Roma vor der Rückkehr ins Elend
Die Situation der Minderheiten in Kosovo hat sich nicht verbessert
Von Aert van Riel *
Die Bundesregierung behauptet, die Lage in Kosovo hätte sich entspannt, und schiebt Roma in die
einstige Bürgerkriegsregion ab. Aus neuen Berichten geht jedoch hervor, dass die Situation der
Minderheiten in Kosovo weiterhin prekär ist.
Die Mahala im Süden der Bergbaustadt Kosovska Mitrovica war einst die größte
zusammenhängende Roma-Siedlung in Kosovo. Bis der Stadtteil am 15. und 16. Juni 1999 von
radikalen Kosovo-Albanern zerstört wurde. Die etwa 8000 Bewohner wurden vertrieben oder gar
ermordet. Die gerade in Kosovo einmarschierten NATO-Soldaten griffen nicht ein. Als im März 2004
erneut ethnische Konflikte aufflammten, wurden die Einwohner der teilweise wiederaufgebauten
Siedlung abermals Opfer von Ausschreitungen. Heute leben in der Mahala wenige, meist aus dem
Ausland zurückgekehrte Roma-Familien in bitterer Armut.
Nach dem NATO-Krieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im Frühjahr 1999 vertrieben Kosovo-
Albaner zehntausende Angehörige von Minderheiten aus der südserbischen Provinz: Nicht nur
Serben, auch Roma, sogenannte Ägypter und Aschkali mussten Kosovo verlassen. Tausende
Flüchtlinge wurden zeitweilig im Deutschland aufgenommen - mit der Aussicht der Rückkehr nach
Kosovo, sobald sich die Lage dort verbessert hat.
Inzwischen behauptet die Bundesregierung, von einer labilen Sicherheitslage oder fehlender
Existenzsicherung der Minderheiten, die einer Rückführung entgegenstünden, könne derzeit nicht
mehr die Rede sein. Seit September werden Roma und andere Angehörige von Minderheiten daher
abgeschoben.
Berichte aus jüngster Zeit belegen jedoch, dass die Lebensumstände der Minderheiten in Kosovo
weiterhin prekär sind. Auch die Rechtsstaatmission der Europäischen Union EULEX unter dem
militärischen Schutz der KFOR-Truppen hat die Demokratisierung in Kosovo bisher nicht wesentlich
vorantreiben können. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl kritisiert, dass Angehörige von
Minderheiten in eine Situation latenter und manifester Unsicherheit abgeschoben werden. Die
Organisation beruft sich unter anderem auf einen Bericht des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge
aus dem Jahr 2006, der weiterhin Gültigkeit besitze und in dem von Abschiebungen nach Kosovo
abgeraten wird.
Rassistisch motivierte Straftaten gegen Roma tauchen in vielen neueren Statistiken nicht auf. Roma-
Verbände und Pro Asyl beklagen jedoch, dass Angehörige von Minderheiten weiterhin Opfer von
Gewalttaten werden. Nur würden die von der Polizei nicht registriert und schon gar nicht verfolgt. Die
Roma Menschenrechtsorganisation »Chachipe« und Mitglieder eines örtlichen
Minderheitenradiosenders deckten im Sommer 2009 in Gjilan (Gnjilane), im Osten Kosovos, tätliche
Angriffe gegen Roma auf. Die örtliche Polizei hatte lediglich eine »Störung der öffentlichen
Ordnung« bemerkt.
Auch Verbrechen, deren Opfer Angehörige der Minderheiten in den vergangenen zehn Jahren
wurden, blieben bislang juristisch ungeahndet. Nach wie vor ist nicht geregelt, dass Rückkehrer für
die Plünderung ihres Eigentums und die Zerstörung ihrer Häuser entschädigt werden. So werden die
Roma in die Armut abgeschoben. Viele von ihnen müssen seit Jahren in Lagern auf
schwermetallverseuchtem Boden leben, wie im Lager Osterode im Norden von Mitrovica.
Der neueste Kosovo-Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums belegt, dass ethnische
Diskriminierung in Kosovo weit verbreitet ist. Der Prozentsatz von Arbeitslosen - im Kosovo-
Durchschnitt über 40 Prozent - liegt bei Roma und Aschkali nahe 100 Prozent. Sozialleistungen
decken nicht einmal annähernd den Grundbedarf an Lebensmitteln: Die Sozialhilfe beträgt für
Familien mit Kindern unter fünf Jahren zwischen 35 und 75 Euro. Viele Kosovo-Roma sind von
Zahlungen im Ausland lebender Angehöriger abhängig. Nach Kosovo abgeschoben, suchen sie
Hilfe und Schutz in der Nähe von Freunden und Verwandten. Ghettoisierung und das Leben in
Lagern sind die Folgen.
* Aus: Neues Deutschland, 22. Oktober 2009
Zurück zur Serbien-Seite
Zur Deutschland-Seite
Zur Seite "Migration, Flüchtlinge"
Zurück zur Homepage