Kosovo-Serben wollen weg
Unabhängigkeitserklärung und Anschluß an die Republik Serbien angekündigt. Damit könnte das von der Regierung in Belgrad abgenickte Abkommen mit Kosovo-Albanern scheitern
Von Werner Pirker *
Zwar hat auch das serbische Parlament – wenige Stunden vor Ablauf eines EU-Ultimatums – dem »Normalisierungsabkommen« zwischen der Regierung in Belgrad und der kosovo-albanischen Führung, das die administrative Eingliederung des mehrheitlich von Serben bewohnten nördlichen Kosovo in das Sezessionsgebilde vorsieht, am Sonntag abend zugestimmt. Doch droht dieses am Widerstand der betroffenen Bevölkerung zu scheitern. Anfang nächster Woche wollen die Vertreter von vier serbischen Gemeinden ihr Siedlungsgebiet für unabhängig erklären und ein Parlament ins Leben rufen. Als »Autonome Provinz« wolle man sich dann der Republik Serbien anschließen.
Allein die Tatsache eines Abkommens zwischen den beiden Seiten läuft auf eine De-facto-Anerkennung der illegalen Lostrennung des Kosovo durch Belgrad hinaus. Zudem negiert die Vereinbarung das Recht der Kosovo-Serben, die sich nicht in einen von ihnen als illegitim empfundenen Staat eingliedern lassen wollen, auf nationale Selbstbestimmung. Sie wollen sich mit den ihnen zugesicherten Autonomierechten, deren Realisierung ihnen angesichts des monoethnischen Staatsverständnisses der kosovo-albanischen Führung äußerst fragwürdig erscheint, nicht zufrieden geben und beharren deshalb auf einer nationalen Existenz außerhalb der unter Mißachtung der UN-Resolution 1244 gegründeten »Republik Kosovo«.
Das Abkommen beinhaltet die Ausweitung der von Pristina ausgehenden Staatsmacht auf die serbischen Siedlungsgebiete im Norden. Bis Ende Mai sollen Voraussetzungen für eine neue Polizei- und Justizstruktur geschaffen werden. Zwei Wochen später soll ein Verfassungsgesetz in beiden Ländern verabschiedet werden. Für Belgrad bedeutet das nicht weniger als die Preisgabe seines eigens in der serbischen Verfassung verankerten Rechtsanspruches auf die Gesamtheit seines Territoriums. Die bisher von Belgrad bezahlten Staatsanwälte und Richter sowie Polizisten sollen von der albanischen Regierung in Pristina neue Arbeitsverträge erhalten. Serbien hätte sich somit von seiner südlichen Provinz de jure und de facto verabschiedet.
Die jugoslawische Verfassung von 1963 räumte der Autonomen Provinz Kosovo und Metochien im Rahmen der Republik Serbien weitgehende Selbständigkeit ein. Die Verfassung von 1974 ging noch darüber hinaus. Die autonomen Provinzen Kosovo-Metochien und Vojvodina verblieben zwar formal im Bestand Serbiens, wurden aber de facto zu Subjekten der Föderation, was bedeutete, daß sie in den föderalen Organen eigenständig und nicht als Teil Serbiens vertreten waren. Die 1989 unter dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic durchführte Verfassungsänderung sah keineswegs die Abschaffung der Autonomie der beiden Provinzen, sondern lediglich deren Reintegration in die Republik Serbien vor. Es war eine Maßnahme, die dem allgemeinen Zerfall der jugoslawischen Staatlichkeit entgegenwirken sollte.
In den Jahren der Sezessionskriege fristete das Kosovo lange eine relativ eigenständige Existenz, bis mit seiner von der NATO-Aggression erzwungenen Lostrennung die Zerstörung Jugoslawiens vollendet wurde. Der vom serbischen Präsidenten Milan Milutinovic vor Beginn der Konferenz von Rambouillet und des ihr folgenden Bombenterrors vorgelegte Plan für ein selbstverwaltetes multiethnisches Kosovo ist von der albanischen Seite ungelesen zurückgeschickt worden. Denn ihr ging es um ein albanisches und nicht um ein selbstverwaltetes und schon gar nicht um ein multiethnisches Kosovo. Und auch unabhängig ist das Gebilde trotz Unabhängigkeitserklärung nicht geworden, sondern ein NATO- und EU-Protektorat.
Die albanischen Sezessionisten bekommen nun von den Kosovo-Serben ihre eigene Melodie vorgespielt. Zu Recht fragt sich die serbische Bevölkerung im Nordkosovo, warum ausgerechnet die Ethnoterroristen der UCK (Befreiungsarmee des Kosovo) zu Garanten eines multinationalen Zusammenlebens geworden sein sollen. Es steht allerdings zu befürchten, daß die Regierung in Belgrad auch weiterhin allein den Forderungen aus Brüssel und nicht den Bedürfnissen ihrer Landsleute im besetzten Kosovo nachkommen wird.
* Aus: junge Welt, Mittwoch, 29. Mai 2013
Zurück zur Serbien-Seite
Zurück zur Homepage