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Ein Denkzettel für Singapurs Herrscher

Opposition errang bei Wahlen Achtungserfolg

Von Thomas Berger *

Die Partei der Volksaktion (PAP) wird in Singapur auch weiter mit Dreiviertelmehrheit regieren. Bei den Parlamentswahlen am Sonnabend legte die Opposition aber spürbar zu.

Im südostasiatischen Stadtstaat Singapur, dessen fünf Millionen Einwohner auf nur knapp 700 Quadratkilometer leben, regiert seit 1959 die PAP. Jeweils ein Abgeordneter der linkssozialdemokratischen Arbeiterpartei (WP) und der Demokratischen Allianz Singapurs (SDA) verloren sich zuletzt im 84-köpfigen Parlament. Gegen die PAP-Vertreter vermochten sie sich kaum Gehör zu verschaffen.

Diesmal waren 87 Mandate zu vergeben, und auch wenn die PAP wieder einen deutlichen Sieg einfahren konnte und 81 Sitze gewann, erhielt sie doch einen Denkzettel. Die Opposition verdreifachte die Zahl ihrer Mandate – von zwei auf sechs. Erstmals gelang es der WP, einen der Mehrheitswahlkreise zu erobern. Damit entsendet sie nun fünf Abgeordnete ins Parlament. Dies ist eine Besonderheit des singapurischen Wahlrechts: Neben Einzelwahlkreisen gibt es solche, in denen die bestplatzierte Partei alle Mandate erringt.

In der Vergangenheit war es der Opposition in diesen Stadtteilen schon schwergefallen, überhaupt genügend Kandidaten aufzustellen. Diesmal waren die Regierungskritiker im Grunde flächendeckend präsent. Und obwohl es nicht zu einer Zusammenarbeit reichte, machten die fünf Oppositionsgruppen einander zumindest keine Konkurrenz. Das reichte, um den PAP-Bewerbern in etlichen Wahlkreisen einen härteren Zweikampf zu liefern. Im Stadtbezirk Westküste, wo die PAP zwei Drittel der Stimmen erhielt, trat unter dem Banner der jungen Reformpartei (RP) Kenneth Jeyaretnam an, Sohn des Mannes, der 1981 das allererste Oppositionsmandat überhaupt errungen hatte. WP und SDA mussten zwar den Verlust ihrer beiden zuletzt gehaltenen Einzelwahlkreise hinnehmen, doch gab es Bezirke, wo Regierung und Opposition nur etwa zehn Prozentpunkte trennten.

Selbst Premier Lee Hsien Loong – seit 2004 im Amt – sprach von der Wahl als einem »Wendepunkt« und registrierte eine »deutliche Verschiebung in der politischen Landschaft«, der man sich anpassen müsse. Sein Vater Lee Kuan Yew (87), langjähriger Regierungschef und als »Minister Mentor« immer noch die graue Eminenz in Singapur, zeigt sich allerdings wenig beeindruckt. Der Senior hatte jahrzehntelang einen strikten Modernisierungskurs verfolgt, aber auch sehr autoritär regiert. Bei vielen Indikatoren trennt den Stadtstaat heute nur noch wenig von der sogenannten »Ersten Welt«, zu der man sich spätestens 2020 endgültig rechnen möchte. Doch hat auch das soziale Gefälle in der Gesellschaft zugenommen, etliche Einwohner müssen sich mit unzureichenden Mindestlöhnen durchschlagen.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Mai 2011


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