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Politische Kosmetik in Kosovo

Nach Parlamentsauflösung wurden für den 8. Juni Wahlen anberaumt

Von Jerko Bakotin *

Vor einer Woche stimmte eine Mehrheit des Kosovo-Parlaments für seine Selbstauflösung. Für den 8. Juni wurden vorgezogene Wahlen anberaumt.

Anlass für die Selbstauflösung des Parlaments war das Scheitern des Vorhabens, ein Gesetz über die Schaffung einer eigenen Armee für Kosovo zu verabschieden. Dafür hätte es laut Verfassung einer Zweidrittelmehrheit der Stimmen auch von Abgeordneten der Minderheiten bedurft, für die bisher 20 der 120 Sitze reserviert sind. Einige dieser Abgeordneten knüpften ihre Zustimmung zum Armeegesetz jedoch an die Bedingung, dass die Minderheitenmandate auch für kommende Wahlperioden garantiert werden. Serbische Vertreter lehnten das Gesetz kategorisch ab. »Ein Parlament, das keine eigene Armee aufstellen kann, soll nicht fortbestehen«, erklärte Regierungschef Hashim Thaçi daraufhin.

Der kosovarische Analytiker Behlul Beqaj sieht im Hintergrund jedoch andere Motive für die Parlamentsauflösung. »Die bisherige Koalitionsregierung hatte für viele wichtige Gesetze keine eigene Mehrheit und musste immer wieder mit anderen Abgeordneten verhandeln. Darüber hinaus haben einige hochrangige Mitglieder von Thaçis Demokratischer Partei Kosovos (PDK) eine neue Partei gegründet. Die Furcht, dass sich die PDK vollends spalten könnte, zwang Thaçi zum Handeln«, erläuterte Beqai in einem Gespräch mit »nd«. Thaçi, ehemaliger Befehlshaber der Befreiungsarmee Kosovos (UÇK), regiert das Land, in dem jeder dritte Einwohner unterhalb der Armutsgrenze existiert und fast jeder Zweite arbeitslos ist, seit 2008.

Behlul Beqai erwartet indes keine großen Veränderungen durch die Wahlen: Der PDK-Chef werde auch danach einer der wichtigsten Männer Kosovos sein, möglicherweise werde er eine Koalition mit der größten Oppositionspartei, Isa Mustafas Demokratischer Liga Kosovos (LDK), eingehen müssen. Die Parteien des Geschäftsmannes Behgjet Pacolli und des ehemaligen Regierungschefs Ramush Haradinaj dürften an Bedeutung verlieren, während die radikale linksnationalistische Vetëvendosje (»Selbstbestimmung«), die derzeit etwas mehr als zehn Prozent der Sitze einnimmt, ein paar Prozente zulegen wird.

»Der Unterschied in den Stimmenanteilen von LDK und PDK wird gering sein«, prognostiziert Beqai, »Wenn Thaçi nicht Ministerpräsident bleibt, könnte Mustafa Regierungschef werden und Thaçi ins Präsidentenamt aufrücken.« Der Präsident wird nämlich vom Parlament gewählt. In diesem Falle hätte die parteilose Amtsinhaberin Atifete Jahjaga, die ihren Posten der USA-Botschaft verdanken soll, das Nachsehen.

Wichtigste politische Ziele Kosovos waren in den vergangenen Jahren die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien, Fortschritte auf dem Weg zur EU-Integration und die Konsolidierung des Staats, der 2008 einseitig seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hatte. Die Erfolge blieben jedoch dürftig. Unerfüllt blieb der Wunsch nach Visabefreiung für den Schengenraum. Zwar unterzeichneten Thaçi und der damalige serbische Premier Ivica Dačić vor einem Jahr in Brüssel ein Normalisierungsabkommen, doch nach Ansicht Beqais hat Priština dabei nur verloren. Die laut Abkommen erfolgte Bildung einer Gemeinschaft der serbischen Gemeinden in Nordkosovo führe dazu, dass sich die dortigen Serben weiter an Belgrad anlehnen werden, statt sich in Kosovo zu integrieren. Das bedeute »eine Rückkehr Serbiens nach Kosovo«

Auch in Bezug auf die Schaffung eines Rechtsstaats sieht der »nd«-Gesprächspartner Regierung und Opposition gescheitert. Gerade wurde auf internationalen Druck ein neues Sondertribunal für Verbrechen der UÇK gebildet. »Die Frage, ob sich Kosovo konsolidiert oder zum ›gescheiterten Staat‹ wird, hängt in bedeutendem Maße von der internationalen Gemeinschaft ab«, glaubt Beqai. Serbien sei für die EU viel wichtiger als Kosovo, daher werde der Druck auf die Kosovo-Albaner immer stärker. »Eigentlich brauchen wir das neue Tribunal, aber es wird auch eine Art Instrument zur Disziplinierung und zur Kontrolle sein. Sobald kosovarische Politiker von dem Kurs abweichen, den die EU vorschreibt, könnte ein Verfahren gegen sie eröffnet werden.« Ohne radikale Veränderungen erwarte Kosovo eine harte, chaotische Zukunft. Aber: »Es gibt nur kosmetische Änderungen«.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch, 14. Mai 2014


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