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"Gorilla" mischt die Slowakei auf

Vorgezogene Neuwahlen im Zeichen eines Politskandals

Von Hannes Hofbauer, Bratislava *

Der Wahlsieger steht fest. Die politische Klasse ist diskreditiert. Das einzig Spannende sind die Skandale. Vor den morgigen Wahlen zum slowakischen Parlament dominierten Ränkespiele und Schlammschlachten die veröffentlichte Meinung. Diesen Eindruck konnte man dieser Tage in Bratislava gewinnen.

»Die Leute haben schon völlig vergessen, warum wir am Samstag wählen gehen«, meint Ivan Jurica, ein zwischen Bratislava und Wien pendelnder Aktionskünstler, im Gespräch. »Niemand im Wahlkampf spricht davon, dass der Euro-Rettungsschirm zur Neuwahl geführt hat.« Der Streit um die Beteiligung der Slowakei an diesem zweifelhaften Kraftakt zur Rettung westeuropäischer Banken und Spekulanten, der auch hier als »Griechenland-Hilfe« verkauft worden ist, sprengte Anfang Oktober 2011 die liberal-konservative Koalition.

Der Euro sprengte die Koalition

In einer ersten Lesung hatte Regierungschefin Iveta Radicova von der Demokratisch-Christlichen Union (SDKU) die Zustimmung zum Rettungsschirm EFSF mit der Vertrauensfrage verknüpft. Nur 55 von 150 Abgeordneten stellten sich auf ihre Seite. Einer der Partner aus der Vierparteien-Koalition, der Vorsitzende von »Freiheit und Solidarität« (SaS) Richard Sulik, war vehement dagegen aufgetreten, »slowakische Steuergelder in ein Fass ohne Boden zu werfen«. Da halfen keine Kniefälle oder Drohungen, seine Abgeordneten stimmten gegen die Beteiligung am EFSF und damit gegen die Ministerpräsidentin. Es war Oppositionsführer Robert Fico von der sozialdemokratischen Smer, der Radicova eine Woche später aus der Patsche half. Sein Angebot: Die stimmenstärkste Smer wolle dem Rettungsfonds zustimmen, wenn die Regierung zurücktreten und Neuwahlen ausschreiben würde. Radicova nahm unter dem Druck Brüssels an und verließ die politische Bühne. Seither muss die SDKU ohne ihre einzige Sympathieträgerin auskommen.

Monatelang plätscherte der Wahlkampf ereignislos dahin. Nicht einmal die alarmierend hohen Arbeitslosenzahlen zum Jahresende 2011 brachten sozialpolitischen Schwung in die Debatten. Immerhin waren Ende Dezember 400 000 arbeitsfähige Slowaken ohne Beschäftigung. Mit offiziell 13,6 Prozent liegt die Arbeitslosenmarke so hoch wie seit sieben Jahren nicht mehr. Auch die prekäre Situation im Gesundheitswesen, die Ende November 2011 in einem Massenstreik der Ärzte gipfelte, den die Regierung mit der Verhängung des Ausnahmezustandes beantwortete, gab als Wahlkampfthema nicht viel her.

Dann kam Gorilla. »Gorilla« ist der Codename eines Abhörprotokolls des Inlandsgeheimdienstes SIS. Der hatte in den Jahren 2005/06 auf richterlichen Antrag Manager und Politiker abgehört. Die zu Weihnachten 2011 veröffentlichten Unterlagen malen ein düsteres Sittenbild der damaligen Regierung Mikulas Dzurinda (SDKU). Sollten die von Innenminister Daniel Lipsic (KDH) vorgelegten Mitschriften echt sein, und kaum jemand zweifelt daran, hielt sich die Investmentgruppe »Penta«, ein auch international stark vernetzter Wirtschaftsgigant, über Jahre hinweg eine Regierung aus Christlich-konservativen und Liberalen. Staatsbetriebe sollen gegen entsprechende finanzielle Belohnungen der Minister und ihrer Parteien günstig an private Investoren gegangen sein. Die Minister der konservativen Koalitionsregierung agieren in den Protokollen, die in Form von Abschriften der Telefonate mit »Penta«-Vorsitzendem Jaroslav Hascak vorliegen, als Knechte des Wirtschaftsbosses. »Gorilla« löste eine riesige Welle der Empörung aus. Wochenlang gingen Zehntausende Menschen in Bratislava, Kosice und anderen Städten auf die Straße und forderten den sofortigen Rücktritt der in die Affäre involvierten Minister, insbesondere des amtierenden Außenministers Dzurinda und des Finanzministers Ivan Miklos.

