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Mugabe setzt auf die Toten

Zehntausende Verstorbene im Wählerregister sind die Trumpfkarte des Langzeitpräsidenten

Von Frank Gries *

Bei den Präsidenten- und Parlamentswahlen in Simbabwe am Mittwoch kommt es zum vierten Duell zwischen Machthaber Robert Mugabe von der ZANU-PF und Herausforderer Morgan Tsvangirai von der MDC.

»Gebt eure Stimmen in Frieden ab, wir wollen Frieden!« Nicht alle Simbabwer nehmen dem 89-jährigen Robert Mugabe diese Botschaft ab, die er am Sonntag auf einer Kundgebung vor 40 000 Anhängern im Stadion von Harare verkündete. »Es wird frei und gerecht zugehen«, versprach Mugabe, der in dem südafrikanischen Staat seit dessen Unabhängigkeitserklärung 1980 ununterbrochen an der Macht ist. »Wir zwingen niemanden, für die eine oder andere Richtung zu stimmen.«

Unter Mugabe, dem ehemaligen Hoffnungsträger, entwickelte sich das Land zu einer autoritären Kleptokratie. Eine 1997 eingeführte Rente für ehemalige Befreiungskämpfer brachte den Staatshaushalt endgültig in eine nicht korrigierbare Schieflage. Die sich verschlechternde ökonomische Situation führte 1999 zur Gründung der ersten ernstzunehmenden Oppositionspartei, der Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC). Eine sogenannte Landreform, eine chaotische Umverteilung des durch die Enteignung weißer Großfarmer akquirierten Farmlandes an Kleinbauern, ermöglichte der ZANU und Mugabe zwar nochmals Wahlerfolge, beraubte das Land aber des Großteils seiner Deviseneinnahmen. Die Folge war ein wirtschaftlicher Zusammenbruch mit einer unvorstellbaren Inflationsrate von 250 Millionen Prozent im Jahre 2008. Millionen Simbabwer verließen das Land auf verzweifelter Suche nach Arbeit.

Bei den Wahlen 2008 verlor die ZANU-PF erstmals nach 28 Jahren ihre Parlamentsmehrheit gegen eine inzwischen gespaltene MDC, deren größere Fraktion nach wie vor hinter Tsvangirai steht, während eine Minderheit sich von ihm abgewandt hat und inzwischen von Welshman Ncube geführt wird. Bei den Präsidentschaftswahlen 2008 lag auch Mugabe im ersten Wahlgang hinter seinem Opponenten Morgan Tsvangirai. Vor der entscheidenden Stichwahl orchestrierte die ZANU-PF jedoch eine landesweite Gewaltwelle, die über 100 Menschen das Leben kostete. Tsvangirai zog daraufhin seine Kandidatur zurück, um das Leben seiner Anhänger nicht weiter zu gefährden. Mugabe blieb der einzige Kandidat, was den Wahlvorgang zu einer Farce werden ließ.

Die fehlende internationale Anerkennung dieses Ergebnisses zwang Mugabe schließlich zur Integration der MDC-Fraktionen in eine Regierung der nationalen Einheit – der jedoch jegliche Einigkeit fehlte. Immerhin vermochte es die Regierung, durch die Einführung des US-Dollars anstatt des Simbabwe-Dollars als offizielles Zahlungsmittel die Wirtschaft wieder leidlich zu stabilisieren. Ansonsten waren die folgenden Jahre vor allem durch eine Politik der gegenseitigen Blockaden geprägt. Dabei gelang es der ZANU immer wieder, im Koalitionsvertrag vereinbarte Reformvorhaben zu verschleppen.

Erstaunlich bleibt die offenbare Hilflosigkeit der MDC-Fraktionen, die immerhin seit fünf Jahren die Parlamentsmehrheit besitzen. Es ist ihnen nie gelungen, maßgeblichen Einfluss auf die Machtstrukturen des Staates zu bekommen. So hat bis heute der MDC-Finanzminister Tendai Biti keinen Zugriff auf die Einkünfte aus den lukrativen Diamantenvorkommen des Landes, die in bekannten Kanälen verschwinden. Doch auch die andauernde Zurückhaltung der Südafrikanischen Entwicklungsgemeinschaft (SADC) – als Garantin der Einhaltung des Koalitionsvertrages – gegenüber den wiederholten Brüchen der Vereinbarung durch die ZANU-PF wirft Fragen nach deren politischem Willen auf.

