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Landbesetzungen in Simbabwe

Doris Lessing und ein Leserbrief

Am 15. Mai 2000 veröffentlichte die Frankfurter Rundschau ein Gespräch mit der angesehenen Schriftstellerin Doris Lessing. Darin ging sie auch auf die Landbesetzungsaktionen ein, die offenbar vom Präsidenten Mugabe aus gesteuert sind. Einige Auszüge:

Frage: Glauben Sie, dass ein friedliches Zusammenleben schwarzer und weißer Menschen in Zimbabwe irgendwann möglich sein kann?
Doris Lessing: Es ist nicht so einfach, wie es manchml aussieht. Die Essenz der Situation ist, das Mugabe ziemlich verrückt ist, und jeder weiß es. Aber hier denkt niemand daran, es auch nur zu erwähnen. Alles, was man in den Zeitungen liest und was man so hört, ist durch eine gewisse Realitätsverleugnung gekennzeichnet. Als dieses Land in den 80er Jahren unabhängig wurde, war es ziemlich reich. Es hatte eine ausgezeichnete Infrastruktur. Samora Machel, der Präsident von Mosambik, sagte zu Mugabe: Ihr könnt froh sein, dass die Briten bei Euch waren, die Euch einen anständigen Übernau hinterlassen haben. Und er sagte außerdem - genau wie der tansanische Präsident: Ihr besitzt das Juwel Afrikas, Passt gut darauf auf! Nach 20 Jahren ist dieses Juwel bankrott, nichts läuft, es ist ein Desaster. Nicht nur, weil es schlecht geführt wurde, sondern weil Mugabe und seine Minister die größten Diebe in Afrika sind. Sie haben alles gestohlen! Sie haben eine sehr kleine, sehr korrupte Klasse gebildet, die die normalen Gesetze nicht beachtet. Nun wird Mugabe hysterisch, weil ihn seine alte Partei - nicht zu sprechen von dem Land - los werden will. ... Also zieht er jetzt die Rassenkarte, um an der Macht zu bleiben. Die Leute, die die weißen Farmen besetzen, werden als ehemalige Friedenskämpfer bezeichnet. Nun, sehr wenige von ihnen sind es. Die meisten sind arbeitslose Schwarze, di sich von Mugabe benutzen lassen. ... Was er macht, ist illegal. Die Organisation, die die weißen, aber auch größere schwarze Farmer vertritt, hat dem Plan zur Verteilung des Landes vor langer Zeit zugestimmt. Sie kämpfen nicht dagegen. Aber einer der Gründe, warum die Farmen besetzt werden, ist folgender: Wenn eine Farm verkauft werden soll, wird sie nicht an die armen Schwarzen verkauft, sondern geht an einen Minister oder an eines der hohen Tiere. Wenn man sich also in die Situation eines Menschen hineinversetzt, der wirklich eine Farm betreiben will, dann würde ich auch eine Farm besetzen, den es ist ein Weg, einen "bass", einen der Bosse daran zu hindern, sie zu stehlen. Schließlich gibt es noch ein Problem: Die weißen Farmer und die wenigen reichen schwarzen Farmer erwirtschaften das gesamte Devisenvermögen, das aufgebracht werden muss, weil Simbabwe große Schulden hat. Wenn diese weißen Farmer jetzt willkürlich enteignet werden, dann wird der Zusammenbruch schlimmer, als wenn es langsam und korrekt gemacht würde. Momentan befindet sich Simbabwe im Zustand der Anarchie, und kiner weiß, was passieren wird....
Frage: Könnte Großbritannien helfen?
Doris Lesing: Mugabe sagt, alle weißen Farmer sollten gehen und Großbritannien sollte ihnen Geld für ihre Farmen geben. Aber darum geht es nicht. Es geht darum, wie Simbabwe in der Zwischenphase weitermachen kann. Angenommen, die Hälfte der weißen Farmen würde legal von Schwarzen übernommen, dann müsste immer noch Geld aufgebracht werden, damit die Schulden zurückgezahlt und Nahrungsmittel produziert werden könnten. Mugabe erzählt Unsinn. Er hat immer die Rassenkarte benutzt, wenn es zu Krise kam. Nun wird es bald eine Wahl geben. Vor drei Monaten gab es ein Referendum gegen ihn. Alle riefen: Raus! Er hat Angst, die Wahlen zu verlieren. Das ist der Grund dafür, dass dieses Rassengerede aufkommt."

