Sierra Leone: Der "Frieden" war nur von kurzer Dauer
Der Krieg um Diamanten flammt im Jahr 2000 wieder auf - Starke UN-Präsenz
Im Friedens-Memorandum 2000 hatten wir Zweifel angemeldet, ob der am 7. Juli 1999 geschlossene Friedenspakt zwischen der Regierung und der Rebellenarmee RUF (Revolutionäre Vereinigte Front) auch wirklich Bestand haben werde (vgl.
Sierra Leone: Ende des Bürgerkriegs?). Die unter Vermittlung der Vereinten Nationen zustande gekommene Vereinbarung hatte dem Rebellenführer Foday Sankoh nicht nur die Vizepräsidentschaft, sondern auch die Oberaufsicht über die Gold- und Diamantenminen des Landes eingebracht. Die Position des 1996 gewählten Präsidenten Ahmad Tejan Kabbah - er war 1997 von der RUF gestürzt und 1998 mit Hilfe der westafrikanischen Eingreiftruppe wieder eingesetzt worden - war also keineswegs gesichert und sollte deshalb durch eine starke UN-Truppe (mit 8.700 Soldaten die bis dahin größte Militärmission der Vereinten Nationen) gestützt werden.
Dass es nicht einfach sein würde, eine auf etwa 43.000 Mann geschätzte Rebellenarmee unter Kontrolle zu bekommen und zu entwaffnen, zeigte sich schon bald nach dem Friedensschluss. Große Teile der RUF weigerten sich, die Waffen abzugeben und verschanzten sich in den von ihr kontrollierten Dschungelgebieten des Nordens und - vor allem - im Osten nahe der Grenze zu Liberia. Anfang des Jahres hatten einem UN-Bericht zufolge gerade einmal 4.200 Rebellen ihre Waffen abgegeben. Über Liberia, dessen Staatspräsident James Taylor mit der RUF verbündet ist, wird ein Großteil der Diamantengeschäfte abgewickelt, die den Bürgerkrieg finanzieren. "Der Bürgerkrieg hat hier eigentlich nie aufgehört", erzählte der Menschenrechtsaktivist Peter Takirambudde von Human Rights Watch und wies darauf hin, dass am meisten die Zivilbevölkerung darunter leide. Vor allem die Landbevölkerung sei unausgesetzt Vergewaltigungen, Folter und Verstümmelungen durch die Rebellen ausgesetzt (FR., 08.05.2000).
Im Mai flammten die Kämpfe wieder auf, nachdem RUF-Kämpfer rund 70 UN-Bedienstete in ihre Gewalt gebracht und mehrere Stützpunkte der UN-Friedenstruppe Unamsil angegriffen hatten. Dabei starben mindestens sieben Blauhelmsoldaten. In Freetown, der Hauptstadt Sierra Leones, umstellten im Gegenzug etwa 100 indische Soldaten von Unamsil das Haus des Vizepräsidenten und RUF-Führers Sankoh. Die Situation eskalierte, als etwa 500 Blauhelmsoldaten von der RUF entführt und als Geiseln genommen wurden. Die meisten ausländischen Botschaften in Freetown begannen ihre Staatsbürger aus Sierra Leone abzuziehen. Die Bundesregierung, die keine eigene Botschaft in Sierra Leone hat, rief die deutschen Staatsbürger auf, sich an die britische oder die Botschaft der Vereinten Nationen zu melden. Großbritannien als frühere Kolonialmacht entsandte 800 Fallschirmspringer und fünf Kriegsschiff nach Westafrika, die westafrikanischen Staaten setzten dagegen fürs Erste auf Diplomatie: Sie baten James Taylor um Vermittlung, jenen Mann also, der selbst jahrelang an der Spitze einer Rebellenarmee stand und sich 1997 zum Präsidenten von Liberia wählen ließ. Nach zahlreichen Gefechten, in die UN-Truppen, Regierungstruppen und RUF-Einheiten verwickelt waren, nach ebenso zahlreichen diplomatischen Bemühungen um eine Lösung - wobei vor allem die UN-Vertretung durch militärische Zurückhaltung deeskalierend auf den Konflikt einwirkt hat - und nach der überraschenden Festnahme von Sankoh am 17. Mai, der sich offenbar die ganze Zeit über in Freetown aufgehalten hatte, wurden Zug um Zug die Geiseln frei gelassen (die letzte größere Gruppe wurde erst Mitte Juli nach einem Militäreinsatz befreit).
