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"Der Hunger in Simbabwe hat jetzt die Mittelklasse erreicht"

Die Bevölkerung kämpft mit dem Alltag und reagiert mit Zurückhaltung auf die Machtteilung

Jenni Williams ist eine der führenden Aktivistinnen der Frauen-Organsiation WOZA (Woman of Zimbabwe, Arise! Frauen aus Simbabwe, steht auf!). Die Organisation erhält im November den Menschenrechtspreis von Amnesty International. Haidy Damm sprach mit Jenni Williams über die Situation in dem südafrikanischen Land. *



Nach langen Auseinandersetzungen muss Präsident Robert Mugabe einen Teil seiner Macht abgeben. Wie bewerten Sie den kürzlichen Abschluss der Verhandlungen zwischen Mugabe und dem neuen Premierminister Morgan Tsvangirai?

Williams: Nun, diese Verhandlungen haben nur auf höchster Ebene stattgefunden. Die Menschen haben nicht teilgehabt an dem Prozess. Wir bleiben also skeptisch, besonders solange die detaillierten Ergebnisse nicht allen öffentlich zugänglich gemacht werden. Bisher hat sich an der Situation noch nichts geändert: Unsere Mitstreiterinnen müssen noch immer damit rechnen, ins Gefängnis geworfen zu werden, und Mugabe hat noch immer die Macht im Staat.

Haben Sie denn die Hoffnung auf einen Wechsel?

Sicher, es gibt Hoffnung, aber die hat weniger mit dem Inhalt und mehr mit dem Papier selbst zu tun. Robert Mugabe musste es unterschreiben! Das ist ein erster Schritt. Was wir jetzt brauchen, ist eine Übergangsregierung, die in der Lage ist, mit der humanitären Katastrophe umzugehen.

Wie ist die alltägliche Situation in Simbabwe?

Die Menschen sind tief traumatisiert. Nicht nur die Aktivisten, alle Menschen. Denn alles was du tust ist ein Kampf: Die Wirtschaft ist zusammengebrochen und die Menschen sind sehr müde angesichts der permantenten Repression. Dazu kommt inzwischen der Hunger. Der Hunger hat jetzt die Mittelklasse erreicht. Viele Menschen müssen über die Grenzen, um die lebensnotwendigen Sachen zu kaufen. Das Traurige ist, wenn du über die Grenze gehst, findest du dort Produkte aus Simbabwe, denn die Hersteller können es sich nicht mehr leisten, ihre Produkte im eigenen Land zu verkaufen.

Gibt es Möglichkeiten der Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung?

Nein, das klingt zwar nach einer guten Idee, aber es ist unmöglich. Wenn wir eine Suppenküche einrichten, würde die Polizei kommen und die Menschen wegen Verstoßes gegen das Versammlungsverbot verhaften. Deshalb vermeiden es die Menschen, sich zu versammeln, sondern gucken, was sie für sich selbst tun können.

Die südafrikanische Regierung hat eine wichtige Rolle in der vergangenen Krise gespielt. Jetzt steht der inzwischen ehemalige Präsident Thabo Mbeki als großer Vermittler da. Wie sehen Sie die Rolle Südafrikas?

Mbeki ist sicher sehr stolz darauf, dass er in den Verhandlungen vermittelt hat. Aber die Leute in Simbabwe sind der Meinung, dass Südafrika nicht genug und vor allem nicht schnell genug gehandelt hat. Warum sie das nicht getan haben? Nun, ich denke, das liegt auch daran, dass südafrikansiche Geschäftsleute einige unserer Minen sehr sehr billig erstanden haben während der Krise. Südafrika baut sich gerade zur Ersten Welt in Afrika auf. Mit dieser Entwicklung sind wir nicht zufrieden.

Erfahren Sie Unterstützung jenseits der Regierung?

Wir haben Netzwerke aufgebaut und erfahren viel Solidarität. Das war nicht immer so. Als die fremdenfeindlichen Übergriffe in Südafrika stattfanden, waren viele Flüchtlinge aus Simbabwe betroffen. Das war eine sehr negative Entwicklung, aber sie hat sich ins Positive gewandelt. Denn es sind Leute aufgestanden und haben gesagt: Wir sind alle Afrikaner! Sie haben sich organisiert gegen die Gewalt und die Übergriffe. Es liegt insgesamt ein Wechsel in der Luft. Zu lange waren die afrikanischen Länder beherrscht von Diktatoren wie Mugabe. Auch Mbeki ist übrigens nicht mit den Menschen an der Basis verbunden. Jacob Zuma schon. Hier kündigt sich ein Wechsel an: weg von den Diktatoren hin zu einer neuen Art von Regierungen.