In einem Leserbrief (erschienen am 19.05.) versucht eine Leserin, einige Äußerungen Lessings zurechtzurücken und zeigt Verständnis für die Landnahme. Hier der Wortlaut:

Zu "Mugabe ist ziemlich verrückt" (FR vom 15. 5. 2000): Ich lese, Doris Lessing hatte erheblichen Einfluss auf die deutsche Frauenbewegung. Darüber bin ich sehr unglücklich, denn Lessing, Tochter eines britischen Kolonialoffiziers, ist offensichtlich in ihrer Mentalität eine Kolonialherrin geblieben. Kein Wunder, dass sie einmal in Süd-Rhodesien unerwünschte Person war (wobei ich nicht verstehe, wie Süd-Rhodesien 1956 eine, vermutlich schwarze, Symbolfigur für den Kampf gegen das weiße Regime als Premierminister haben konnte; das Land ist doch erst 1980 umabhängig geworden!).
Für die Kolonialherrin ist der Premierminister Garfield Todd (sicher ein Schwarzer) "ein dummer Mann", und Mugabe ist "verrückt" und "hysterisch". Mag sein, dass Mugabe und seine Minister korrupt sind. (. . . ). Aber wieso habe Mugabe & Co. "alles gestohlen"? Die winzige Minderheit von weißen Farmern besitzt immer noch 70 % des fruchtbaren Landes.
Lessing will eine Kommunistin (gewesen) sein. Aber sie empört sich darüber, dass die Farmbesetzungen "illegal" sind, anstatt zu fragen, ob sie gerecht oder ungerecht sind, was sie auch als Ex-Kommunistin hätte fragen müssen. Die heutigen weißen Farmer besitzen Ackerland, das ihre Vorfahren, die kolonialen Eroberer, den Schwarzen geraubt hatten. Oder sie haben geraubtes Gut gekauft, was ja nach jedem Rechtssystem auch illegal ist.
Mugabe mag sein eigenes politisches Motiv haben. Aber die Lösung des Landproblems, die er vorschlägt, ist die einzige vernünftige. Die weißen Farmer legal und "korrekt" zu enteignen, bedeutet, sie finanziell zu entschädigen. Das Geld dafür hat Simbabwe nicht. Wer das fordert, meint eigentlich, dass keine Landreform stattfinden soll. Allerdings müssen die Menschen von Simbabwe (und die internationale Öffentlichkeit) dafür sorgen, dass wirklich landlose Kleinbauern das Land bekommen und nicht die politischen Freude Mugabes. Lessing redet von der Gefahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs. Auch Kleinbauern können Lebensmittel für die ganze Bevölkerung und Tabak für den Export produzieren. In Lateinamerika gibt es hunderttausende Kleinbauern, die Kaffee für den Export produzieren. Was die Auslandsschulden des Landes betrifft, müssen sie einfach gestrichen werden, nicht nur in Simbabwe. Die Inlandsschulden der Farmer müssen die Kleinbauern übernehmen.
Brigitte Sommer, Köln
(Frankfurter Rundschau, 19.05.2000

Und passend hierzu ein Artikel aus der jungen welt vom 22.05.2000:

Gesteuerte Protestbewegung

Simbabwe: Berechtigte Forderungen nach Landbesitz mischen sich mit Demagogie-Kampagne Mugabes

Ursprünglich waren in Simbabwe Parlamentswahlen für den April geplant. Präsident Robert Mugabe hat jedoch Wege und Mittel gefunden, die Dinge durcheinanderzubringen und die Wahlen, bei denen seine ZANU-PF in die Opposition geschickt werden könnte, zu verschieben. Ob der von ihm letzte Woche versprochene Termin - der 24. und 25. Juni - eingehalten werden wird, muß sich erst noch zeigen.

Nachdem Mugabe mitgeholfen hatte, die einst relativ starke Wirtschaft des Landes in die Knie zu zwingen, und nachdem er in den letzten drei Jahren mit einer wachsenden und militanten Oppositionsbewegung konfrontiert war, standen ihm und seinem Regime nicht mehr viele Optionen offen. So entschied er sich schließlich, die Landfrage zu instrumentalisieren, die er in den ganzen 20 Jahren seiner Herrschaft nicht angegangen ist. Diese Landfrage in der ehemals britischen Kolonie Rhodesien jedoch war neben der formalen Entkolonialisierung die zentrale Frage des 15 Jahre andauernden opferreichen Befreiungskrieges gewesen und ist es geblieben. Nicht unerwartet schreien nun die imperialistische Presse und insbesondere die neokoloniale britische Presse sowie die Labour-Regierung in London, die alle Mugabe eine Reihe von Jahren höchst zuvorkommend behandelt hatten, weil er sich entgegen seiner ursprünglichen nationalistischen und gar »marxistischen« Rhetorik den imperialistischen Interessen an der Region gegenüber als durchaus gefügig erwies, nun Zeter und Mordio.