Ende Mai begannen sowohl die RUF als auch die Regierungstruppen mit der Freilassung von Kindersoldaten, die zu Tausenden in ihren Reihen gekämpft hatten. Dass sich die verfeindeten Lager auch sonst nicht sonderlich unterschieden, zeigte sich beim Vordringen von Regierungstruppen gegen Rebellenstellungen. UN-Beobachter berichteten regelrechten Hinrichtungen, die an den Rebellen "vorgenommen" wurden.
Am 6. Juli verhängte der UN-Sicherheitsrat ein Embargo über Diamanten aus Sierra Leone. Damit sollte den Rebellen, die über 90 Prozent des Diamantenhandels kontrollierten, der ökonomische Boden für den Bürgerkrieg entzogen werden. Um aber nicht den legalen Handel mit den begehrten Edelsteinen zu treffen, wollte die Regierung ein System entwickeln, wonach die Herkunft in den Handel geratener Diamanten erkennbar gemacht werden sollte. Das Embargo wurde auf 18 Monate befristet. Dafür hatten sich Frankreich, Russland und China stark gemacht, die auf das negative Beispiel der unbegrenzt wirksamen Sanktionen gegen Irak verwiesen.
Am 14. August verabschiedete der UN-Sicherheitsrat auf Antrag der USA eine Resolution, wonach die Rebellen einschließlich des inhaftierten RUF-Führer Sankoh vor ein internationales Gericht gestellt werden sollten. Über die Modalitäten der Errichtung und Befugnisse eines solchen Tribunals gibt es aber noch erheblichen Abstimmungsbedarf sowohl innerhalb des Sicherheitsrats als auch zwischen Sicherheitsrat und der Regierung in Freetown. Präsident Kabbah möchte den Beschluss des UN-Sicherheitsrats als "Sankoh-Resolution" verstanden wissen. Eine solche eingeschränkte Aufgabenstellung würde aber dem neun Jahre währenden Bürgerkrieg nicht gerecht. Wenn das Tribunal, wie es in der Resolution heißt, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen das humanitäre (Kriegs-)Völkerrecht sowie Verstöße gegen sierra-leonisches Recht ahnden soll, dann muss auch gegen regierungstreue Einheiten ermittelt werden. Auch Armee-Angehörigen werden solche Verbrechen zur Last gelegt und der mit der Armee verbündete "Armed Forced Revolutionary Council" (AFRC) unter Führung des berüchtigten Johnny Paul Koromas und die milizähnlichen "Civil Defence Forces" (CDF) stehen an begangenen Grasuamkeiten der RUF wahrscheinlich in nichts nach. Unklar ist auch, was mit früheren Machthabern in Sierra Leone geschehen soll, die sich schon vor Jahren ins Exil abgesetzt hatten (z.B. Ex-Militärdiktator Valentine Strasser, der sich in Großbritannien, oder sein Militärchef Julius Maada Bio, der sich in den USA aufhält). Ein Problem eigener Art besteht darin, dass der Friedensvertrag von 1999 auch eine allgemeine Amnestie für die RUF-Rebellen beinhaltet hatte.
Im November einigten sich Regierung und RUF auf ein neues Waffenstillstandsabkommen. Der Vertrag kam nach Verhandlungen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja zu Stande und war von der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS vermittelt worden. Die Rebellen erklärten sich bereit mit dem UN-Entwaffnungsprogramm zu kooperieren. Die UN-Truppe Unamsil, die in der Zwischenzeit auf 13.000 Soldaten aufgestockt worden war, soll die Entwaffnung überwachen und auch in Rebellengebieten stationiert werden dürfen. Der neue RUF-Führer Jonathan Kposowa verweigerte aber eine Aufgabe der Diamantenminen. Dagegen bestand er nicht auf der Freilassung des RUF-Gründers Sankoh. Seine Ankündigung, er könne "nicht garantieren", dass der Waffenstillstand "das Ende des Krieges bedeutet", lässt weiter alles offen.
Pst
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