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Bürger oder kein Bürger?

In der Slowakei trat ein neues Staatsbürgerschaftsgesetz in Kraft

Von Jindra Kolar, Prag *

In der Slowakei trat am Sonnabend (17. Juli) ein neue Staatsbürgerschaftsgesetz in Kraft. Dessen Hauptaussage: Wer die Bürgerschaft eines anderen Staates annimmt, kann nicht weiter slowakischer Staatsbürger bleiben.

Das neue Gesetz über die Staatsangehörigkeit war Ende Mai – noch vor den jüngsten Parlamentswahlen – verabschiedet worden. Bratislava reagierte damit auf eine Verordnung der neuen konservativen Regierung Ungarns, die beschlossen hatte, dass auch im Ausland lebende Personen ungarischer Nationalität die ungarische Staatsbürgerschaft annehmen können. Die nationalistische Budapester Regierung unter Victor Orban verfolgt damit zwei Interessen: Einerseits dehnt sie stillschweigend ihren Einfluss auf die ungarisch besiedelten slowakischen, rumänischen, serbischen und ukrainischen Gebiete aus, womit sie andererseits potenzielle Wähler unter den Auslandsungarn umwirbt, die mit der Annahme der Staatsbürgerschaft auch das Recht zur Teilnahme an künftigen Urnengängen hätten.

Die Beziehungen zwischen Bratislava und Budapest sind seit längerem gespannt. Nicht zuletzt die Aktivitäten slowakischer Nationalisten hatten die Gegensätze verschärft. Deutlichstes Beispiel war die Verabschiedung eines Gesetzes über die Staatssprache im vergangenen Jahr. Slowakisch wurde damit zur Pflichtsprache in allen Amtsstuben, Schulen, Theatern und anderen öffentlichen Räumen gemacht. Dies führte zu Kuriositäten wie jener, dass in den überwiegend von Ungarn bewohnten südslowakischen Gemeinden ein ungarischstämmiger Bürger mit dem ebenfalls ungarischen Bürgermeister slowakisch sprechen muss. Zuwiderhandlungen werden mit drastischen Geldbußen bestraft.

Budapest drehte nun mit dem Staatsbürgerschaftsgesetz weiter an der Spirale der Spannungen: Wer nachweisen kann, dass er ungarische Wurzeln hat und der ungarischen Sprache mächtig ist, kann Staatsbürger der Donaurepublik werden. Allerdings soll das Gesetz erst im Januar 2011 in Kraft treten. Die slowakische Antwort dagegen kam prompt und gilt für alle Neuanträge auf andere Staatsbürgerschaften. »Wer bis zum 17. Juli dieses Jahres eine doppelte Staatsbürgerschaft besaß, kann diese auch behalten«, erklärt Lucia Garajova, Sprecherin des Innenministeriums. Damit wird vor allem der Status von Exilslowaken geschützt, die nach dem August 1968 die CSSR verließen und in anderen europäischen Staaten aufgenommen wurden. Viele von ihnen beantragten nach der »Samtenen Revolution« 1989 und der staatlichen Trennung von Tschechien zu Beginn 1993 die Staatsbürgerschaft der neuen Republik. Nicht betroffen sind auch Bürger, die die Staatsbürgerschaft der Tschechoslowakei hatten und nach der Trennung beide Staatsbürgerschaften behielten.

Was ändert sich nun? Bürger, die nach dem 17. Juli eine andere Staatsbürgerschaft beantragen, verlieren die slowakische. Sie verlieren auch das Recht zur Teilnahme an Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Angestellte im öffentlichen Dienst – Polizisten, Feuerwehrleute und Armeeangehörige – müssen den Dienst quittieren. Personen, die eine fremde Staatsbürgerschaft annehmen, haben dies unverzüglich den Behörden am Wohnsitz anzuzeigen, andernfalls droht eine Geldbuße von 3319 Euro. Gleichzeitig müssen Pässe und Personalausweise der Slowakischen Republik abgegeben werden.

Die neue bürgerliche Regierung unter Iveta Radicova hat allerdings bereits angekündigt, das Gesetz überarbeiten zu wollen und die scharfen Regelungen zu mildern. Beim bevorstehenden Visegrad- Gipfel – dazu treffen sich die Regierungschefs Polens, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns – will sie mit ihrem ungarischen Kollegen über den Abbau der Spannungen zwischen beiden Donauanrainern beraten.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juli 2010


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