Worum geht es bei der Landfrage in Simbabwe? Der entscheidende Punkt ist, daß die britischen Kolonialherren, als sie 1888 nach Simbabwe vordrangen, die besten Böden des Landes durch Betrug und Gewalt an sich brachten. Als Simbabwe 1980 unabhängig wurde, besaßen 6 000 weiße Farmer 45 Prozent des fruchtbarsten Landes, während 8 500 kleine - überwiegend schwarze - kommerzielle Farmer nur über fünf Prozent des guten Bodens verfügten. 700 000 afrikanische Bauernfamilien waren in den verbliebenen 50 Prozent des Landes zusammengepfercht, das zu drei Vierten aus wasserarmen Regionen mit unfruchtbaren Böden bestand.

Der Befreiungskrieg hatte nicht mit einem eindeutigen militärischen Sieg geendet, sondern mit einem in der Lancaster-House-Konferenz ausgehandelten Kompromiß. Diesem zufolge konnte in den ersten zehn Jahren nach Kriegsende Siedlerland nur mit Zustimmung der weißen Farmer zurückgekauft werden. Großbritannien, die USA und Deutschland versprachen finanzielle Hilfe für den Aufkauf und die Verteilung an die afrikanischen Bauern.

Als die Regierung in Harare 1991 ein Land-Gesetz verabschiedete, blieb dieses jedoch weitestgehend auf dem Papier, da die imperialistischen Gönner sich nun weigerten, Geld bereitzustellen. Als Vorwand bedienten sie sich der unbestreitbaren Tatsache, daß Mugabe das Land vornehmlich an politische Anhänger und seine Freunde verschob. Downing Street zog es demgegenüber vor, daß das Land in den Händen der Nachkommen der kolonialen Landräuber verblieb, nicht wenige davon nicht einmal ansässige Farmer, sondern »Landlords« mit Sitz im House of Lords in London.

Heute sind nur noch 0,8 Prozent der zwölf Millionen zählenden Bevölkerung Simbabwes Weiße. In ihren Händen - genauer in denen von 4 000 Farmern - befinden sich noch immer 11,2 Millionen Hektar Land. Eine Million Afrikaner leben in den unfruchtbaren früheren kolonialen Stammesreservaten, 70 000 weitere schwarze Familien haben zwei Millionen Hektar erhalten, und 10 000 kommerzielle afrikanische Farmarbeiter 1,2 Millionen Hektar. Angesichts der sich - nicht zuletzt auch durch der Verfall der Weltmarktpreise für andere Rohstoffe Simbabwes - zuspitzenden allgemeinen Wirtschaftskrise im Land begann Mugabe 1997 erneut davon zu reden, daß es nun an der Zeit sei, das Land zurückzubekommen. Nachdem Mugabes Ansehen bei seinen früheren imperialistischen Gönnern inzwischen stark gesunken war, weigerten sie sich erneut, ihre finanziellen Versprechen von 1980 umzusetzen.

Seit Anfang dieses Jahres finden in Simbabwe umfassende Landbesetzungen statt. Die Geduld der ländlichen Massen scheint zu Ende zu sein. In Wirklichkeit jedoch ist es eine explosive Mischung der Wut der von der Kolonialmacht Beraubten und einer orchestrierten demagogischen Kampagne des nachkolonialen Regimes, das es sich in den durch den Befreiungskampf frei gewordenen Sesseln der Macht gemütlich gemacht, die Lebensinteressen derer, die ihm an die Macht verholfen hatten, bislang jedoch weitestgehend ignoriert hatte und nun alles daran setzt, diesen Sitz nicht aufgeben zu müssen. Wenn man allerdings darauf hinweist, daß die Wirtschaft in den letzten Jahren zusammengebrochen ist, mit einer Arbeitslosigkeit von 50 Prozent und drastisch fallenden Reallöhnen, dann ist das nicht nur und nicht einmal in erster Linie der schlechten Politik eines immer diktatorischer agierenden Regimes geschuldet. Nicht umsonst ist die Situation nämlich praktisch überall in Afrika und in weitesten Teilen der »Dritten Welt« im Prinzip gleich.

Wenn das Mugabe-Regime an irgend etwas außer allgemeiner Korruption wirklich Schuld trägt, dann daran, daß sie die im nationalen Befreiungskampf gegebenen Versprechen, mit dem Imperialismus zu brechen, nicht erfüllt hat und sich die Führung der Befreiungsbewegung zu einer Bourgeoisie entwickelt hat.
Anton Holberg



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