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Fico setzt auf eine weitere Amtsperiode

Slowakei: Muss bisheriger Premier trotz Wahlsiegs in die Opposition? Präsident mit klarer Präferenz

Von Jindra Kolar, Prag *

Der slowakische Präsident Ivan Gasparovic hat am Sonntag (13. Juni) angekündigt, den amtierenden Ministerpräsidenten Robert Fico erneut mit der Regierungsbildung zu beauftragen. Es gebe verschiedene politische Optionen, er wolle aber den Sieger der Parlamentswahl mit der Regierungsbildung betrauen, sagte Gasparovic in der Hauptstadt Bratislava. Ficos linksgerichtete Smer-Partei war bei der Wahl am Samstag nach Auszählung aller Stimmen stärkste Kraft geworden.

Nein, man kann nicht von Prager Verhältnissen sprechen. Die Niederlage, die Robert Fico trotz des überragenden Wahlsieges der sozialdemokratischen Smer in der Slowakei einstecken musste, ist dramatischer als die der tschechischen Parteikollegen. Smer erzielte nach Auszählung aller Wahlkreise 34,79 Prozent der Wählerstimmen und erhält dafür im Nationalrat 62 Sitze. Die Sozialdemokraten sind damit mit Abstand stärkste Fraktion, doch zum Regieren reichen diese Mandate nicht. Denn die bisherigen Koalitionspartner sind Robert Fico abhanden gekommen. Zwar konnte die nationalistische SNS (Slowakische Nationalpartei) mit 5,7 Prozent knapp die Sperrklausel überspringen und erreichte 9 Parlamentssitze, doch die Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) scheiterte mit nur 4,3 Prozent der Stimmen. Vladimir Meciar ließ seinen Rücktritt erklären, er selbst erschien nicht mehr zur Pressekonferenz der HZDS. SNS-Chef Jan Slota zeigte sich geschockt über das schlechte Ergebnis. Es könne nicht angehen, dass die Slowakei nun von Ungarn regiert werde.

Zufrieden mit ihrem Wahlergebnis äußerte sich die Spitzenkandidatin der slowakischen christdemokratischen Union, die frühere Sozialministerin Iveta Radicova. Zwar konnte die SDKU nur 15,42 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen (28 Sitze), doch könnten die Bürgerlichen mit zusammen 79 Mandaten eine Vier-Parteien-Koalition bilden. Frau Radicova würde dann zur ersten Ministerpräsidentin der Slowakei avancieren.

Zu dieser Koalition würde dann auch die neugegründete liberale Partei »Sloboda a Solidarita« (SaS, Freiheit und Solidarität) des Wirtschaftsexperten Richard Sulik gehören. Die Neueinsteiger erzielten auf Anhieb 12,14 Prozent der Stimmen (22 Sitze) und damit einen der ihr nahestehenden tschechischen Partei TOP 09 ähnelnden Erfolg. Vor allem bei den jüngeren Wählern hatte ihre gegen Korruption und Verknöcherung der Politik gezielte Wahlpropaganda Erfolg und ließ die SaS als politische Bewegung der Zukunft erscheinen.

Zur Koalition würden dann zudem die Christdemokratische Bewegung (KDH, 8,52 Prozent/15 Sitze) sowie die gemäßigte ungarische Partei Most-Hid (Brücke, 8,12 Prozent/14 Sitze) gehören. Letztere hatte sich als Abspaltung aus der Partei der ungarischen Koalition SMK Pal Csakys gegründet und vertritt eine moderate Nationalitätenpolitik. Statt die Konfrontation zwischen Slowaken und Ungarn zu schüren, setzt Most-Hid auf Versöhnung und Integration. Ihr Vorsitzender Bela Bugar erklärte das kürzlich von der ungarischen Seite erlassene Gesetz über die doppelte Staatsbürgerschaft als schädlich für eine gute Nachbarschaft der beiden Staaten.

Ob eine solche Koalition jedoch zustande kommen wird, müssen die Verhandlungen der kommenden Tage und wahrscheinlich auch Wochen zeigen. Noch will sich Robert Fico nicht geschlagen geben, in einer ersten Äußerung erklärte er seine deutliche Absicht, die künftige Regierung bilden zu wollen. »Wir haben die Wahlen mit Abstand gewonnen, sogar mit einem Stimmenzuwachs von fast sechs Prozent gegenüber den Wahlen von 2006. Die Wähler wünschen also, dass wir die Regierung fortsetzen.« Man möge ihm in Europa eine Partei zeigen, die an der Regierung war und nach den Problemen der gegenwärtigen Krise noch ein solches Wahlergebnis vorweisen könne. Im übrigen sei es absurd, dass eine Partei, die gegenüber den letzten Parlamentswahlen noch drei Prozent an Zustimmung eingebüßt habe, die Regierungsverantwortung tragen wolle, erklärte Fico an die SDKU gewandt. Die Äußerungen des slowakischen Staatschefs vom Sonntag, den bisherigen Amtsinhaber erneut mit der Regierungsbildung beauftragen zu wollen, scheinen Fico recht zu geben.

