Drei Jahre Unabhängigkeit: Kosovo kommt nicht zur Ruhe
Von Julia Petrowskaja, RIA Novosti *
Drei Jahre sind seit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vergangen.
Obwohl dieser Prozess von den USA und deren wichtigsten europäischen Verbündeten unterstützt wurde, ist das Kosovo immer noch kein vollwertiges Mitglied der Weltgemeinschaft.
Die Provinz im Süden Serbiens hängt sowohl in der Wirtschaft und Politik als auch bei der Sicherheit nach wie vor von äußerer Hilfe ab.
Die schwierigen Beziehungen zu Belgrad und der schlechte Ruf (das Kosovo gilt als Zentrum der organisierten Kriminalität und des Drogenhandels) blockieren den Weg zur internationalen Anerkennung und großen Investitionen, die für das Wirtschaftswachstum der rückständigsten Region im ehemaligen Jugoslawien notwendig sind.
Die meisten Länder sehen die einseitig ausgerufene Unabhängigkeitserklärung von 2008 als illegitim an.
Obwohl das konsultative Gutachten des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag im Sommer 2010 die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht als Verstoß gegen das Völkerrecht eingestuft hat, wurde dessen Anerkennung als souveräner Staat nicht beschleunigt. Trotz Unterstützung der westlichen Mächte hatten danach nur einzelne Länder Kontakte zum Kosovo geknüpft. Das Potential der Anerkennung des Kosovo (75 Länder) scheint ausgeschöpft.
Erst nach der Normalisierung der Beziehungen zu Serbien könnte sich die Situation ändern. Wann das geschehen wird, steht in den Sternen. Belgrad verzichtet weder auf das Kosovo noch auf die Wiederaufnahme der Verhandlungen über den Status der Provinz. Serbien kämpft weiterhin politisch um seine territoriale Integrität. Experten zufolge kann der Konflikt jederzeit wieder entfacht werden.
Ungelöste Frage
Nach Angaben der Nato, EU, UNO und vieler unabhängiger Experten ist die Sicherheitslage im Kosovo und auf dem Balkan einigermaßen stabil.
Die wichtigsten Sponsoren des Beilegungsprozesses scheinen keine Angst vor einem erneuten großangelegten Konflikt im Kosovo zu haben. Das beweist allein die Tatsache, dass die Nato ihre seit 1999 stationierten Kfor-Truppen weiter reduziert. Die internationalen Truppen sollen demnächst auf 5000 Mann verkleinert werden. Anfang November waren es 8500 Kfor-Soldaten, zu Beginn des Friedenseinsatzes waren es 46.000.
US-Geheimdienstdirektor James Clapper legte am 10. Februar einen Bericht vor, in dem die Situation auf dem westlichen Balkan als „ernsthaftes Problem für die Stabilität Europas in diesem Jahr“ bezeichnet wurde. Das Kosovo und Bosnien-Herzegowina seien die größten Quellen der Spannungen, so Clapper.
Die ungelösten Fragen zum Kosovo (darunter die Zukunft der nördlichen Gebiete der Provinz, wo die Serben leben) und die Versuche Belgrads, die Verhandlungen über den Status des Kosovo sowie die Schwäche der kosovarischen Regierung für Gesetz und Demokratie zu sorgen, seien nach wie vor eine Quelle der Spannung.
In Bezug auf die derzeitige militärpolitische Situation auf dem Balkan sind viele Experten der Ansicht, dass die Situation im Kosovo kaum außer Kontrolle geraten werde. Das hänge damit zusammen, dass Politiker in Belgrad und Pristina an der Macht sind, die Washington die Treue halten. Die Sicherheit in der Provinz werde weiter von den Kfor-Truppen gewährleistet, deren Friedensmandat kaum jemand in Frage stellt. Wie sieht es jedoch mit der langfristigen Stabilität aus?
Es gibt unterschiedliche Prognosen. Selbst ein erneuter Konflikt wird nicht ausgeschlossen. Wie Paul Saunders vom Nixon Center in Washington betont, hat die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo die Sicherheitslage auf dem Balkan kaum verbessert. „Der Ausbruch eines Konfliks ist immer noch möglich“, so Saunders.
