Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Politpoker in Belgrad

Serbien: Regierungsumbildung sorgt für Spekulationen

Von Roland Zschächner *

In Serbien halten die Diskussionen um die Umbildung der Regierung weiter an. Im neuen Kabinett, das nach Aussagen von Premierminister Ivica Dacic »Serbien effizienter und moderner gestalten« soll, werden nur noch die Serbische Fortschrittspartei (SNS) und die Sozialistische Partei (SPS) beteiligt sein. Die kleine neoliberale Partei der Vereinten Regionen (URS) wird sich mit ihren drei Ministern aus der Koalition zurückziehen (jW berichtete). Grund für das Auseinanderbrechen des Bündnisses war eine zum Teil öffentlich geführte Auseinandersetzung zwischen Dacic (SPS) und dem vormaligen Finanz- und Wirtschaftsminister Mladjen Dinkic (URS). Der Regierungschef wollte das Doppelministerium in zwei Ressorts aufteilen, woraufhin Dinkic ein neues »Superministerium« für sich forderte. In diesem sollten die Verantwortlichkeiten für Investitionen, Transport, Tourismus, Telekommunikation, Infrastruktur und Informationsgesellschaft vereint werden. Daneben forderte Dinkic, der sich selbst bescheinigte, »wie ein Pferd« gearbeitet zu haben, den Vorsitz für die staatliche Serbische Investitionsagentur. Das war zuviel für Dacic, zumal der Machtzuwachs für den URS-Vorsitzenden auf Kosten der SPS gegangen wäre.

Die SNS hat sich als größte Koalitionspartei aus den Kontroversen geschickt herausgehalten. Ihr Chef, Aleksandar Vucic, wurde von Dacic vor die Wahl gestellt: Entweder die URS fliegt aus der Regierung, oder die SPS beendet die Koalition. Für die SNS hätte dies bedeutet, sich entweder einen neuen Partner suchen oder Neuwahlen ausrufen zu müssen. Vucic entschied sich für die nun auf zwei Stimmen Mehrheit geschrumpfte Verbindung mit den Sozialisten. Damit stellte er sich gegen das Votum seines Parteivorstandes, der sich angesichts aktueller Umfragewerten von um die 50 Prozent für die Fortschrittspartei für Neuwahlen ausgesprochen hatte. Auf diese Weise konnte sich der Regierungschef gegenüber der Europäischen Union, mit der zur Zeit Beitrittsverhandlungen geführte werden, als Garant für die Stabilität Serbiens präsentieren. Außerdem entledigte er sich, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen des unbeliebten Dinkic. Dieser war mit unterschiedlichen Parteizugehörigkeiten seit 2000 an jeder serbischen Regierung beteiligt, was ihm den Vorwurf einbrachte, für die miserable wirtschaftliche Situation des Landes eine erhebliche Mitverantwortung zu tragen.

Konkretes über die Regierungsumbildung ist noch immer nicht bekannt. Neben den drei URS-Kabinettsmitgliedern werden auch die Minister für Verteidigung, Landwirtschaft, Kultur, Verkehr, Bildung und Sport ausgetauscht. Wer auf die frei werdenden Regierungsposten aufrücken wird, ist bisher unklar. Es wird davon ausgegangen, daß das ehemalige Dinkic-Ministerium an die Fortschrittspartei gehen wird, die damit ihre Position weiter stärken würde. Bekanntgeworden ist bislang allerdings lediglich, daß am 26. August die Skupstina, das serbische Parlament, über die Veränderungen entscheiden soll. Zuvor muß noch ein neues Gesetz verabschiedet werden, das der Kabinettsreform einen legalen Rahmen gibt.

Wie die Belgrader Zeitung Vecernje novosti (5.8.2013) berichtete, versucht Vucic sogenannte Experten in die Regierung zu holen. So sorgte der Besuch des ehemaligen Direktors des Internationalen Währungsfonds (IWF), Dominik Strauss-Kahn, Ende Juli in Serbien für Gerüchte. Der Franzose war von der SNS zu »Beratungen« eingeladen worden. Es wurde gemunkelt, daß Vucic Strauss-Kahn einen Ministerposten in der neuen Regierung anbieten würde. Vucic dementierte dies zwar umgehend, sprach sich aber für die Öffnung des serbischen Kabinetts für ausländische Experten aus. Mit der Aussage, ein »Fremder, der gut arbeitet« sei »besser als ein schlechter Parteikader« , heizte er die Spekulationen an. Allerdings beträgt das durchschnittliche Ministersalär offiziell umgerechnet 1000 Euro, was für ausländische Experten wenig attraktiv sein dürfte.

Ein weiterer Name, der in der Diskussion als Anwärter für das Finanzministerium auftauchte, ist Lazar Krstic. Der 29jährige Yale-Absolvent aus der südserbischen Stadt Nis ist zur Zeit bei den New Yorker »Unternehmensberatern« von McKinsey beschäftigt und gilt als junger, talentierter Hoffnungsträger der politischen Eliten.

Was »Experten« in Regierungen bedeuten, wurde bereits in Griechenland und Italien vorgeführt. Der Einfluß ausländischer Institutionen würde weiter zunehmen, die von ihnen vorangetriebene neoliberale Politik würde ausgeweitet. Das wäre letztlich aber nur konsequent, denn ein Großteil der politischen Entscheidungen über Serbien werden längst nicht mehr in Belgrad, sondern in Brüssel und Washington gefällt. Die Folgen für die breite Bevölkerung Serbiens sind die gleichen wie in den anderen Ländern der südlichen EU.

* Aus: junge Welt, Freitag, 16. August 2013


Zurück zur Serbien-Seite

Zurück zur Homepage