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"Wir wollen eine vollständige Transformation unserer Gesellschaft"

Die Bürgerrechtlerin Isabella Matambanadzo fordert eine neue Verfassung für Simbabwe

Isabella Matambanadzo vertritt in Simbabwe die regionale »Initiative Offene Gesellschaft für das Südliche Afrika« (OSISA), die die Förderung der Menschenrechte und eine offene und prosperierende Gesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben hat. Es geht um Menschen- und Bürgerrechte, aber auch um die materiellen Voraussetzungen für ihre Verwirklichung. Mit Isabella Matambanadzo sprach für die Zeitung "Neues Deutschland" Hans-Georg Schleicher.



ND: Welche Aufgaben sieht OSISA in ihrer Arbeit konkret in Simbabwe, wie schätzen Sie die gegenwärtige Situation im Lande ein?

Matambanadzo: Gegenwärtig befinden wir uns in einer der schwierigsten, wahrscheinlich in der dunkelsten Periode der Entwicklung meines Landes seit Langem. Unsere Gesellschaft ist voller Hass und Furcht, gleichzeitig findet man Menschen mit einer unglaublichen Tatkraft und Kreativität. Einerseits haben wir eine repressive Regierung, die an der Aufgabe, die Ziele unseres Kampfes für Unabhängigkeit zu verwirklichen, gescheitert ist. Wir waren in Simbabwe einmal stolz auf unsere Entwicklung, waren ein Beispiel, eine echte Erfolgsgeschichte in Afrika und befinden uns jetzt in einer Paria-Rolle. Ein Beispiel: 1973, als ich geboren wurde, lag die Lebenserwartung einer schwarzen Frau unter dem kolonialen rassistischen Regime bei 68 Jahren, heute beträgt sie 34 Jahre. Im freien unabhängigen Simbabwe hat sich die Lebenserwartung halbiert. Das gilt auch für die Lebensqualität – damals gab es für schwarze Frauen bessere Gesundheitsfürsorge und Bildung als heute. Simbabwe als unabhängiger, postkolonialer Staat hat die Träume und Erwartungen seiner Bürger nicht erfüllt.

Welche Rolle spielt die verhältnismäßig junge Zivilgesellschaft Simbabwes?

Simbabwes Zivilgesellschaft ist sehr differenziert mit unterschiedlichen Gruppierungen und Interessen. Ein Schwerpunkt ist der Umgang mit HIV/Aids. Ein Netzwerk von Nichtregierungsorganisationen konzentriert sich auf Prävention, aber auch auf die Behandlung und die Unterstützung Betroffener. Die Zivilgesellschaft wirkt auf vielen konzentrischen Ebenen. Ihr Kern fokussiert auf Menschen- und Bürgerrechte und fordert eine neue Verfassung sowie rechtliche Rahmenbedingungen für den Schutz der Bürger. Humanitäre Organisationen unterstützen besonders gefährdete Gruppen in der Bevölkerung. Ein weiterer Schwerpunkt ist die politische Bildungsarbeit. Hinsichtlich der Rechte marginalisierter Gruppen sind besonders Frauenrechtsorganisationen zu nennen. Kirchliche Organisationen haben wohl derzeit die größte Breitenwirksamkeit.

Wie steht die Zivilgesellschaft zur Verfassung von Simbabwe?

Das ist die Schlüsselfrage. Alle zivilgesellschaftlichen Kräfte stimmen darin überein, dass eine Verfassung notwendig ist, die die Rechte der Menschen schützt, ihre Beziehungen zum Staat regelt, demokratische Kontrollmechanismen garantiert. Die neue Verfassung muss von den Simbabwern selbst geschaffen werden. Die derzeitige Verfassung wurde 1979 in den Lancaster House-Verhandlungen unter Lord Carrington festgeschrieben. Wir sind wohl der einzige afrikanische Staat, der seine Verfassung nicht selbst erarbeitet hat. Namibia dagegen hat eine Verfassung, die die Menschen- und Bürgerrechte garantiert. Die Verfassungsfrage ist unsere große Aufgabe. Die Zivilgesellschaft verlangt eine Abschaffung der repressiven Gesetze, die die Bürger in ihren demokratischen Rechten beschneidet. Es geht um Versammlungsfreiheit und eine pluralistische Information, aber auch um das Recht auf eine stabile Wirtschaft.

Sie haben von der kritischen Situation gesprochen, in der sich Simbabwe unter dem Präsidenten Robert Mugabe gegenwärtig befindet. Welche Rolle spielt die Zivilgesellschaft bei den Bemühungen, die akuten Probleme Simbabwes zu lösen?

Zu den Schlüsselaufgaben gehört es, die aktuellen Probleme zu analysieren, zu kommentieren und zu dokumentieren. Angesichts fehlender öffentlicher Medien, die glaubhaft und verlässlich sind und eine notwendige Analyse anbieten, muss die Zivilgesellschaft diese Schlüsselaufgabe erfüllen. Wichtige Dokumente müssen in die Öffentlichkeit gebracht werden, um die vielfältigen Facetten unserer aktuellen Krise und ihre anhaltende Eskalation sowie Wege zu ihrer Lösung zu verstehen. Die Zivilgesellschaft trägt einerseits zum Verständnis der Probleme bei und bietet andererseits kreative Ideen für ihre Lösung.

Welche Haltung hat die simbabwische Zivilgesellschaft zur politischen Opposition im Lande?

Unsere Zivilgesellschaft leistet ihren Beitrag zu den Bemühungen um eine echte Demokratie in Simbabwe. Wir haben auch der Opposition unsere Forderungen für eine stabile Demokratie für Simbabwe übermittelt, die auch für sie gelten, ob nun in der Opposition, später vielleicht an der Macht oder in einer Regierung der nationalen Einheit. Wir fordern eine neue, eine eigene Verfassung, die vom Volk getragen wird. Wir streben nach einer Verständigung bei der Lösung der aktuellen Krise in Simbabwe in Verhandlungen. Eine Schlüsselaufgabe ist der Abbau der gewaltigen Spannungen in unserer Gesellschaft.

Sehr viele Simbabwer haben in den letzten Jahren ihr Land verlassen, welche Auswirkungen hat das auf das Wirken der Zivilgesellschaft, wie gehen ihre Organisationen damit um?

Der mit der Flucht vieler Simbabwer verbundene Brain drain, der Verlust an menschlichem Potenzial, ist für das Land massiv spürbar in einem Sektor wie dem Gesundheitswesen. Die Zahl der Ärzte und Krankenschwestern, die Simbabwe verlassen haben, ist unvorstellbar groß. Es heißt, dass bereits zehn Prozent der Angehörigen des Gesundheitswesens in Großbritannien aus Simbabwe stammen. Viele Ärzte und Schwestern aus Simbabwe arbeiten auch in Australien, Südafrika und Botswana. Gleichzeitig ist unser eigenes Gesundheitswesen durch die Auswirkungen von HIV/Aids, Mangelkrankheiten und Unterernährung überfordert. Andererseits sind Aktivisten der simbabwischen Zivilgesellschaft, die das Land verlassen haben, heute in internationalen Organisationen tätig und treten dort für unsere Ziele ein.

* Aus: Neues Deutschland, 11. September 2007


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