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Kein Beweis für Genozid

Prozess vor Internationalem Gerichtshof geht nach über 15 Jahren zu Ende. Weder Serbien noch Kroatien mit Klage erfolgreich

Von Roland Zschächner *

Die Entscheidung entsprach dem Erwarteten: Am Dienstag hat der Internationale Strafgerichtshof (IGH) in Den Haag die beiden Klagen gegen Kroatien bzw. Serbien wegen Völkermords zurückgewiesen. Die Richter urteilten, dass keine Beweise vorgebracht wurden, die die erhobenen Vorwürfe belegen würden.

In dem vom Gerichtspräsidenten, dem Slowaken Peter Tomka, vorgetragenen Urteil hieß es, dass serbische Einheiten zwar Kroaten vertrieben, aber keine Absicht verfolgten, diese zu vernichten. Ähnlich war der Tenor der Entscheidung zu den Militäraktionen der kroatischen Armee: »Selbst wenn bewiesen ist, dass die kroatischen Führer die Intention hatten, die serbische Bevölkerung zu vertreiben, gibt es keinen Beweis, dass ihr Ziel die physische Vernichtung war.«

In beiden Ländern gaben sich die regierenden Politiker enttäuscht, dass ihre jeweilige Klage erfolglos blieb. Der kroatische Premier Zoran Milanović sagte aber, das Urteil akzeptieren zu wollen. Serbiens Präsident Tomislav Nikolić erklärte in Belgrad, dass das IGH anerkannt habe, dass die kroatische Seite Verbrechen gegen Serben verübt hatte.

Das Urteil ist endgültig und kann nicht angefochten werden. Zagreb wie Belgrad sind verpflichtet, sich daran zu halten. Über 15 Jahre war der IGH mit den Prozessen der zwei ehemaligen jugoslawischen Republiken beschäftigt. Eine ähnliche Klage Bosnien-Herzegowinas gegen Serbien war bereits im Februar 2007 zugunsten Belgrads entschieden worden. Damals erklärten die Richter, es bestehe keine direkte Verantwortung Serbiens als Rechtsnachfolger Jugoslawiens für den Krieg; zudem sei von Belgrad kein Völkermord geplant worden. Auch wegen dieses Urteils wäre ein Votum zugunsten einer Seite völkerrechtlich kaum haltbar gewesen.

Anders als das ebenfalls in Den Haag ansässige Tribunal für das ehemalige Jugoslawien, dessen Ziel es ist, die westliche Interventionspolitik juristisch zu rechtfertigen, verfügt der bereits 1945 gegründete Gerichtshof der Vereinten Nationen über keine eigene Anklagebehörde. Der Klägerkreis ist auf die Staaten beschränkt, die sich dem IGH und seiner Rechtsprechung unterwerfen. Diese müssen, wenn sie das Gericht anrufen, die Beweise selbständig vorbringen. Für den nun entschiedenen Fall hatten beide Seiten Teams von Juristen zusammengestellt – Kroatien gab dafür über 3,7 Millionen Euro aus, Serbien immerhin 800.000 Euro.

Kroatien hatte am 2. Juli 1999 vor dem IGH gegen Serbien ein Verfahren wegen Völkermords auf seinem Staatsgebiet zwischen 1991 und 1995 angestrengt. In der Zeit sollen mehr als 10.000 Menschen ermordet worden sein. Mehr als 7.000 Kroaten seien in Lagern in Vukovar, der Knin-Region, Slawonien und Dalmatien gefangen gewesen. Zagreb fordert Kompensationszahlungen für die entstandenen Kriegsschäden, die juristische Verfolgung der Verantwortlichen sowie die Rückgabe von gestohlenen Kulturgütern. In der Begründung der Entscheidung der IGH-Richter hieß es nun, dass Serbien nicht für Taten verantwortlich gemacht werden könne, die vor dem 27. April 1992 geschehen sind, als das Land der UN beitrat. Außerdem war die Argumentation Kroatiens auf vermeintlichen Kriegsverbrechen der Jugoslawischen Volksarmee im Jahre 1991 aufgebaut.

Anfang Januar 2010 legte Serbien eine Gegenklage ein. Belgrad wirft Kroatien ebenfalls einen Genozid und gegen Serben gerichtete »ethnische Säuberungen« vor. Rund 230.000 Angehörige der Minderheit seien bei den Aktionen »Blitz« und »Sturm« durch die Armee aus Kroatien vertrieben worden. 7.000 Serben wurden bei der unter NATO-Hilfe organisierten Militärkampagne ermordet, knapp 2.000 Menschen gelten noch immer als vermisst.

Serbien verlangt von dem Nachbarland die Bestrafung der Verantwortlichen und Entschädigungszahlungen für die Vertriebenen. Insgesamt handelt es sich um eine Summe von rund 30 Milliarden Euro. Außerdem fordert Belgrad, es den Vertriebenen rechtlich zu ermöglichen, in ihre Heimatorte zurückzukehren und dort ein »normales Leben« zu führen. Dazu gehört auch die Abschaffung des Feiertags am 5. August, dem Beginn der Aktion »Sturm« 1995, der als nationaler »Tag des Sieges und der heimatlichen Dankbarkeit« begangen wird.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Februar 2015

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