Koalitionsschacher
Serbiens Sozialisten haben die Wahl
Von Werner Pirker *
Wie in Griechenland und Frankreich hat auch bei den serbischen Wahlen das offen neoliberale Lager starke Einbußen hinnehmen müssen Die Demokratische Partei (DS) von Präsident Boris Tadic erhielt bei den Parlamentswahlen am Sonntag 22,3 Prozent der Stimmen und wurde von der nationalistischen Serbischen Fortschrittspartei (SNS) unter der Führung des einstigen Seselj-Getreuen Tomislav Nikolic, die 24 Prozent für sich verbuchen konnte, auf Platz zwei verdrängt. Mit 14,7 Prozent wurde die einst von Slobodan Milosevic gegründete Sozialistische Partei Serbiens (SPS) Dritter. Bei den gleichzeitig abgehaltenen Präsidentenwahlen setzte sich Amtsinhaber Tadic mit 26,7 Prozent knapp vor Nikolic (25,5) durch. Die Entscheidung fällt in einer Stichwahl zwischen den beiden. Dritter wurde der SPS-Vorsitzende Ivica Dacic.
Obwohl die dezidiert prowestliche Präsidentenpartei rund 15 Prozent Stimmanteil verloren hat, ist eine Neuauflage der Koalition aus Rechtsliberalen und Sozialisten, ergänzt um eine dritte »proeuropäische« Partei, durchaus denkbar. Die Verhandlungsposition der SPS, die mit 45 doppelt so viele Abgeordnete wie in der vergangenen Legislaturperiode stellt, ist aber deutlich besser als vor vier Jahren. Er wisse zwar nicht, wer Präsident werde, wohl aber, wer der nächste Premier sein werde, meldete ein selbstbewußter Ivica Dacic seinen Anspruch auf den Posten eines Regierungschefs an.
2008 standen die Sozialisten vor der Wahl, mit der Radikalen Partei unter Nikolic und Kostunicas Demokratischer Partei Serbiens eine Regierung der patriotischen Mehrheit zu bilden oder sich den Kräften des nationalen Ausverkaufs als Juniorpartner zur Verfügung zu stellen. Man entschied sich für letzteres. Milosevic’ Erben haben den TINA-Standpunkt eingenommen: There Is No Alternative. Wer aber den EU-Beitritt Serbiens als alternativlos akzeptiert, unterwirft sich dem Diktat der antiserbischen Allianz. Noch ist Serbien nicht in der EU, aber die EU ist bereits in Serbien – als illegale Besatzungsmacht im Kosovo. Die Serbien von Brüssel auferlegte Beitrittsbedingung besteht im Verzicht auf seine territoriale Integrität.
In einer Zeit, in der Griechenland unter der Knute europäischer Sparkommissare ächzt und in Richtung Staatszerfall treibt, drängt das Land an Donau, Save und Drina in der falschen Hoffnung auf ein Ende seiner Diskriminierung in einen Staatenbund, der maßgeblich an der Zerstörung Jugoslawiens beteiligt war und Serbien in die Knie gezwungen hat. Die Perspektive, die sich dem südslawischen Staat dabei eröffnet, könnte trostloser nicht sein. Nach dem Überlaufen der Sozialisten auf die Seite der Kollaborateure haben auch Seseljs Nachfolger ihren Widerstand gegen einen EU-Beitritt aufgegeben. Die Möglichkeit, das offen prowestliche Lager zu isolieren und eine alternative Politik zu entwickeln, aber besteht nach wie vor. Wenn die SPS dazu bereit wäre.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 9. Mai 2012
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