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Mutmaßlicher Kriegsverbrecher Mladic gefasst

Der frühere bosnisch-serbische General wurde nach jahrelanger Flucht in Serbien festgenommen *

Ratko Mladic droht nach seiner Verhaftung ein Verfahren vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Als Gegenleistung für die Ergreifung des Ex-Generals hofft Serbiens Präsident Boris Tadic auf den baldigen EU-Beitritt seines Landes.

Der als Kriegsverbrecher gesuchte ehemalige bosnisch-serbische General Ratko Mladic ist nach mehr als 15 Jahren auf der Flucht gefasst worden. »Im Namen der Republik Serbien teile ich mit, dass Ratko Mladic verhaftet wurde«, sagte Serbiens Präsident Boris Tadic gestern (26. Mai) in Belgrad. Jetzt könne Serbien »ein unrühmliches Kapitel seiner jüngeren Geschichte« abschließen. Mladic soll unter anderem für das Massaker von Srebrenica mit rund 8000 Toten verantwortlich sein. Auch die jahrelange Belagerung von Sarajevo mit vielen Toten wird Mladic angelastet, ebenso die Gräuel in Internierungslagern. Der auf einem Bauernhof in Serbien gefasste Mladic werde in Kürze an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag überstellt, erklärte Tadic.

Die auf sich warten lassende Festnahme von Mladic galt als eines der größten Hindernisse bei den Bemühungen Belgrads um eine Mitgliedschaft in der EU. Tadic stellte klar, dass Belgrad nun als Gegenleistung für die Verhaftung einen zügigen EU-Beitritt erwarte. »Ich hoffe, dass jetzt die Türen offen stehen«, sagte der Präsident. »Ein großes Hindernis auf dem Weg Serbiens zur EU ist beseitigt«, sagte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in Brüssel. »Nun muss mit diesem neuen Schwung die Arbeit an Reformen intensiviert werden, damit die Kommission im Herbst eine positive Stellungnahme abgeben kann.«

Details zur Festnahme wollte Tadic nicht preisgeben. »Das werden die Vertreter der Sicherheitsbehörden tun«, sagte er. Der Geheimdienst habe den Gesuchten beim Besuch eines Verwandten in dem Dorf Lazarevo bei Zrenjanin im Norden Serbiens verhaftet, schrieb die Tageszeitung »Blic«. Davor hatten serbischen Medien berichtet, der Geheimdienst habe am Donnerstagmorgen einen Mann mit dem Namen Milorad Komadic festgenommen, der auffällig viele biografische Merkmale des ehemaligen bosnisch-serbischen Generals aufweise.

Nach dem Kriegsende 1995 war Mladic untergetaucht. Zuletzt war in Serbien ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen Euro ausgesetzt, die USA hatten zusätzlich fünf Millionen Dollar ausgelobt. Christian Schwarz-Schilling, früher Bosnien-Beauftragter, argwöhnte, Mladic sei bisher von den serbischen Behörden unterstützt worden.

Die Festnahme von Mladic stieß weltweit auf ein positives Echo. Bundesaußenminister Guido Westerwelle erklärte mit Bezug auf die Opfer von Srebrenica: »Einer ihrer mutmaßlich schlimmsten Peiniger kann jetzt zur Verantwortung gezogen werden.« Für UN-Chefankläger Serge Brammertz war dies »ein bedeutender Tag für die internationale Gerechtigkeit«.

* Aus: Neues Deutschland, 27. Mai 2011


Willkommensgeschenk für Ashton

Serbischer Exgeneral Ratko Mladic in der Vojvodina verhaftet. EU-Außenbeauftragte in Belgrad

Von Zoran Sergievski **


Wie Serbiens Präsident Boris Tadic am Donnerstag (26. Mai) in Belgrad bestätigte, ist der frühere General der serbischen Truppen in Bosnien-Herzegowina, Ratko Mladic, in Lazarevo, einem Ort in der autonomen Provinz Vojvodina, festgenommen worden. Nach dem Militär wird seit 16 Jahren durch das UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag (ICTY) gefahndet, das Mladic für hauptverantwortlich an den Ereignissen in Srebrenica 1995 hält. Das Belgrader Büro für die Verfolgung von Kriegsverbrechen sowie der Nationalrat zur Zusammenarbeit mit dem ICTY machten keine Angaben zur Sache. Dem Rundfunksender B92 zufolge soll ein anonymer Hinweis die Ermittler auf die Spur des Mannes gebracht haben, welcher sich demnach als Milorad Komadic ausgab. Ein DNA-Test habe diesen als Mladic identifiziert.

Am Donnerstag traf auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Belgrad ein. Auf Zweifel daran angesprochen, daß ihr Besuch und die Verhaftung ein zufälliges Zusammentreffen seien, entgegnete Tadic lediglich, Ashton sei eine derjenigen, die an Serbien und dessen Zukunft in der EU glaubten. »Ich hoffe, daß jetzt die Türen offenstehen«, räumte der Staatschef indirekt aber doch einen Zusammenhang ein. Brüssel und das ICTY hatten die Festnahme Mladics zu einer Bedingung für Beitrittsverhandlungen der EU mit Serbien gemacht.

Der sich selbst als Kommunist bezeichnende Mladic war in der Vergangenheit den Behörden nachweislich immer wieder entwischt. Seine Frau erklärte kürzlich, daß sie glaube, er sei längst tot. Bei der serbischen Bevölkerung genießt der frühere Offizier hohes Ansehen. Seine Popularität ist vergleichbar mit der von Radovan Karadzic, der als Heilkundler »Dr. Dragan Dabic« im Sommer 2008 in Belgrad festgenommen wurde und seitdem in Den Haag vor Gericht steht.

** Aus: junge Welt, 27. Mai 2011


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