Die Kosovo-Frage sei nicht endgültig gelöst, weil kein Streit durch einseitige Handlungen gelöst werden könne, unterstreicht der Experte. Serbien habe zwar beschränkte Möglichkeiten, halte jedoch die Kosovo-Frage kaum als geregelt, so Saunders.
Der russische Experte Sergej Romanenko ist ebenfalls der Ansicht, dass die Kosovo-Frage kaum als gelöst bezeichnet werden könne.
„Die Militärintervention von 1999 hat zwar den Krieg gestoppt, der ethnische Konflikt wurde jedoch nicht beendet. Er nahm eine neue Form und Dynamik an. Die Verfolgung und Verdrängung der Albaner nach dem ethnischen Prinzip aus dem Kosovo wurde durch die Verfolgung und Verdrängung der Serben nach dem Prinzip ‚eine Ethnie - eine Konfession’ ersetzt“, sagte Romanenko der Agentur RIA Novosti.
Laut Romanenko war die Abspaltung des Kosovo in einer Situation, die während der historischen Entwicklung Jugoslawiens entstand (besonders in den 1990er Jahren), unvermeidbar. Dennoch sei nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg dorthin wichtig gewesen, so Romanenko.
„Mit Rücksicht auf eine tragische Erfahrung des 20. Jahrhunderts wäre es wichtig, dass die Selbstbestimmung des Kosovo friedlich auf dem Verhandlungswege erreicht worden wäre. Die jetzigen Ereignisse bedeuten, dass sich die zwischennationalen Beziehungen auch weiter nach einem Konfliktszenario entwickeln werden“, so Romanenko.
Die Unabhängigkeit (wie auch jede andere Entscheidung in dieser Etappe) sei offenbar keine endgültige Entscheidung, so Romanenko.
Weg zur Unabhängigkeit
Die Wurzeln des Kosovo-Konflikts liegen in den schwierigen Beziehungen zwischen Serben und Albanern und ihren politischen Eliten. Die innere Krise in der Bundesrepublik Jugoslawien und Serbien führte Anfang der 1990er Jahre zu Eskalation. Obwohl der Kosovo-Konflikt eine lokale Angelegenheit war, berührte er die Interessen der Weltmächte.
Die Operation gegen die UCK („Befreiungsarmee des Kosovo“), die unter Slobodan Milosevic 1998/1999 begonnen worden war, wurde vom Westen als Gefahr für den fragilen Frieden auf dem Balkan gewertet, der nach blutigen Konflikten in Kroatien und Bosnien-Herzegowina vom Anfang der 1990er Jahre erreicht wurde. Nach dem Scheitern der Verhandlungen im französischen Rambouillet Anfang 1999 startete die Nato Bombenangriffe auf die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro).
Nach verschiedenen Schätzungen kamen beim Kosovo-Konflikt und bei den Nato-Angriffen rund 10.000 Menschen ums Leben (vor allem Albaner). Rund eine Million Menschen wurden zu Flüchtlingen und Zwangsumsiedlern. Vor dem Krieg lebten im Kosovo zwei Millionen Menschen. Im Unterschied zu den Serben kehrten die meisten Albaner nach dem Ende der Kämpfe in ihre Häuser zurück.
Die meisten Schritte zur Unabhängigkeit des Kosovo wurden in den ersten Jahren der UN-Übergangsverwaltung unternommen - in Übereinstimmung mit der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats vom 10. Juni 1999. Die Resolution bestätigte zwar die Souveränität und territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien, Belgrad verlor jedoch dadurch die Kontrolle über die aufständische Provinz.
Am 24. Oktober 2005 gab der UN-Sicherheitsrat grünes Licht zur Bestimmung des künftigen Kosovo-Status. Der Westen sah in der Gewährleistung der Unabhängigkeit unter internationaler Kontrolle die einzige lebensfähige Variante zur Lösung der Kosovo-Frage. Das bildete die Basis des so genannten „Ahtisaari-Plans“.
Das Dokument wurde zwar von den kosovarischen Albanern gebilligt, von Belgrad jedoch abgelehnt. Im Sommer 2007 wollte Russland die Resolution (Ahtisaari-Plan) im UN-Sicherheitsrat verhindern. Danach wurde die Kosovo-Troika (Russland, EU und die USA) gebildet, die den Dialog zwischen Belgrad und Pristina fördern sollte.