Iveta Radicova hingegen gibt sich selbstbewusst. »Wir wollen die Slowakei wieder zum ›Tiger Europas‹ machen«, verkündete die SDKU-Spitzenfrau. Die Wähler wollten eine souveräne Politik und hätten honoriert, dass sich Parteichef Dzurinda – nach den Vorwürfen, unter seiner Regierungszeit seien Geldwäsche betrieben und illegale Auslandskonten angelegt worden – aus dem Wahlkampf zurückgezogen hatte.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Juni 2010


Verkehrte Wahl

Slowakischer Rechtsblock obsiegt

Von Werner Pirker **


Wie in Ungarn und der Tschechischen Republik haben nun auch die Wahlen in der Slowakei zu einem Rechtsruck geführt. Doch anders als in Ungarn, wo das rechtspopulistisch-nationalistische Lager den Protest gegen die unsoziale Belastungspolitik als sozialistisch firmierender Neoliberaler zu nutzen verstand, haben in Tschechien und der Slowakei deklarierte Neoliberale die Mehrheit der Wählerstimmen auf sich gezogen. In beiden Ländern schnitten Parteien, die sich direkt an das Milieu sozialer Aufsteiger wandten, über Erwarten gut ab. In Prag die Top-09-Yuppies des altösterreichischen Adelssprosses Karl Schwarzenberg, in Bratislava die vom »Erfinder« der slowakischen »Flat-tax«, Richard Sulik, angeführte Liste »Freiheit und Solidarität« (SaS).

Nimmt man die zentralen Wahlkampfparolen in der Slowakei zum Maßstab, dann wurde über »Verteidigung des Sozialstaates« oder »Sanierung der Staatsfinanzen« abgestimmt. Mit der ersten zog Ministerpräsident Robert Fico an der Spitze seiner linkssozialdemokratischen SMER-Partei in die Schlacht, unter der anderen sammelte sich das rechtskonservativ-neoliberale Lager. Daß der Rechtsblock 79 von 150 Mandaten gewann, läßt eine mehrheitliche Zustimmung der slowakischen Wählerschaft zu einem »Sparpaket« vermuten, das in seiner antisozialen Treffsicherheit jenem in Deutschland verabschiedeten ähneln dürfte. Denn nichts anderes dürfte mit »Sanierung der Staatsfinanzen« gemeint sein. Für die Slowaken würden sich die von den Wahlsiegern avisierten »Reformen« angesichts wesentlich niedrigerer Einkommen sogar noch um einiges drastischer auswirken als für die Deutschen.

So eindeutig freilich fiel die in der Slowakei getroffene Wahl zugunsten einer neoliberalen Reformpolitik gar nicht aus. Wäre die linksnationalistische HZDS des früheren Ministerpräsidenten Vladimir Meciar nicht unter die Fünfprozentklausel gefallen, dann hätte das bisherige Regierungslager seine Führungsstellung behauptet. Mit über 34 Prozent kann Ficos SMER-Partei auf den mit Abstand stärksten Wählerzuspruch verweisen. Die von der voraussichtlich neuen Ministerpräsidentin Iveta Radicovar angeführte christlich-liberale SDKU erhielt als Zweitplacierte mit 15,4 Prozent nicht einmal halb so viel Stimmen. In diesem Sinn kann von einer deutlichen Option für den Sozialstaat und gegen eine neoliberale Belastungspolitik gesprochen werden. Die Mehrheit ging dem linken Premier nur deshalb verloren, weil seine Partei der HZDS zu viele Stimmen abgeknöpft hatte.

Der Sieg der antinationalen Rechten in der Slowakei könnte sich auch als Ermutigung des ungarischen Irredentismus (Anschlußbewegung an das Mutterland) erweisen. Es hätte der Fico-Regierung aber nicht schlecht zu Gesicht gestanden, hätte sie – ungeachtet ständiger Provokationen aus Budapest – eine tolerante Minderheitenpolitik gegenüber den slowakischen Ungarn betrieben.

** Aus: junge Welt, 15. Juni 2010


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