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Sloweniens "Gelöschte" sehen sich betrogen

Alibizahlungen für einst verstoßene Einwohner

Von Thomas Roser, Belgrad *

Spät hat sich Slowenien zur Entschädigung der »Gelöschten« bereit erklärt: Nach der Unabhängigkeitserklärung 1991 waren über 25 000 Menschen aus dem Bevölkerungsregister gestrichen worden.

Sloweniens offizielles Schuldeingeständnis gegenüber den vor über zwei Jahrzehnten verstoßenen Landeskindern kommt reichlich spät. Mit 46 zu 29 Stimmen verabschiedete das Parlament der Republik in der vergangenen Woche ein Gesetz, das knapp der Hälfte der widerrechtlich aus dem Bevölkerungsregister gelöschten Menschen mit 50 Euro für jeden Monat der Staatenlosigkeit entschädigen soll. Als Alibi und »schlechten Witz« bezeichnet Niko Jurkas, Vorsitzender des Verbands der gelöschten Bürger Sloweniens, diese »Wiedergutmachung«: »Das Gesetz löst gar nichts.«

»Gelöschte« werden in Slowenien Menschen genannt, die vor über zwei Jahrzehnten in der Alpenrepublik alle Rechte verloren haben. Nach der Loslösung von Jugoslawien im Juni 1991 hatte der damalige Staatsneuling allen Bewohnern, die in einer anderen jugoslawischen Republik geboren worden waren, eine Frist gesetzt. Bis Ende 1991 sollten sie sich als Ausländer registrieren lassen – oder die slowenische Staatsbürgerschaft beantragen.

Mehr als 170 000 Antragsteller erhielten die Staatsbürgerschaft. Doch 25 671 Einwohner, die sich nicht gemeldet hatten oder deren Antrag abgelehnt wurde, verschwanden am 26. Februar 1992 aus allen Registern – darunter auffällig viele Angehörige von Minderheiten wie Serben, Kosovo-Albaner oder Roma, aber auch politisch Missliebige wie ehemalige Offiziere der jugoslawischen Volksarmee.

Für die Betroffenen hatte die amtliche Auslöschung katastrophale Folgen. Selbst Menschen, die schon so gut wie ihr ganzes Leben in Slowenien wohnten, slowenische Ehepartner und Kinder hatten, verloren Arbeits- und Aufenthaltsrecht, ihren Besitz, Renten- und Krankenkassenansprüche. Viele wurden deportiert, andere in die Illegalität gedrängt.

Appelle der Vereinten Nationen und des Europarats oder von Menschenrechtsorganisationen, die eine Wiedergutmachung des Unrechts forderten, fruchteten zwei Jahrzehnte lang wenig. Selbst nach zwei Urteilen des heimischen Verfassungsgerichts aus den Jahren 1999 und 2003, denen zufolge die »Löschung« dem Gleichheitsgrundsatz widersprach, ließ sich Ljubljana mit der Korrektur des Unrechts gegenüber den vor allem von konservativen Kreisen gerne als »Landesverräter« bezeichneten Verstoßenen Zeit. Erst durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Jahr, dass sechs »Gelöschten« den Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 20 000 Euro zusprach, fühlte sich Ljubljana unter Zugzwang gesetzt: Der Gerichtshof verdonnerte Slowenien angesichts zahlreicher weiterer Klagen dazu, innerhalb eines Jahres eine allgemeine Entschädigungsregel zu beschließen.

Der Aufforderung ist der angeschlagene Alpenstaat nun mit mehrmonatiger Verspätung und sehr zögerlich nachgekommen. Nur rund 12 000 der »Gelöschten«, die sich bis 2010 nachweislich um Staatsbürgerschaft oder Aufenthaltsgenehmigung bemüht haben, erhalten die Entschädigung, die in fünf Raten ausgezahlt werden soll. Die Kosten dürften insgesamt rund 130 Millionen Euro betragen. Nicht nur wegen der geringen Höhe der Entschädigung und des Ausschlusses von über der Hälfte der Opfer haben Verbände und Anwälte der »Gelöschten« den neuerlichen Gang nach Straßburg angekündigt. Weder werde mit dem Gesetz der Status der Betroffenen und ihrer Angehörigen geregelt noch die Frage der verlorenen gegangenen Rentenansprüche, klagt Blaz Kovac von Amnesty International: »Das Gesetz wurde ohne Konsultation der Betroffenen gemacht: Zu einer Wiedergutmachung fehlt es hier einfach am politischen Willen.«

* Aus: neues deutschland, Montag, 25. November 2013


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