Man hatte jedoch nur 120 Tage, um einen Kompromiss finden. Die Verhandlungen über den Kosovo-Status schienen keine Zukunft zu haben, weil den Kosovo-Albanern die Unabhängigkeit bereits versprochen wurde.
Nachdem keine Erfolge auf dem Verhandlungswege verbucht werden konnten, griff der Westen zum einseitigen Szenario. Als die Polizei- und Justizmission der EU (EULEX) die UN-Verwaltungsmission ablöste, gaben die USA den Albanern grünes Licht für die Unabhängigkeitserklärung.
Suche nach Wohlstand
Drei Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo leidet die Provinz weiter an ihren alten Problemen: Arbeitslosigkeit, Verfall, Korruption und ethnische Konflikte. Nach Angaben der Weltbank leben 45 Prozent der Kosovaren in Armut und 15 Prozent unter der Armutsgrenze. Fast 50 Prozent (vor allem Jugendliche) sind arbeitslos. Korruption und Schattenwirtschaft verschlechtern das Investitionsklima. In den letzten Jahren sind die ausländischen Investitionen für die Entwicklung der Wirtschaft zurückgegangen.
Trotz aller Anstrengungen der Weltgemeinschaft wollen die Flüchtlinge nicht in das Kosovo zurückkehren, weil sie keine wirtschaftlichen Aussichten sehen und keine Garantien der Bewegungsfreiheit haben.
Vielen Experten zufolge sind vor allem die Wirtschaftsprobleme dafür verantwortlich, dass sie inneren Spannungen zunehmen können.
Das Kosovo bleibt weiter politisch instabil. Die vorgezogenen Parlamentswahlen vom 12. Dezember 2010, mit denen die langwierige Regierungskrise überwunden werden sollte, haben nur die Spaltung zwischen den politischen Kräften im Kosovo bestätigt.
Der kosovarische Regierungschef und Chef der Demokratischen Partei, Hashim Thaci konnte nur mit großen Mühen eine Regierungskoalition bilden - mithilfe des Chefs der „Allianz Neues Kosovo“, dem Milliardär Behgjet Pacolli. Keine große Partei (weder die „Demokratische Liga Kosovo“ noch die Bewegung „Selbstbestimmung“ oder die „Allianz für die Zukunft des Kosovo“) wollte mit Thaci koalieren. Regierungschef Thaci ist nach den Wahlen vom Dezember deutlich geschwächt.
Nicht gerade förderlich für Thacis Image war der Bericht des schweizerischen Abgeordneten Dick Marty über die Beteiligung der kosovarischen Spitzenpolitiker an Auftragsmorden, Entführungen und Organhandel. Es ist eine ernsthafte Frage, ob die neue Regierung sich halten kann.
Etwa die Hälfte der Wähler stimmte bei den Wahlen für Parteien, die an die Macht nicht kamen. Inzwischen haben die Behörden einige schwierige Aufgaben: Schaffung neuer Arbeitsplätze unter Bedingungen einer Wirtschaftskrise, die Weiterführung der Reformen, der verstärkte Kampf gegen die Korruption und die organisierte Kriminalität sowie die Wiederaufnahme des Dialogs mit Belgrad zu praktischen Fragen.
Das Image der künftigen Kosovo-Regierung ist sehr zweifelhaft. Die USA und die EU haben mehrmals betont, dass in der neuen Regierung keine Personen sitzen dürfen, die in Untersuchungsverfahren verwickelt sind oder unter Verdacht stehen. Thaci wurde zwar offen nicht genannt, er ist jedoch der bekannteste kosovarische Politiker, dessen Name in der Weltgemeinschaft mit kriminellen Machenschaften verknüpft wird. Experten sehen darin ein Problem für das ganze Kosovo.
„Aus der Sicht des Westens, der dem Kosovo damals die Unabhängigkeitserklärung erlaubte, ist die jetzige Situation in Pristina schlimmer als vor drei Jahren“, so Ili Hodza, Exekutivdirektor der kosovarischen Nichtregierungsorganisation „Außenpolitischer Klub“.
Das Kosovo habe zwar die Welt von der Notwendigkeit zu überzeugen versucht, dass es unabhängig sein müsse, der Marty-Bericht bremse jedoch diese Anstrengungen, betont der Experte.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.
* Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 18. Februar 2011; www.de.rian.ru
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