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Zerrissenes Land

Hashim Thaci: "Erstes Jahr war ein Erfolg"

Von Boris Kanzleiter, Belgrad *

Ein Festakt im Parlament, ein Massenaufmarsch im Stadtzentrum und am Abend ein Feuerwerk. Pristina steht am Dienstag (17. Feb.) ganz im Zeichen des ersten Jahrestages der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kosovos. Doch während die Kosovo-Führung feiern lässt, protestieren die Kosovo-Serben und die Regierung in Belgrad.

Hashim Thaci gibt sich optimistisch. Für den früheren UCK-Kommandanten und heutigen Kosovo-Regierungschef ist der Jahrestag eine Gelegenheit, sich als Sieger zu profilieren. »Das erste Jahr war ein Erfolg«, verkündet der grau melierte 40-Jährige in zahlreichen Interviews. Kosovo sei auf einem guten Weg. Die Gesellschaft habe sich stabilisiert.

Ganz anders sehen dies die Kosovo-Serben, die noch etwa fünf Prozent der Bevölkerung ausmachen. Bereits vergangene Woche organisierten sie eine Protestdemonstration im Nordteil der gespaltenen Stadt Kosovska Mitrovica. Redner machten klar, dass sie die Unabhängigkeit nach wie vor nicht anerkennen. Rückenwind bekommen sie aus der serbischen Hauptstadt Belgrad. Präsident Boris Tadic bekräftigte: »Serbien wird die Unabhängigkeit Kosovos niemals anerkennen.« Um ihren Anspruch zu unterstreichen, wollen Parlamentarier aus Belgrad am Dienstag in die mehrheitlich von Serben bewohnten Gebiete Nord-Kosovos fahren und dort eine Sitzung des Kosovo-Parlamentsausschusses abhalten.

Sowohl Thaci als auch Tadic rufen die Bürger auf, friedlich zu bleiben und Provokationen zu unterlassen. Dennoch ist die Sicherheitslage angespannt. Vor allem in Kosovska Mitrovica kommt es immer wieder zu Übergriffen. Erst am Sonnabend explodierte im serbischen Nordteil wieder eine Bombe. Wie meistens bei solchen Anschlägen blieb die Suche nach den Verantwortlichen bisher erfolglos. Die NATO-geführte KFOR-Truppe ist in erhöhter Bereitschaft.

Kosovo bleibt gespalten. Es ist nicht nur das Misstrauen, das Serben und Albaner veranlasst, einander den Rücken zuzukehren. Auch die Gültigkeit der Unabhängigkeitserklärung bleibt umstritten. Belgrad sieht sich in seiner Auffassung keineswegs isoliert. Nur 54 von 192 Mitgliedstaaten der UNO haben Kosovo bisher anerkannt. Mit Russland, China und Indien stehen politisch wichtige Staaten auf serbischer Seite. Auch in der EU verfügt Belgrad über Unterstützung: Spanien, Griechenland, die Slowakei, Rumänien und Zypern haben die Unabhängigkeit trotz Drucks aus Washington und Brüssel nicht anerkannt.

Gestärkt werden die Gegner der einseitigen Unabhängigkeitserklärung Kosovos durch deren internationalen Folgen. Der Krieg im Kaukasus machte im vergangenen Sommer deutlich, wie explosiv der Konflikt zwischen dem Streben nach nationaler Selbstbestimmung und dem Anspruch von Staaten auf Souveränität und Integrität in vielen Regionen der Welt ist. Paradoxerweise argumentierten die westlichen Unterstützer der Unabhängigkeit Kosovos im Falle Abchasiens und Südossetiens genau umgekehrt und verteidigten die Souveränitätsansprüche Georgiens. Russland unterstützte dagegen die Sezessionsbewegungen.

Es ist nicht zuletzt diese Konstellation, die Belgrad am 8. Oktober vergangenen Jahres zu einem diplomatischen Erfolg verhalf. Die Generalversammlung der Vereinten Nation in New York beschloss, die Rechtmäßigkeit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos durch den Internationalen Gerichtshof in Den Haag überprüfen zu lassen. Außer den engsten Kosovo-Verbündeten USA und Albanien stimmten nur vier Staaten gegen die Resolution aus Belgrad. Die Mitglieder der Europäischen Union enthielten sich. Die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs wird erst 2010 erwartet.

* Aus: Neues Deutschland, 17. Februar 2009


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