Jetzt beginnt die Pflanzzeit. Ohne Saatgut wird auch die kommende Ernte mager ausfallen. Gleichzeitig versuchen europäische und US-amerikanische Saatgutkonzerne, ihre gentechnisch veränderten Lebensmittel und Saatgut unter die Leute zu bringen. Was halten Sie davon?

Also, zunächst mal reden wir in Simbabwe wirklich von Hunger. Alle Lebensmittelhilfen, die angekommen sind, sind in die Hände der Mugabe-Partei ZANU-PF geraten und wurden nur an Parteimitglieder ausgegeben. Dieses System müssen wir durchbrechen. Dann brauchen wir Saatgut. Wir sind uns sehr bewusst, dass mit dem gentechnisch veränderten Samen die Möglichkeit besteht, dass unsere Landwirtschaft nicht mehr in unseren Händen liegt. Es gibt darüber eine breite Diskussion. Ich denke nicht, dass überhaupt die Notwendigkeit besteht, auf genetisch verändertes Saatgut zurückzugreifen. Simbabwe hat eine lange und gute Tradition in der Landwirtschaft und wir können gut darauf verzichten, dass wir in neue Abhängigkeiten geraten und uns nicht selbst versorgen können. Afrika braucht nachhaltige Landwirtschaft, die die Selbstversorgung sichert.

Es gibt bereits jetzt Forderungen, die weißen Farmer sollen zurückommen ...

Eine Landwirtschaft, die nur den Eliten gehört, ist nicht nachhaltig. Wir brauchen eine echte Agrarreform. Die Leute erwarten das. Und sie werden es nicht akzeptieren, wenn die Reform einfach die alten Eliten wiederbringt. Als Mugabe die weißen Farmer aus dem Land geworfen hat, hat er sie einfach gegen eine schwarze Elite ausgetauscht. Wir wollen, dass das Land den Menschen gehört.

Seit dem Sommer ist das Land wieder von Sanktionen betroffen. Soll die EU den Druck auf Mugabe lockern, jetzt, wo die Verhandlungen abgeschlossen sind?

Nein, wir können Mugabe nicht trauen, es muss sowas wie einen heimlichen Militärputsch gegeben haben, denn sonst hätte Mugabe gar nicht unterzeichnet. Ich bin dafür, die Sanktionen erst zu lockern, wenn klar ist, was überhaupt in dem verhandelten Papier steht und unsere Rechte wie Vereinigungsfreiheit und Pressefreiheit tatsächlich verankert sind. Aber wir brauchen jetzt in diesem Moment Lebensmittel und Saatgut. Wir brauchen Hilfe, die wirklich bei den Menschen ankommt.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2008

Afrika wartet auf EU-Hilfe

Von David Cronin, Brüssel **

Vor zwei Jahren beschloss die Europäische Union ein Aktionsprogramm gegen den Mangel an medizinischem Fachpersonal in Entwicklungsländern. Doch bis heute sind Fortschritte kaum messbar, wie eine Erhebung der Europäischen Kommission zeigt. Die Folgen der Unterfinanzierung sind verheerend. Im südlichen Bergstaat Lesotho etwa sind 54 Prozent der Krankenpflegerstellen unbesetzt. In Malawi gibt es weniger als 100 Ärzte, die speziell für die Behandlung von Aids ausgebildet sind.

Es sei unmöglich herauszufinden, ob aufgrund des Datenmangels seit 2006 überhaupt Gelder in das Projekt geflossen seien, kritisiert der Bericht. Dazu fehle es an der nötigen Koordination – ein Problem, das die EU eigentlich bei allen Entwicklungsprojekten lösen wollte. Es sei wichtig, die EUHilfe für den Gesundheitsbereich abzustimmen, um Überschneidungen und eine zu starke Konzentration auf bestimmte Länder zu vermeiden. So nennt die Untersuchung zehn afrikanische Länder, in denen EU-Staaten Gesundheitsprojekte an denselben Orten durchführen.

Die EU-Kommission kritisiert in ihrem Bericht, dass Entwicklungshilfe oft viel zu kurzfristig angelegt ist. Dadurch seien wiederkehrende Kosten wie Gehälter für medizinische Fachkräfte in armen Ländern nicht gedeckt. Die Kommission schlägt daher vor, einen Teil der EU-Hilfe im Rahmen eines Vertrags zu leisten, der die Millenniumsentwicklungsziele voranbringt.

Aktivisten begrüßten zwar das darin enthaltene Prinzip der Nachhaltigkeit. Sie wenden aber ein, dass das Kleingedruckte in einigen EU-Dokumenten über die Wirkungsweise des Vertrages eine Konzentration der EU-Hilfe auf die Bereiche Gesundheit und Bildung verhindern könnte. Darin wird auch die Förderung des Investitionsklimas und die wirtschaftliche Stabilität in den armen Ländern propagiert. IPS

** Aus: Neues Deutschland, 30. Septermber 2008




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