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Streit um Mine

Erneut antiserbische Ausschreitungen in Kosovo

Von Roland Zschächner *

Kosovo geht gegenüber Belgrad auf Konfrontation. Am Dienstag abend kam es bei einer antiserbischen Kundgebung in Priština zu gewalttätigen Ausschreitungen, wie die Nachrichtenagentur Beta berichtete. Die Randalierer warfen Molotowcocktails, die Polizei antwortete mit Tränengas und dem Einsatz von Wasserwerfern.

41 Demonstranten wurden festgenommen. Über 100 Personen wurden verletzt, der Großteil davon Polizisten. Bereits am Samstag kam es in der Hauptstadt der sich einseitig und völkerrechtswidrig abgespaltenen serbischen Provinz zu Krawallen. Dabei wurden Cafés und Regierungsgebäude angegriffen.

Organisiert wurden die Proteste von der albanisch-nationalistischen Gruppierung Vetëvendosje (Selbstbestimmung) von Albin Kurti. Vetëvendosje ist die größte und einflussreichste Oppositionspartei. Sie kritisiert zum einen die starke Abhängigkeit von den USA und der EU, auf der anderen Seite hetzt sie gegen die vor allem im Norden der Provinz lebenden Serben. Vorgeblicher Grund für die Demonstrationen am Samstag und Dienstag sind die Forderungen nach dem Rücktritt von Arbeitsminister Aleksandar Jablanović und die Verstaatlichung des Minenkomplexes Trepča.

Jablanović ist Mitglied der Anfang Dezember gebildeten Regierungskoalition von Ministerpräsident Isa Mustafa und seinem Stellvertreter Hashim Thaçi, an der auch serbische Parteien beteiligt sind. Der Minister hatte Randalierer, die serbische Pilger während der orthodoxen Weihnachtstage auf dem Weg zu einem Kloster angriffen, als »Wilde« bezeichnet.

Doch im Mittelpunkt der Auseinandersetzung steht der wohl einzige halbwegs profitable Betrieb in der serbischen Provinz Kosovo: das Minenkombinat Trepča. Zu der Firma, die in Jugoslawien einst über 20.000 Arbeiter beschäftigte, gehören neben unzähligen Bergwerken, in denen Silber, Zink und Blei abgebaut werden, auch Hütten und Chemieanlagen. Heute wird ein Teil von einem serbischen, der andere von einem albanischen Management geführt.

Belgrad erklärte, dass das Kombinat zu über 50 Prozent dem serbischen Entwicklungsfonds gehöre. Die restlichen Anteile seien in Händen von serbischen Firmen und den Arbeitern. Serbiens Premier Aleksandar Vučić sagte laut Nachrichtenagentur Tanjug, dass sich Serbien »sein Eigentum nicht über Nacht wegnehmen lässt«. Marko Đurić, Staatssekretär für Kosovo und Metochien, nannte die Pläne Prištinas »verantwortungslos« und eine »grobe Verletzung der Eigentumsrechte«.

Mustafa will indes die Kontrolle über ganz Trepča. Laut Priština gehört die Firma momentan zum Bestand der kosovarischen Privatisierungsagentur (KPA). Am Montag vergangener Woche sollte die Mine durch einen Parlamentsentscheid in öffentliches Eigentum des Kosovos umgewandelt werden. Ein Schritt, der in seltener Eintracht sowohl von der serbischen Regierung wie der US-Botschaft in Priština abgelehnt wurde. Dass auch Washington Einwände erhebt, ist der Brisanz des Vorhabens geschuldet – zur Zeit sind neue blutige Auseinandersetzung in dem US-Protektorat nicht vorgesehen.

Sowohl die Separatisten als auch die Regierung in Belgrad brauchen Trepča: Allein im serbisch dominierten Teil der Region arbeiten rund 4.000 Bergleute. Die drei serbischen Minister im kosovarischen Kabinett hatten deswegen angekündigt, im Falle der Abstimmung die politische Zusammenarbeit beenden zu wollen.

Für Priština, das über keine nennenswerte Industrie verfügt, ist Trepča neben ausländischen Hilfsgeldern, Überweisungen der Diaspora und Gewinnen durch kriminelle Aktivitäten eine wichtige Einnahmequelle für Devisen. Außerdem stehen auch im kosovarisch verwalteten Teil des Unternehmens mehrere tausend Arbeitsplätze auf dem Spiel.

Die ökonomische Situation im Kosovo ist seit der Zerschlagung Jugoslawiens schlecht. In der letzten Zeit kam es deswegen verstärkt zu sozialen Protesten vor allem von Studenten. Vetëvendosje versucht, diese Lage zu ihren Gunsten zu nutzen. Dass es dabei auch zu Absprachen mit der Regierung kommt, um – wie bei Trepča – strittige Vorhaben mit dem Druck der Straße zu verwirklichen, ist nicht unwahrscheinlich. Auf diesem Wege können westliche Forderungen übergangen und Belgrad zu »Kompromissen« getrieben werden.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 29. Januar 2015


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