Serbien steht vor einer spannenden Stichwahl
Es geht nicht nur um das Kosovo, sondern auch um eine Richtungsentscheidung zwischen Westbindung oder Anlehnung an Russland - Zwei Beiträge
Freudenfeiern bei den serbischen Radikalen
Tomislav Nikolic geht mit Vorsprung in die Stichwahl ums Präsidentenamt am 3.
Februar
Von Boris Kanzleiter, Belgrad *
Böller knallten und Feuerwerksraketen schossen in den Nachthimmel, als am späten Sonntagabend
die Ergebnisse der ersten Runde der serbischen Präsidentschaftswahlen im Fernsehen übertragen
wurden.
Grund zur Freude haben vorerst nur die Anhänger der nationalistischen Serbischen Radikalen Partei
(SRS). Aber das sind viele. Mit 39,4 Prozent erreichte ihr Kandidat Tomislav Nikolic einen
überraschend klaren Erfolg in der ersten Runde.
Bei den Stichwahlen in zwei Wochen wird es Amtsinhaber Boris Tadic von der Demokratischen
Partei (DS) schwer haben, die notwendige absolute Mehrheit zu erobern. Er kam nach vorläufigen
Angaben nur auf 35,4 Prozent. Insgesamt etwa 25 Prozent entfielen auf Kandidaten kleinerer
Parteien: Infrastrukturminister Velimir Ilic (Neues Serbien) kam auf 7,6, der Sozialist Milutin Mrkonjic
auf knapp 6 und der Liberaldemokrat Cedomir Jovanovic auf 5,5 Prozent. Die anderen vier
Bewerber blieben unter 3 Prozent.
Entscheiden könnte den zweiten Wahlgang die Wahlempfehlung von Premierminister Vojislav
Kostunica von der nationalkonservativen Demokratischen Partei Serbiens (DSS), die keinen eigenen
Kandidaten aufstellte. Er koaliert mit der Tadic-DS, steht in vielen politischen Fragen aber Nikolic
näher.
Die Präsidentschaftswahlen waren in den vergangenen Wochen zur Richtungsentscheidung für die
Zukunft des Landes stilisiert worden. Und als solche werden sie offenbar auch von einem großen
Teil der Bevölkerung wahrgenommen. Mit etwa 61 Prozent lag die Wahlbeteiligung so hoch wie
noch nie seit dem Sturz Slobodan Milosevics im Herbst 2000.
Der Radikale Nikolic gab sich in der Wahlnacht voller Zuversicht: »Wir waren einem Sieg noch nie
so nahe«, rief der 55-Jährige vor jubelnden Anhängern im Parteihauptquartier. Schon bei den
Präsidentenwahlen 2004 hatte er in der ersten Runde vor Tadic gelegen. Damals lautete der
»Zwischenstand« 30,60 gegen 27,37 Prozent. Die Stichwahl aber entschied Tadic mit 53,2 zu 45,5
Prozent für sich. In seinem perfekt inszenierten Wahlkampf gab sich Nikolic diesmal jedoch betont
moderat: »Ich will der Präsident aller Bürger sein und nicht nur der Radikalen«, wiederholte er immer
wieder. Und den Button mit dem Porträt seines Parteichefs Vojislav Seselj, den er monatelang am
Anzugrevers getragen hatte, legte er zu Beginn des Wahlkampfs ab. Seselj steht derzeit vor dem
Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. Nikolic ist bemüht, den Ruf des »Ultranationalismus«
abzustreifen. Alle nationalen Minderheiten Serbiens würden respektiert, betont er.
Noch stärker als bisher widmet sich die SRS unter ihrem Slogan »Mit vollem Herzen« sozialen
Problemen wie der steigenden Arbeitslosigkeit und der verbreiteten Armut. Scharfe Worte findet
Nikolic gegen die verbreitete Korruption und gegen Unregelmäßigkeiten im Privatisierungsprozess.
Gleichzeitig verspricht er die »Verteidigung der nationalen Interessen«. Auf einer Kundgebung in
Kosovska Mitrovica gelobte er feierlich, die Serben in Kosovo »zu beschützen«. Kompromisslos
wendet er sich gegen die Unabhängigkeit der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz. Von
der Kosovo-Frage macht Nikolic auch die außenpolitische Orientierung Serbiens abhängig. Eine
Mitgliedschaft in der Europäischen Union kommt für ihn nur in Frage, wenn die EU die angekündigte
einseitige Unabhängigkeitserklärung Kosovos nicht anerkennt. In jedem Fall möchte Nikolic Serbien
enger an Russland, den »traditionellen Verbündeten«, binden.
In eben dieser Frage setzt der bisherige Präsident Boris Tadic die Prioritäten in umgekehrter
Reihenfolge. Auch Tadic hat in seiner betont national geführten Kampagne unter dem Motto »Für ein
starkes und stabiles Serbien« die Anerkennung der Unabhängigkeit Kosovos ausgeschlossen.
