine Hotelkette und etliche Agrarbetriebe. Der Staat will auch drei Viertel seiner Anteile an der größten Bank des Landes, der Nova Ljubljanska Banka (NLB), verkaufen. Die ächzt unter einem Berg fauler Kredite im Umfang von rund 1,5 Milliarden Euro. Mit diesen Notverkäufen hofft die Regierung in Ljubljana, die drohende Inanspruchnahme der europäischen Krisenbewaältigungsmechanismen vermeiden zu können.

Mit dem Verkauf der zumeist überschuldeten Unternehmen ist es auch vorbei mit dem »aufrechten Gang« der ehemals sozialistischen Länder in den Kapitalismus – eine Illusion, für die besonders Slowenien stand. Die wirtschaftlich fortgeschrittenste der früheren jugoslawischen Teilrepubliken galt als Musterbeispiel für eine erfolgreiche Systemtransformation, es gab keinen Ausverkauf des Industriesektors an westliche Großkonzerne. Mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 4,4 Prozent zwischen 2002 und 2008 konnte das Land schon 2004 der EU beitreten und 2007 als erster postsozialistisches Staat den Euro einführen.

Dabei wurde dieses beeindruckende Wirtschaftswachstum in dem zwei Millionen Einwohner zählenden Land ab 2005 zunehmend durch einen Bauboom getragen, der maßgeblich durch Spekulation im Immobiliensektor befeuert wurde. Die Industrie Sloweniens konnte hingegen spätestens mit dem Beitritt zur Euro-Zone der knallharten Binnenkonkurrenz nicht mehr standhalten. Die Möglichkeit der Währungsabwertung gab es nicht mehr, das Land geriet immer stärker in Bedrängnis. Nach dem offenen Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 ging auch die ökonomische Leistung Sloweniens dramatisch zurück: Das BIP schrumpfte allein 2009 um 8.1 Prozent. Nach einer kurzen Stabilisierungsperiode mit marginalem Wachstum 2010 und einem leichten Abschwung 2011 wird Sloweniens Wirtschaftsleistung in diesem Jahr erneut stark zurückgehen. Allein im zweiten Quartal schrumpfte das BIP um 3,2 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum, der Inlandskonsum gab um sieben Zähler nach, und Investitionen verringerten sich gar um fast 25 Prozent. Zwischen April und Juni nahm auch die Zahl der Unternehmenspleiten um 24 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu.

Nun drohen die aufgehäuften Schuldenberge Slowenien zu erdrücken. Das einstmals als die »Schweiz Jugoslawiens« titulierte Land wird inzwischen in westlichen Medien als »Spanien Zentraleuropas« bezeichnet. Tatsächlich ist die Staatsverschuldung Sloweniens mit 47,3 Prozent des BIP ähnlich niedrig wie die in Spanien vor Krisenausbruch, während die Geldinstitute beider Länder hilflos vor der Unmenge kaum noch einbringlicher Forderungen stehen. Rund 18 Prozent aller Bankkredite sind in Slowenien ausfallgefährdet – bei Hypotheken soll es sogar die Hälfte sein. Deren Volumen wird inzwischen auf rund acht Milliarden Euro geschätzt. Angesichts eines slowenischen BIP von lediglich 35 Milliarden Euro ist es dem Staat – der rund 50 Prozent des Bankensektors kontrolliert – kaum möglich, diesen aus eigener Kraft zu rekapitalisieren. Das Haushaltsdefizit würde in einem solchen Fall auf 28 Prozent des BIP anschwellen.

Die Probleme des Landes lassen sich auch an dessen Auslandsverschuldung (also alle Verbindlichkeiten der Staaten, der Wirtschaft und Privatpersonen gegenüber dem Ausland) ablesen. Die lag trotz eines stark vom Staat beeinflußten Bankensektors zuletzt bei gut 116 Prozent des BIP. Trotz nominell niedriger Staatsverschuldung bekommt der Staat deshalb auf den Finanzmärkten kaum noch frisches Geld. Dies bewies nicht zuletzt eine Auktion am vergangenen Dienstag, bei der Ljubljana kurzfristige Staatsanleihen im Volumen von 164,5 Millionen Euro an »einheimische Investoren« absetzen konnte. Geplant waren Einnahmen im Umfang von 250 Millionen Euro.

* Aus: junge Welt, Montag, 17. September 2012


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