Bei einem fairen Wahlprozess wären die Chancen für Mugabe und die ZANU-PF als gering anzusehen. Ihre Machtbasis ist die ältere ländliche Bevölkerung in den von der Ethnie der Shona dominierten Gebieten, bei denen die Erinnerung an den 1979 beendeten Befreiungskrieg noch präsent ist. Sie ist jedoch seit der letzten Wahl weiter geschrumpft.

Der ZANU-PF und Mugabe ist es aber auch für diese Wahlen durch politisches Taktieren gelungen, ihre Chancen zu steigern. So fehlte vor allem für den Prozess der Wählerregistrierung zunächst das Geld. Und nach einem Urteil des Verfassungsgerichts, das nach dem Antrag eines ZANU-PF-Unterstützers den Wahltermin auf den 31. Juli festlegte, auch die notwendige Zeit. Insbesondere in den städtischen Hochburgen der MDC konnten sich tausende Menschen nicht in die Wählerlisten eintragen. Ein endgültiges Wählerregister konnte die Wahlkommission den Parteien zur Prüfung bisher nicht vorlegen, nachdem eine erste Liste vor allem durch Diskrepanzen zwischen registrierten Wählern und dem Bevölkerungszensus von 2012 auffiel. In 63 Wahlkreisen überstieg die Anzahl der Wähler die der Einwohner. Zehntausende Verstorbene blieben registriert. Wie weit diese Fehler noch behoben wurden, kann wohl nicht mehr festgestellt werden. Vor dem Hintergrund dieser Unregelmäßigkeiten wird jeder eventuelle Wahlerfolg Mugabes und der ZANU-PF öffentlichen Zweifeln ausgesetzt bleiben.

Weit verbreitet ist zudem die Angst vor einer neuerlichen Gewaltwelle im Falle der wahrscheinlich notwendigen Stichwahl um die Präsidentschaft. Mugabes friedlichen Absichten traut aus Erfahrung kaum jemand.

* Unser Autor ist Simbabwe-Experte sowie stellvertretender Vorsitzender der Initiative Südliches Afrika.

Aus: neues deutschland, Mittwoch, 31. Juli 2013


Der ewige Präsident

Simbabwe liegt im südlichen Afrika und ist mit rund 390 000 Quadratkilometern etwas größer als Deutschland. 99 Prozent der etwa zwölf Millionen Einwohner sind Schwarze, die zumeist dem Volk der Shona angehören. Schätzungsweise die Hälfte der Simbabwer sind Kinder und Jugendliche.

Die Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte das einstige Südrhodesien 1980 nach einem blutigen Befreiungskampf. Seither hält Robert Mugabe die Macht in den Händen, zunächst als Ministerpräsident, seit dem 31. Dezember 1987 als Präsident. Wegen Unterdrückung von politischen Gegnern und Menschenrechtsverletzungen geriet er zunehmend in die Kritik. Nach dem Wahlsieg der oppositionellen Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) von Morgan Tsvangirai 2008 ließ er sich unter wachsendem Druck aus dem In- und Ausland auf eine Koalitionsregierung ein. Mugabes Partei ZANU-PF dominiert jedoch weiter die Politik. nd




Kampf des Lebens

Simbabwe wählt zwischen Vergesellschaftung und Versprechungen von Investoren

Von Christian Selz **


Die erste Hoffnung von Herausforderer Morgan Tsvangirai hat sich bereits zerschlagen, wenn heute gut sechs Millionen wahlberechtigte Simbabwer über Parlament und Präsident abstimmen. Bis zuletzt hatte sein Flügel der Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC-T) – genauso wie die abgespaltene, kaum noch bedeutende Fraktion seines einstigen Weggefährten Welshman Ncube – eine Verschiebung des Wahltags gefordert. ­Tsvangirai hatte letztlich erfolglos Reformen der Sicherheitskräfte, Wahlbehörden und beim Zugang zu Staatsmedien gefordert. Insgeheim wollte der einstige Gewerkschaftsführer aber sicherlich auch seine dürftigen Beliebtheitswerte verbessern, die während seiner Zeit als Premierminister eher gefallen sind. Die Quasi-Opposition, der er vorsteht, bildet seit 2009 mit der Afrikanischen Nationalunion Simbabwes – Patriotische Front (ZANU-PF) von Präsident Robert Mugabe eine zerstrittene Regierung der Nationalen Einheit. Diese Konstellation – darin sind sich alle Parteien in Simbabwe einig – soll es nach den Wahlen nicht mehr geben. Darin stimmen die Wahlprogramme von MDC-T und ZANU-PF überein. Im Kern können die Simbabwer zwischen der weiteren Vergesellschaftung von Schlüsselindustrien und Agrarflächen oder den Versprechungen von Auslandsinvestoren als Heilsbringer wählen.

