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Uneins im "Kampf um Kosovo"

Wieder ist von Schicksalswahl die Rede / Die Alternative heißt angeblich "Europa oder Isolation"

Von Marko Winter *

Nicht einmal 16 Monate nach den letzten Parlamentswahlen, genau ein Jahr nach Bildung einer Koalitionsregierung, sind rund 6,7 Millionen Wähler Serbiens (am 11. Mai) erneut aufgerufen, eine neue Nationalversammlung zu wählen. Ministerpräsident Vojislav Kostunica hatte sein Amt niedergelegt, weil sich die Koalitionspartner im Kampf um Kosovo uneins waren.

Nach langwierigen Verhandlungen und der Annahme einer neuen Verfassung schien sich die Führung in Belgrad einig zu sein: Kosovo ist ein untrennbarer Bestandteil Serbiens. Schon bei den Präsidentschaftswahlen Ende Januar zeigte sich jedoch, dass Präsident Boris Tadic und seine Demokratische Partei (DS) die rasche Annäherung an die EU wichtiger nehmen als den Kampf um Kosovo. Ihre Begründung: Als EU-Mitglied könne Serbien viel mehr für Kosovo tun. Vojislav Kostunica und seine Demokratische Partei Serbiens (DSS) forderten dagegen ein klares Bekenntnis dazu, dass Serbien nur als Ganzes – mit Kosovo – EU-Mitglied zu werden bereit ist. Das lehnte Tadic ab, weshalb ihm Kostunica die Unterstützung in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl verweigerte.

Tadic gewann die Wahl trotzdem, allerdings nur knapp. Von einer »großen Mehrheit« für den »proeuropäischen Kurs« Tadics kann daher nicht die Rede sein. Etliche Wähler, heißt es in Belgrad, hätten lediglich eine Präsidentschaft des Chefs der Serbischen Radikalen (SRS), Tomislav Nikolic, verhindern wollen.

Auch die Unterstützung der EU für Kosovos einseitige Unabhängigkeitserklärung am 17. Februar hinderte die Koalitionspartner DS und G 17 Plus nicht, ihr Werben um die Gunst der Westeuropäer fortzusetzen. Ministerpräsident Kostunica begründete seinen Rücktritt denn auch mit der Feststellung, er habe die Überzeugung verloren, dass die beiden Parteien aufrichtig bereit sind, um Kosovo zu kämpfen. Deshalb müsse das Volk entscheiden, wem es die Führung des Landes anvertraut. Kostunicas Entschluss überraschte trotzdem: Eigentlich, so glaubte man, sei keine der Regierungsparteien an Neuwahlen interessiert, weil davon nur die Radikalen profitieren könnten.

Von 22 Parteien und Bündnissen, die um 250 Sitze in der »Narodna Skupština« kämpfen, haben abermals nur fünf oder sechs eine reale Chance, die Fünfprozenthürde zu überspringen. Tatsächlich hat die SRS gute Aussichten, erneut stärkste Partei zu werden. Bisher mangelte es ihnen stets an Koalitionspartnern, doch diesmal hoffen sie, nach der Wahl gemeinsam mit Kostunicas DSS und den Sozialisten (SPS), die sich mit der Rentnerpartei PUPS und der Partei Einiges Serbien (JS) zusammengetan haben, eine Regierung bilden zu können. Das Bündnis »DSS-Neues Serbien – Vojislav Kostunica« hat sich aber noch nicht offiziell zu Koalitionsabsichten geäußert.

Die Tadic-Partei DS bildet mit der Wirtschaftspartei G17 Plus, der Demokratischen Partei des San- dzak (SDP) und der Liga der Sozialdemokraten der Vojvodina den Block »Für ein europäisches Serbien – Boris Tadic«. Die Führer von G17 Plus und Vojvodina-Sozialdemokraten sind mehr oder weniger offen für die Anerkennung Kosovos. Noch heftiger plädiert die Liberaldemokratische Partei (LDP) unter Cedomir Jovanovic dafür, weshalb sich allerdings auch niemand mit ihr verbünden wollte.

Zum Zünglein an der Waage könnten die zehn Parteien nationaler Minderheiten werden, die nicht der Fünfprozentklausel unterliegen. Deren Abgeordnete werden bei Abstimmungen sicherlich nicht die SRS unterstützen.

Der Wahlkampf tobte fast ausschließlich um die Themen Kosovo und »Europa«. Und er gewann an Schärfe, bis hin zu Morddrohungen, nachdem Tadic am 29. April das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU unterzeichnen lassen hatte. Auf Plakaten, die den Präsidenten und Vizepremier Bozidar Djelic bei der Vertragsunterzeichnung zeigen, werden beide als »Staatsfeinde« bezeichnet. Tadic warf Kostunica daraufhin vor, Hass zu schüren und eine »Lynchatmosphäre« zu schaffen. Selbst Vertreter der DS lehnten jedoch die offensichtliche Wahlbeeinflussung durch die EU ab. Das hindert die »Pro-Europäer« indes nicht daran, als »Wahlspeck« fiktive Flugscheine nach Westeuropa zu verteilen.

Dennoch stiegen die Umfragewerte des Kostunica-Blocks von zuvor 10 auf fast 15 Prozent. Kostunica beharrt darauf, dass mit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos und deren Anerkennung durch 18 EU Staaten das Völkerrecht verletzt wurde. Deshalb hätte man das Abkommen mit der EU nicht unterzeichnen dürfen. Mehrmals erinnerte Kostunica daran, dass EU-Chefdiplomat Javier Solana 1999 als Generalsekretär der NATO den Befehl zur Bombardierung Jugoslawiens gab. Jetzt wolle er verwirklichen, was damals in Angriff genommen wurde: die Schaffung eines NATO-Staats Kosovo mit einer USA-Militärbasis im Zentrum. Die serbische Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen stelle eine Anerkennung Kosovos durch Belgrad auf Umwegen dar. Serbien sei zwar durchaus an einer EU-Mitgliedschaft interessiert – aber nicht um den Preis seiner territorialen Ganzheit und seiner Souveränität.

Diese Haltung – behauptet das Tadic-Lager – führe Serbien zurück in die Isolation, verbunden mit ökonomischem Stillstand, Arbeitslosigkeit und niedrigem Lebensstandard. Nicht selten wird Kostunicas Politik inzwischen mit der von Slobodan Milosevic verglichen.

Die letzten Prognosen sprechen für ein Kopf-an-Kopf-Rennen am Wahltag. Dabei liegen die Radikalen knapp vor dem Tadic-Block. Jedenfalls wird es auch diesmal schwer werden, eine stabile Regierung zu bilden, denn sicherlich werden mindestens drei Parteien unter einen Hut kommen müssen.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Mai 2008


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