Ljubljana wird EU-Hauptstadt
Sloweniens Sonderweg geht zu Ende / Ratspräsidentschaft stellt Land vor logistische Probleme
Von Hannes Hofbauer *
Lange galt Slowenien als Klassenprimus unter den neuen EU-Mitgliedern aus Osteuropa. Die lange
Zeit vorsichtig umgesetzte Transformation wird in den letzten Jahren durch einen zunehmend
unsozialeren Kurs ersetzt.
Als erster der osteuropäischen EU-Neulinge übernimmt das nur zwei Millionen Einwohner zählende
Slowenien am 1. Januar 2008 die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft der Europäischen
Union. Der Euro war im Ländchen zwischen den Alpen und der Adria schon ein Jahr zuvor
eingeführt worden. Während die Eliten das Musterschülerimage pflegen, kämpft Familie
Normalverbraucher jedoch mit rasant steigenden Preisen. Erst 15 Jahre nach der Wende beginnt die
slowenische Bevölkerung, den eisigen Wind des Neoliberalismus zu spüren.
Seit dem kurzen Zollkrieg im Juni 1991, in dessen Gefolge sich die nördlichste jugoslawische
Republik mit kräftiger Unterstützung aus Bonn und Wien die Unabhängigkeit erkämpft hatte, blieben
die Meldungen über Slowenien spärlich. Unspektakulär und gleichwohl konsequent transformierte
eine von 1992 bis 2004 mit kurzer Unterbrechung regierende Koalition aus postkommunistischen
Sozialdemokraten und christlich-sozialen Konservativen die Wirtschaft des Landes. »Workers and
Management Buy-out« hieß das Zauberwort, das auf Basis der titoistischen Arbeiterselbstverwaltung
einen völlig anderen Weg der Privatisierung bezeichnete als sonst in Osteuropa. Manager, Arbeiter
und Rentner erwarben »ihre« Firmenanteile – kostengünstig mit Vorkaufsrecht. Entstanden ist
daraus ein starker Mittelstand als Kern einer Gesellschaft, deren relativ geringe soziale Gegensätze
der behutsamen Reformpolitik Recht gaben. Im durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen findet
Sloweniens Erfolgsgeschichte ihren statistischen Niederschlag. Es lag 2006 mit 84 Indexpunkten nur
wenig hinter den 100 der EU-27 und an erster Stelle der osteuropäischen Länder (Ungarn z. B.
kommt auf 64, Polen auf 51 Punkte).
Sloweniens zweite Wende kam mit Janez Janša, dessen mehrmals umbenannte Partei im Herbst
2004 die Wahlen gewinnen konnte. Seit damals wird der weitgehende gesellschaftliche Konsens
aufgebrochen, die sozialen Konflikte nehmen zu. »Eine Mischung aus ultraliberal,
sozialdemokratisch und totalitär« nennt der bekannte Soziologe Rastko Mocnik den unnahbaren
Ministerpräsidenten, der sich in der Jugend als Wehrdienstverweigerer, während der Sezession als
Kämpfer gegen die jugoslawische Armee und später als slowenischer Verteidigungsminister viele
Namen gemacht hatte. Substanziell sind Janšas Attacken auf das Sozialsystem dort, wo er seit über
einem Jahr staatliche Sozial- und Rentenfonds, die im Zuge der Buy-Out-Privatisierung neu
entstanden sind, verkauft und damit auch Politik macht. So gelang es dem größten Bierbrauer des
Landes (Laško) mit vom Staat verkauften Anteilen, die größte Zeitung, »Delo«, zu kaufen. Seither ist
die Berichterstattung des Blattes deutlich regierungsfreundlicher geworden.
Anfang Dezember 2007 ließ dann die Regierung Janša mit einem Plan aufhorchen , der
Übernahmen durch das Management und die Arbeiterschaft unmöglich machen könnte.
Unternehmensaktien sollen künftig nicht mehr als Bankgarantien anerkannt werden, was vor allem
für den Finanzsektor, zum überwiegenden Teil in inländisch-mittelständischen Händen, de facto
einen Ausverkaufszwang an ausländische Häuser bedeuten könnte.
Die Unzufriedenheit mit dieser Art Europäisierung wird zunehmend spürbar. Massenhaft hatte sie
sich erstmals im Oktober 2005 geäußert, als Zehntausende gegen den Plan zur Einführung einer
»Flat Tax«, eines bereits in vielen osteuropäischen Ländern etablierten antisozialen
Besteuerungssystems, protestierten. Janša musste klein beigeben. Als »Volksabstimmung« gegen
den harten Regierungkurs konnte die Präsidentenwahl im November 2007 verstanden werden. Der
Oppositionskandidat Danilo Türk stellte mit 68 zu 32 Prozent den von der Regierung gestützten
Lojze Peterle weit in den Schatten. Die folgende Vertrauensfrage im Parlament gewann Janša indes
mühelos.
Kopfzerbrechen bereitet dem kleinen Slowenien die große EU, deren Vertreter sich in den
kommenden sechs Monaten auf 4000 Treffen, davon acht Ministertreffen, in oft viel zu kleinen Sälen
tummeln werden. 62 Millionen Euro sind für die Halbjahres-Show veranschlagt. Gegen den
Raummangel wurden rund um Ljubljana neue diplomatische Zentren errichtet, der mutmaßliche
Mangel an Übersetzern kann in kurzer Zeit nicht behoben werden. Und der weitere Preisschub, den
das Mega-Unternehmen EU-Ratspräsidentschaft auslösen dürfte, wird der Bevölkerung den Tross
aus Brüssel noch lange, nachdem dieser wieder abgezogen sein wird, in Erinnerung halten.
* Aus: Neues Deutschland, 31. Dezember 2007
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