Verstaatlichung contra …

Die Botschaft des 89jährigen Mugabe ist klar. »Der Kampf unseres Lebens« sei die Abstimmung, schwor er seine Anhänger auf Wahlveranstaltungen ein. Die ZANU-PF baut auf eine klare und eindeutige Vertiefung des Indigenisierungsprozesses in der Wirtschaft als Programmkern. Nicht genutzte Rohstoffreserven sollen verstaatlicht und erschlossen, der Anteil des Staates und der Lokalbevölkerung an Industriebetrieben sukzessive erhöht und die Infrastruktur mit den so erschlossenen Mitteln ausgebaut werden. Darüber hinaus soll die Landreform abgesichert werden. Simbabwe hatte als Konsequenz aus nicht geflossenen Kompensationszahlungen des ehemaligen Kolonialherren Großbritannien, die eigentlich im Unabhängigkeitsabkommen vertraglich vereinbart waren, seit dem Jahr 2000 weiße Farmer enteignen lassen. Diese Anbauflächen sollen nun unwiderruflich auf ihre simbabwischen Besitzer übergehen.

… Investorensuche

Tsvangirais mit Parolen des Wandels geschmücktes Programm ist dazu das komplette Gegenteil. Der Kandidat des Westens versucht mit seinen guten Auslandskontakten und der Aussicht auf internationale Investitionen zu punkten. Simbabwe solle mit Hilfe einer »sozialen Marktökonomie« wieder Teil »der internationalen Gemeinschaft werden und Investitionen zurückbringen«. In die wichtigen Sektoren Bergbau und Tourismus fließt ohnehin und auch unter den Indigenisierungsgesetzen bereits wieder verstärkt ausländisches Geld. Dieses Paradoxon verschweigt Tsvangirai geflissentlich, doch es könnte ihn den Wahlsieg kosten. Zwar liegen die beiden Spitzenkandidaten derzeit ungefähr gleichauf, doch vom wirtschaftlichen Aufschwung in der Phase der Einheitsregierung hat vor allem Mugabe profitiert. 32 Prozent würden einer Umfrage des an die US-amerikanische Michigan State University angebundenen Meinungsforschungsinstituts Afrobarometer für Mugabe stimmen, 31 Prozent für Tsvangirai. Doch Wahlumfragen in Simbabwe, wo selbst keine Trends ermittelt werden, gelten generell als unzuverlässig und stehen aufgrund ihrer westlichen Auftraggeber im Verdacht, zugunsten der Opposition geschönt zu sein. Als Mugabe 2008 den ersten Wahlgang mit 43 zu 48 Prozent an Tsvangirai verlor, hatte Afrobarometer dem ZANU-PF-Kandidaten lediglich zehn Prozent der Stimmen vorhergesagt. Tsvangirai, der in den damaligen Umfragen noch auf einen Wert von 57 Prozent gekommen war, hatte sich aufgrund einer Gewaltwelle gegen seine Anhänger vor der Stichwahl unter Protest zurückgezogen.

Trotz etlicher Beschwerden der MDC-T, die unter anderem beklagt, noch immer kein Wählerregister erhalten zu haben, sind internationale Beobachter zuversichtlich, daß die Wahlen dieses Mal friedlich und fair verlaufen. »Eine sehr, sehr, sehr gute Atmosphäre« machte beispielsweise Südafrikas Präsident Jacob Zuma, Sonderbeauftragter der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) für Simbabwe, am Montag aus. Mugabe scheint seinen voraussichtlich letzten großen »Kampf« mit fairen Mitteln bestreiten zu wollen.

** Aus: junge Welt, Mittwoch, 31. Juli 2013


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