Ficos Smer liegt weit vorn

»Gorilla«, da sind sich sämtliche Medien des Landes einig, hat die Parteienlandschaft durcheinandergewirbelt und wird den Ausgang der Parlamentswahlen beeinflussen. Die SDKU liegt in manchen Meinungsumfragen nur noch knapp über der Fünf-Prozent-Marke und könnte sogar den Einzug ins Parlament verfehlen. Mit 34,8 Prozent lag Robert Ficos Smer-SD (»Richtung-Sozialdemokratie«) bei den vergangenen Parlamentswahlen im Jahr 2010 an der Spitze. Eine Vierparteienkoalition aus der liberal-konservativen SDKU (15,4), der adjektivlos liberalen SaS (12,1), der christlich-konservativen KDH (8,5) und der Ungarnpartei Most-Hid (8,1) fand sich mühevoll zur parlamentarische Mehrheit, die dann im Sturm der Euro-Rettung zerbarst. Bei den größten Meinungsforschungsinstituten des Landes, »Focus« und »Polis«, erreicht Smer heute zwischen 37,5 und 40 Prozent. Der KDH geben beide Institute 10, der SaS rund 6 Prozent, die SDKU käme auf 5 bis 6 Prozent. Die Ungarnpartei weiß ihre nationale Klientel hinter sich, während der Wiedereinzug der rechtsnationalen Slowakischen Nationalpartei (SNS) sowie der von Vladimir Meciars HZDS scheitern könnte.

Rund um die Fünf-Prozent-Marke kämpfen drei weitere, neue Parteien um Parlamentssitze auf dem Burgberg. Ihre Namen zeugen vom Frust der Wähler: »Partei der einfachen Leute« (OLaNO), das Bündnis »99%-Bürgerstimme« und ein Einzelkämpfer unter der Bezeichnung »Veränderung von unten« hoffen auf Zustimmung in Fraktionsstärke. Die »Partei der einfachen Leute« dürfte es auch schaffen. Ihr Chef Igor Matovic ist eine schillernde Figur. 2010 unter den Fittichen der liberalen SaS mit ein paar konservativen Kollegen ins Parlament gewählt, hat er sich bald aus der Koalition verabschiedet und gibt nun den Saubermann. Im Stile schlechter US-Politfilme begab er sich zuletzt in die Obhut eines Lügendetektors, um seine vermeintliche Ehrlichkeit vor aller Augen technologisch abzusichern. Seine aus unzufriedenen ehemaligen SKDU- und KDH-Leuten zusammengewürfelte Mannschaft wollte ihm nicht folgen, woraufhin er sie alle von der Liste strich.

Meinungsforscher geben Matovic bis zu neun Prozent. Dem Geschäftsmann Ivan Weiss mit seiner Liste 99%, die mit der Occupy-Bewegung nur den Slogan gemeinsam hat, und dem als Geheimdienstmitarbeiter enttarnten Jan Budaj mit seiner »Veränderung von unten« werden nur wenig Chancen eingeräumt. Mit der kleinen Kommunistischen Partei rechnet niemand.

Die große Frage des morgigen Wahlabends wird sein, ob Smer die absolute Mehrheit erreichen kann. Das hängt vor allem von der Zahl der Kleinparteien ab, die den Sprung ins Parlament schaffen. Inhaltlich hat sich Fico wiederum erfolgreich als Retter der kleinen Leute positioniert. Mit seiner Mischung aus sozialpolitischem Engagement, das eine Absage an angeblich unumgängliche neoliberale Vorgaben beinhaltet, und slowakischem Nationalbewusstsein kann er Stimmen aus unterschiedlichen weltanschaulichen Milieus auf sich vereinen. Im Smer-Programm finden sich eine Erhöhung der Bankenabgabe sowie Steuererhöhungen für Großverdiener.

Parteitaktik vor Nationalstolz

»Wir werden auch ein Gesetz vorbereiten, das den Gewinn von Privatkrankenkassen aus der Pflichtversicherung wieder in das Gesundheitswesen zurückführt und seine Ausschüttungen in Form von Dividenden verbietet, und dies in Einklang mit internationalem Recht«, erläutert Robert Zanony von der Smer-Kommunikationsabteilung gegenüber »nd«. Dies sei einer der sozialpolitischen Grundzüge, so Zanony, und fügt hinzu, dass die von der Vorgängerregierung angepeilte Privatisierung von Krankenhäusern für Smer nicht in Frage komme. Dass Fico im Oktober 2011 mit seinem für die Slowakei teuren Ja zum Euro-Rettungsschirm Parteitaktik vor Nationalstolz gestellt hat, scheint ihm kaum jemand nachzutragen.

