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Sierra-Leone: Bürgerkrieg seit 1991

Im Folgenden dokumentieren wir einen Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 9. Mai 2000, der auf einige Hintergründe zur Lage in Sierra-Leone eingeht.

Diamanten finanzieren den Bürgerkrieg
Die Friedensmission der Vereinten Nationen in Sierra Leone ist praktisch gescheitert / Von Michael Bitala

Die Menschen in Sierra Leone treibt die Angst vor einem neuen Bürgerkrieg um. Großbritannien hat am Montag 800 Fallschirmjäger nach Senegal gebracht und vier Kriegsschiffe an die westafrikanische Küste beordert, um notfalls die 500 Briten aus Sierra Leone zu evakuieren. Die Amerikaner fliegen ihre Leute mit Helikoptern aus. Und auch die Vereinten Nationen haben damit begonnen, Mitarbeiter und deren Familien ins sichere Ausland zu bringen. Zwar wird das alles vorerst noch als "Vorsichtsmaßnahme" ausgegeben, aber nach der Entführung von 500 Blauhelmsoldaten im Landesinneren zeigt sich, dass die Friedensmission der Vereinten Nationen gescheitert ist.

Nahe den Städten Makeni und Kailahun sind verschiedene UN-Einheiten aus Kenia, Sambia, Nigeria und Indien in die Gewalt der Rebellen geraten. Vier kenianische Soldaten sollen getötet worden sein. Die Rebellen rauben den UN-Truppen Waffen und Fahrzeuge, mit denen sie auf die Hauptstadt Freetown vorrücken. Ihr Vormarsch wird nicht gestoppt werden, denn die USA, Frankreich und Großbritannien haben die Bitte von UN-Generalsekretär Kofi Annan abgelehnt, eine schnelle Eingreiftruppe zu entsenden. Es wird wohl nicht mehr lange dauern, bis sich die UN ganz zurückziehen und die Rebellen ihr Ziel erreicht haben: den demokratisch gewählten Präsidenten Ahmad Tejan Kabbah zu stürzen und das ganze Land zu beherrschen.

Die Menschen in Sierra Leone könnten wahrscheinlich in Frieden leben, wäre das Land nicht so reich an Diamanten. 1991 begann einer der grausamsten Kriege Afrikas um die Herrschaft über die Minen. Die Kämpfer der Revolutionären Vereinigten Front (RUF) richteten ihren Terror vor allem gegen die Zivilbevölkerung. Sie hackten ihren Opfern Arme und Beine ab, vergewaltigten Frauen und Kinder und verbrannten Menschen bei lebendigem Leib. Zeitweise waren mehr als zwei der knapp fünf Millionen Einwohner vor dieser Mörderbande auf der Flucht. Die RUF-Terroristen waren zum großen Teil noch Kinder und Jugendliche. Viele waren von der RUF entführt und unter Drogeneinfluss zu Kämpfern ausgebildet worden.

Präsident Kabbah, der 1996 mit fast 60 Prozent der Stimmen gewählt worden war, konnte nur durch eine Militärintervention der westafrikanischen Eingreiftruppe Ecomog wieder eingesetzt werden, nachdem ihn die RUF und unzufriedene Soldaten 1997 kurzzeitig gestürzt hatten. Ein Gericht in Freetown verurteilte zwar den Rebellenchef Foday Sankoh 1998 wegen Hochverrats zum Tode, das Urteil wurde aber nicht vollstreckt. Nachdem auch nach dem Eingreifen der Ecomog die Kämpfe nicht aufhören wollten, drängten die USA und England auf einen Friedensvertrag. Im Juli vergangenen Jahres wurde er unterzeichnet, mit dem Segen der Vereinten Nationen. Rebellenchef Sankoh, der Todfeind des Staatschefs Kabbah, wurde Vize-Präsident und Chef der Diamantenminen. Vier seiner Leute wurden Minister, die Kriegsverbrecher kamen straffrei davon.

Solch ein Vertrag kann nicht funktionieren. Das wäre in etwa so, als ob die Kosovo-Befreiungsarmee UCK vereint mit den Truppen des serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic den Waffenstillstand sichern sollten. Dennoch zog die Ecomog ab, und die Vereinten Nationen stellten ihre bis dahin größte Friedenstruppe zusammen: 8700 Soldaten sollten die schätzungsweise 43 000 Rebellen entwaffnen.

Fast die Hälfte der Aufständischen wehrt sich bis heute dagegen - vor allem in den Dschungelgebieten des Nordens und im Osten nahe der Grenze zu Liberia, wo die Rebellen die Diamantenminen erobert haben. Nicht einmal die doppelt so starke Einheit der Ecomog hatte das kleine Land befrieden können, obwohl sie dafür sogar einen eindeutigen Kampfauftrag hatte. Die viel schwächere Friedenstruppe der UN schafft es nicht einmal, die Einhaltung eines geschlossenen Friedensabkommen zu garantieren. Das wissen auch die Aufständischen, und deshalb fordern sie die Vereinten Nationen heraus.

Ihre Kriege finanzieren die Rebellen mit den Diamanten. Sie schmuggeln die Edelsteine über Liberia nach Belgien, wo sie in Antwerpen fast ohne Kontrolle verkauft werden. So ist auch der Staatspräsident Liberias, der einstige Rebellenführer James Taylor, der engste Verbündete der RUF. Sein Land hat es in den vergangenen zwei Jahren geschafft, Diamanten im Wert von über 300 Millionen Dollar offiziell zu exportieren, obwohl Liberia fast keine Edelsteinminen besitzt. Die illegalen Exporte liegen um ein Vielfaches höher. Die offizielle Diamanten-Ausfuhr aus Sierra Leone hingegen ging um die Hälfte zurück, auf gerade 30 Millionen Dollar.
Aus: Süddeutsche Zeitung, 09.05.2000

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