UCK-Prozess wird in Den Haag neu verhandelt
Freispruch des früheren Kosovo-Premiers Haradinaj wurde vom Tribunal aufgehoben
Die Zeugen hatten Angst. Der Ankläger brachte sie nicht dazu, über
mutmaßliche Gräueltaten des Ex-Kommandeurs der Kosovo-Untergrundarmee
UCK, Ramush Haradinaj, auszusagen: Freispruch mangels Beweisen. Doch nun
wird der Kriegsverbrecherprozess neu aufgerollt.
Der vor zwei Jahren freigesprochene frühere Kosovo-Regierungschef Ramush
Haradinaj muss sich doch noch wegen Mordes und Folter vor dem
UN-Kriegsverbrechertribunal verantworten. Die Berufungskammer des
Strafgerichtshofes für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag stufte den
aus Mangel an Beweisen erfolgten Freispruch am Mittwoch (21. Juli) als Fehlurteil ein und ordnete an, den Prozess gegen Haradinaj teilweise neu
aufzurollen. Gerichtspräsident Patrick Robinson aus Jamaika befahl nach
Verlesung des Urteils der UN-Polizei, Haradinaj (42) festzunehmen.
Ein geheim gehaltener Haftbefehl war bereits am Montag ausgestellt
worden, wie das Tribunal nun bestätigte. »Für uns ist das eine große
Überraschung«, sagte ein führender Vertreter von Haradinajs Partei
Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) in Pristina. »Wir sind nach wie
vor von seiner Unschuld überzeugt«, betonte AAK-Präsidiumsmitglied
Besnik Tahiri. Auch Haradinajs Anwalt Michael O'Reilly äußerte sich
erstaunt über das Urteil der Berufungskammer und verwies auf den klaren
Freispruch vor zwei Jahren.
Beim ersten Prozess gegen Haradinaj und zwei Mitangeklagte sollen Zeugen
eingeschüchtert worden sein. »Die damalige Strafkammer hat das Ausmaß
der Bedrohung von Zeugen und die Folgen für das Verfahren unterschätzt«,
kritisierte Robinson. Mit der Anordnung eines neuen Prozesses folgte das
Jugoslawien-Tribunal einem bereits im Mai 2008 von der
Staatsanwaltschaft eingereichten Revisionsantrag gegen Haradinajs
Freispruch aus Mangel an Beweisen. Auch die Verfahren gegen seine
damaligen Mitangeklagten Idriz Balaj (38) und Lahi Brahimaj (40), die
ähnlich wie Haradinaj in den 90er Jahren Kommandeure der UCK waren,
müssen teilweise erneut geführt werden. Die Anklage wirft Haradinaj
vor, als UCK-Kommandeur mitverantwortlich für Morde und die grausame
Behandlung von Gefangenen gewesen zu sein. Haradinaj war einige Monate
lang Ministerpräsident des damals noch nicht unabhängigen Kosovos, bevor
er sich im März 2005 nach Veröffentlichung der Anklage dem UN-Tribunal
stellte. Am 3. April 2005 wurden er und Balaj in erster Instanz
freigesprochen. Brahimaj wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Chefankläger Serge Brammertz hatte den Revisionsantrag damit begründet,
dass die zuständige Strafkammer nicht ausreichend Raum für die Zeugen
der Anklage gelassen habe. In keinem anderen Verfahren vor dem
Jugoslawien-Tribunal hatten die Ankläger derartige Schwierigkeiten,
Belastungszeugen vor das Gericht zu bringen, wie im Haradinaj-Prozess.
Zum Teil erschienen Zeugen gar nicht, andere verweigerten die Aussage --
vermutlich aus Angst vor Repressalien. Inzwischen wurden zwei ehemalige
Vertraute Haradinajs angeklagt, weil sie versucht haben sollen, Zeugen
einzuschüchtern. Brammertz bemängelte, die Strafkammer habe der
Staatsanwaltschaft nicht die Zeit gelassen, alle Möglichkeiten
auszuschöpfen, um noch fehlende Zeugenaussagen doch noch zu beschaffen
und damit Haradinajs Schuld zu beweisen.
Die Entscheidung erfolgte einen Tag bevor der Internationale Gerichtshof
(IGH) sein mit Spannung erwartetes Gutachten über die Rechtmäßigkeit der
Abspaltung Kosovos als unabhängiger Staat von Serbien bekannt gibt. Die
Serbisch-Orthodoxe Kirche will mit Kirchenglocken und Fürbitten eine
gute Entscheidung des IGH in Den Haag herbeiführen. Patriarch Irinej
wies alle Kirchen an, an diesem Donnerstag fünf Minuten die
Kirchenglocken läuten zu lassen.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Juli 2010
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