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Parlamentswahlen in Singapur

Opposition hat erstmals seit Jahrzehnten die Chance auf den Gewinn einiger Wahlkreise

Von Thomas Berger *

In einem der flächenmäßig kleinsten Länder der Welt läuft der Wahlkampf auf Hochtouren – am 7. Mai sind die Einwohner Singapurs zur Abstimmung über die Neubesetzung des Parlaments aufgerufen. Für die seit Jahrzehnten mit erdrückender Mehrheit regierende Volksaktionspartei (PAP) könnte es die bisher schwerste Schlacht geben, die sie gegen ihre Konkurrenten zu schlagen hat. Nie zuvor haben die Oppositionskräfte sich in jüngerer Vergangenheit größere Chancen auf den Gewinn einiger Wahlkreise ausrechnen können.

Noch beim letzten Urnengang 2006 war es der Opposition schon schwergefallen, überhaupt flächendeckend Präsenz zu zeigen. Hintergrund ist auch das spezielle Singapurer Wahlsystem. Nur gut ein Dutzend sind »singuläre« Wahlkreise, wo jeweils nur ein Abgeordneter gewählt wird. Die meisten entsenden gleich zwei bis sechs Vertreter ins Parlament. Alles oder nichts, lautet dann die Devise, und wer nicht genügend Personal für Wahlvorschläge hat, braucht dort gar nicht erst anzutreten.

Formell ist Singapur eine Demokratie westlichen Zuschnitts, doch nur eine zahlenmäßig kleine Elite mit der Regierungspartei PAP als ideologisch-strukturelles Vehikel und gibt seit vielen Jahren den Ton an. Im Endeffekt konzentriert sich die Macht sogar nur in den Händen einer einzigen Familie unter Lee Kuan Yew, die den Stadtstaat eher wie ein Großunternehmen statt eines Gemeinwesens führt.

Auf den ersten Blick ist Singapur eine der modernsten Metropolen Asiens. Viereinhalb Millionen Einwohner verteilen sich auf knapp 700 Quadratkilometer, die Wirtschaft wächst solide, quartalsweise um bis zu 15 Prozent. Ethnische Chinesen dominieren zu drei Vierteln die Bevölkerung und haben einen Wohlstand geschaffen, der in der Region seinesgleichen sucht.

Anschluß an die sogenannte Erste Welt lautet in Singapur das Zauberwort, und in bestimmten Kriterien ist dies nicht einmal aus der Luft gegriffen. Manches jedoch ist mehr Schein als Sein, und bei genauerem Hinsehen stößt man auf jene, denen es nicht blendend geht, die keinen Job haben oder mit Hungerlöhnen von umgerechnet 800 bis 900 Euro nach Hause gehen – in einer der teuersten Großstädte des Globus. Daß das vergleichsweise reiche Singapur zudem Sogwirkung auf legale wie illegale Einwanderer aus der ärmeren Nachbarschaft entfaltet, macht die Lage nicht einfacher.

Schon vor Jahren hat Lee Kuan Yew die Regierungsgeschäfte in die Hände seines Sohnes gelegt. Doch hinter Premier Lee Hsien Loong steht noch immer sein Vater in der Funktion des »Minister Mentor«, wo er als graue Eminenz die Fäden ziehen kann und dies eifrig nutzt. Vom Machterhalt seiner PAP ist er felsenfest überzeugt. Lee Junior gibt sich etwas zurückhaltender, spricht lieber von der Notwendigkeit, einen weiteren Generationswechsel an der Spitze einzuleiten und mit geeigneten Kandidaten schon jetzt eine Führungsstruktur für die Zeit nach 2020 aufzubauen.

Daß sie der PAP wahrscheinlich nicht einmal die Zweidrittelmehrheit streitig machen können, wissen die Vertreter der Opposition. Doch mehr als zwei Sitze 2006 – je einer für die linkssozialdemokratische Workers Party (WP) und die Demokratische Allianz (SDA) –sind diesmal allemal drin. Nicht nur die Fülle an Kandidaten ist gestiegen, die PAP-Gegner bieten Analysen zufolge auch mehr als je zuvor Bewerber mit bester Ausbildung auf, was in Singapur nicht ohne Bedeutung ist. Außerdem war man darauf bedacht, sich in den Wahlkreisen möglichst nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen. Inhaltlich geht es vor allem um soziale Fragen, vorweg die stetig steigenden Lebenshaltungskosten. Auch das Defizit an echter Demokratie wird von der Opposition offen angesprochen.

* Aus: junge Welt, 28. April 2011


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