* Aus: neues deutschland, 9. März 2012


Wahl der "Gorillas"

Slowakei: Korruptionsskandal überschattet Entscheidung über neues Parlament

Von David X. Noack, Bratislava **


Die Akte, in der der slowakische Inlandsgeheimdienst SIS die Ergebnisse der Überwachung einer Tarnwohnung zusammenfaßte, trug den Namen »Gorilla«. Aus dieser geht hervor, daß nahezu alle Privatisierungsentscheidungen unter dem von 1998 bis 2006 amtierenden Ministerpräsidenten Mikuláš Dzurindas nicht nur einer Investorengruppe namens Penta, sondern auch direkt den Geldbörsen der beteiligten Spitzenpolitiker gedient hatten. Das Kabinett nahm die Akten, die Informationen aus den Jahren 2005 und 2006 enthalten, schleunigst unter Verschluß, doch im vergangenen Dezember tauchten sie frei zugänglich im Internet auf. Seitdem demonstrieren wöchentlich Tausende Slowaken in der Hauptstadt Bratislava und anderen Regionen gegen die Korruption der politischen Elite des kleinen Donauanrainerlandes.

Bereits im vergangenen Oktober war die slowakische Mitte-rechts-Regierungskoalition an der Frage einer Ausweitung des Euro-Rettungsschirms zerbrochen und Ministerpräsidentin Iveta Radicová zurückgetreten. Daraufhin wurden vorgezogene Parlamentswahlen anberaumt, die nun am Samstag (10. März) stattfinden. Mitten in den Vorwahlkampf platzte dann der »Gorilla-Skandal« und erschütterte das gesamte Parteiensystem. Radicovás konservative SDKÚ-DS muß laut letzten Umfragen sogar fürchten, nicht wieder ins Parlament einzuziehen. Sie selbst hat bereits ihren Rückzug aus der Politik und den Austritt aus der Partei angekündigt.

Klarer Sieger der Wahlen wird wohl die linkssozialdemokratische SMER des beliebtesten Politikers des Landes, Robert Fico, werden. Dieser hatte bei seinem ersten Amtsantritt 2006 alle Privatisierungen gestoppt und fokussierte auch seinen diesjährigen Wahlkampf auf die hohe Arbeitslosigkeit und den weit verbreiteten Wohnungsmangel. Die Umfragen sehen die Partei stabil bei knapp über 40 Prozent.

Ob die von der US-Botschaft in Bratislava kritisch beäugten Sozialdemokraten eine absolute Mehrheit erringen können, wird davon abhängen, wie viele der den Prognosen zufolge nahe an der Fünf-Prozent-Hürde liegenden Kräfte es in den Slowakischen Nationalrat schaffen. Sowohl die Nationalpartei, als auch zwei große Parteien der ungarischen Minderheit, die SDKÚ-DS und die christlich-fundamentalistischen »Ordentlichen Leute« (OL), auf deren Liste auch Mitglieder der Piratenpartei kandidieren, liegen in den Umfragen jeweils knapp über oder unter der Hürde. Die angebliche Partei der Occupy-Bewegung »99 Prozent – Bürgerstimme« hat ebenfalls Chancen auf den Einzug ins Parlament. Sie fällt bislang durch eine besondere Inhaltsleere sowie ein Budget auf, das für eine Graswurzelbewegung untypisch erscheint. »Die Rüstungskonzerne unterstützen ›99 Prozent‹, um die Antikorruptionsproteste zu kanalisieren und die Linke zu schwächen«, erklärte dies der Politikwissenschaftler Luboš Blaha gegenüber jW in dieser Woche.

Ohnehin steht die Legitimität der Abstimmung auf der Kippe. Mehrere hundert Unterstützungsunterschriften für die Kandidatur von »99 Prozent« haben sich als gefälscht herausgestellt. Derzeit prüfe das Innenministerium »energisch« alle eingereichten Unterstützungserklärungen, erklärte ein Ministeriumssprecher gegenüber jW. Zudem soll József Berényi, der Chef der Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nahestehenden Minderheitenpartei SMK, die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen, wodurch seine Kandidatur illegal wäre. Was aber passiert, wenn sich nachträglich herausstellt, daß zwei Parteien nicht zur Wahl hätten antreten dürfen, ist bislang völlig unklar.

** Aus: junge Welt, 9. März 2012


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