Gleichzeitig plädiert der 50-jährige Psychologe aber für eine konsequente Weiterführung der
»euroatlantischen Integration«.
Vor diesem Hintergrund kann auch das Verhalten der EU einen entscheidenden Einfluss auf die
weitere Entwicklung nehmen. Eine offene Unterstützung der Unabhängigkeit Kosovos durch Brüssel
schwächt die pro-westlichen Kräfte in Serbien.
Dass der Liberaldemokrat Jovanovic nun zur Wahl Tadics aufruft und der Sozialist Mrkonjic eher
Nikolic empfiehlt, ist einigermaßen klar. Doch wie verhalten sich Ilic und Premier Kostunica? Und
folgen die Wähler ihrem Rat? Es könnte sehr knapp werden am 3. Februar.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Januar 2008
Paukenschlag in Serbien
Klarer Sieg für NATO-Gegner Nikolic in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl
Von Jürgen Elsässer **
Die serbischen Präsidentschaftswahlen am Sonntag waren in jeder Hinsicht spektakulär: Noch nie seit dem Sturz des sozialistischen Staatsführers Slobodan Milosevic im Oktober 2000 gingen mehr Menschen an die Urnen. Die knapp 61 Prozent sind aber nicht nur Rekord in Serbien, sondern vermutlich im gesamten Südost- und Osteuropa nach dem Systemwechsel. Vor allem stellen sie die 43 Prozent der Kosovo-Albaner bei den dortigen Parlamentswahlen im November in den Schatten. Dies zeigt, daß die Serben sich darüber bewußt sind, jetzt nicht nur eine Entscheidung über Köpfe, sondern über die gesamte außenpolitische Orientierung des Landes zu fällen.
Der derzeitige Amtsinhaber Boris Tadic von der Demokratischen Partei (DS) will den Kurs auf die Mitgliedschaft in Europäischer Union und NATO auch dann fortsetzen, wenn diese beiden Bündnisorganisationen das Kosovo, wie angekündigt, in Kürze von Serbien abspalten. Sein Herausforderer Tomislav Nikolic von der Radikalen Partei (SRS) will in diesem Fall die euroatlantische Annäherung stoppen und das Land stärker an Rußland anlehnen. Er spricht offen über den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit allen Staaten, die die Sezessionsrepublik Kosova anerkennen.
Auf Tadic entfielen am Sonntag 35,4 Prozent der Stimmen, auf Nikolic 39,4 Prozent. Beide Kandidaten treffen im Stichentscheid am 3. Februar wieder aufeinander. Auf den ersten Blick ähnelt die Konstellation der letzten Präsidentschaftswahl vom Juni 2004, als Nikolic mit einem Vorsprung von damals knapp drei Punkten in die zweite Runde ging und dann doch mit 45 zu 55 Prozent gegen Tadic unterlag. Doch damals hatte Nikolic im ersten Urnengang lediglich 30,1 Prozent geholt, diesmal sind es fast zehn Prozent mehr. Und damals konnte Tadic davon profitieren, daß die anderen prowestlichen Kandidaten ihre Wähler dazu aufriefen, im Playoff für ihn zu stimmen -- sie hatten zusammengenommen in der ersten Runde 33 Prozent der Stimmen bekommen. Auf die Leihstimmen von ausgeschiedenen Bewerbern kann Tadic zwar auch dieses Mal wieder zählen -- aber ihr Potential ist wesentlich geringer. Denn auf die beiden anderen prowestlichen Kandidaten, Velimir Ilic von der Regierungspartei Neues Serbien (NS) und Cedomir Jovanovic von der yuppie-konservativen Liberal-Demokratischen Partei (LDP), entfielen lediglich 7,6 beziehungsweise 5,6 Prozent.
Umgekehrt darf Nikolic auf Schützenhilfe von der Sozialistischen Partei hoffen. Deren Kandidat Milutin Mrkonjic schöpfte mit glatt sechs Prozent das übliche linke Wählerreservoir voll aus -- vor vier Jahren hatte der farblose Ivica Dacic nur 3,6 Punkte erreicht. Doch die ersten Stellungnahmen aus dem Vorstand der einstigen Milosevic-Partei klingen seltsam: Anstatt für den 3. Februar zur Wahl Nikolics aufzurufen, heißt es kryptisch, man werde weder »die unterstützen, die uns in der Vergangenheit zerstören, noch jene, die uns in der Vergangenheit auf verschiedene Weise die Wähler stehlen wollten«. Das eine zielt gegen die Demokraten von Tadic, das andere gegen die Radikalen von Nikolic. Wollen die Sozialisten etwa zur Wahlenthaltung aufrufen? Ihr Gründer Milosevic würde sich im Grabe umdrehen.
** Aus: junge Welt, 22. Januar 2008
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